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Osteuropa: «Schweiz hat besseres Image als Brüssel»

Windturbinen in Tymien, im Nordwesten Polens: Die Schweiz unterstützt in zehn osteuropäischen Ländern Umweltprojekte. Keystone

Für ihre Beiträge im Rahmen der Kohäsionsmilliarde hat die Schweiz die schwierigsten Regionen in Osteuropa ausgewählt. Bern habe dort ein besseres Image als Brüssel, sagt ein Experte.

Im November 2006 hiess das Stimmvolk die Kohäsionsmilliarde gut. Fünfeinhalb Jahre später steht nun fest, welche Projekte die Schweiz in den 2004 der EU beigetretenen Ländern Osteuropas unterstützt.

Es ist offenbar schwierig, die Gelder überhaupt zu verteilen: Ausgegeben wurden nämlich bislang erst rund 160 Millionen Franken. Die restlichen rund 790 Millionen Franken werden nun bis 2017 in insgesamt 210 Projekte fliessen.

Dass bislang nicht mehr Geld in die EU-10 überwiesen wurde, liegt laut Hugo Bruggmann, Ressortleiter Erweiterungsbeitrag im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), daran, dass es für Projektentwicklung und -auswahl mehr Zeit brauchte als ursprünglich angenommen.

Wie die Verantwortlichen des Bundes bei der Veröffentlichung ihres Zwischenberichts erklärten, müssen Projekte in einem schwierigen Umfeld umgesetzt werden. Die verschlechterte Wirtschaftslage oder personelle Änderungen bei den Partnern könnten sich in einzelnen Fällen negativ auf die Projektabwicklung auswirken.

Türöffner für Schweizer Wirtschaft

«Der Erweiterungsbeitrag kann für die Schweizer Wirtschaft ein Türöffner werden», sagt Georg Dobrovolny, Geschäftsleiter und Vorstandsdelegierter des Forums Ost-West, gegenüber swissinfo.ch. «Damit eröffnet man den Zugang zu den EU-Projekten, deren Volumen um einiges grösser ist.»

Es sei davon auszugehen, dass Schweizer Firmen bei den Ausschreibungen berücksichtigt werden. Dies vor allem deshalb, weil die ausgewählten Projekte Bereiche beträfen, in denen gerade Schweizer KMU besonderes Know-how hätten.

Wäre weniger mehr?

Bei den Begünstigten in Ost-und Mitteleuropa empfindet man die Schweizer Abwicklung der Kohäsionsprojekte oft als etwas umständlich. Die Zusammenarbeit mit den Schweizern sei nicht so einfach, erklärte Malgorzata Wierzbicka in einem Bericht des Deutschschweizer Radios. Sie ist die Verantwortliche für die Projekte im polnischen Ministerium für Regionalentwicklung. Der Erfolg der Projekte wäre sichtbarer, wenn man sich auf weniger Projekte konzentrieren könnte, so Wierzbicka.

«Diese Kritik kann ich nicht unbedingt teilen. Die Frage ist immer, von welcher Seite sie kommt», sagt Georg Dobrovolny. Für den Osteuropa-Experten ist es gut, wenn die Schweiz kleine Projekte unterstützt. Die Zielregionen, welche die Schweiz ausgesucht habe, seien ausschliesslich Krisengebiete. Die Probleme dort könne man nicht alle mit grossen Projekten lösen.

«Natürlich haben die Bürokraten von diesen osteuropäischen Ländern und auch von der EU lieber grosse Projekte, weil der Aufwand für kleine Projekte relativ gross ist», so Dobrovolny. «In der Tschechischen Republik kommt die Kritik aber eher von der anderen Seite: Dort wurden fast zu grosse Projekte genehmigt.»

Direkter Kontakt wichtig

Neben den Milliardeninvestitionen der EU wirken die vielen kleinen Projekte der Schweiz bescheiden. Weil die Schweiz nicht Mitglied der EU sei, habe man einen anderen Ansatz gewählt, «der uns in sehr direkten Kontakt mit den einzelnen Staaten setzt», so Kurt Kunz, Chef des Direktionsbereichs Ostzusammenarbeit in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza).

Dieser Schweizer Ansatz macht die Abwicklung, die jetzt ansteht, indessen umständlicher. Die EU-Staaten müssen jedes einzelne Projekt im Voraus selber finanzieren, erst nach Überprüfung der Belege beteiligt sich die Schweiz an den Kosten – und dies nur zu 85%.

«Die EU ist nun mal etwas kompliziert», sagt dazu Georg Dobrovolny. Die direkte Zusammenarbeit mit den Empfängerstaaten und auch die ganzen Abklärungen der Schweiz in diesen Ländern ist für den Geschäftsleiter des Forums Ost-West «wichtig und richtig».

Ansehen der Schweiz stärken

Beim Abstimmungskampf um die Kohäsionsmilliarde im November 2006 hatte der Bundesrat den Erweiterungsbeitrag als ein wichtiges Instrument der Schweizer Europapolitik bezeichnet, der das Ansehen der Schweiz stärke. Man wolle mit den Kohäsionsgeldern den Abbau von wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten innerhalb der EU unterstützen. Zudem verbesserten sich so die Aussichten für die Schweizer Wirtschaft in diesen Ländern.

Gleich wie der Bundesrat sieht Dobrovolny in der Beteiligung am Erweiterungsbeitrag ein wichtiges Instrument der Schweizer Europapolitik. «Die Schweiz steht zwar theoretisch abseits von der EU, doch ist es gut, dass sie hier mitmacht.» Und schliesslich habe sich auch das Schweizer Volk dafür ausgesprochen.

«Das ‹Rosinenpicker-Image› der Schweiz, von dem ich in Brüssel schon oft gehört habe, ist im Prinzip eine Verhandlungstaktik. Es stimmt nicht, dass die Schweiz eine ‹Rosinenpickerin› ist», betont der Osteuropa-Experte. Die Schweiz habe sich die schwierigsten Regionen in Osteuropa ausgesucht und sei mit einem sehr beachtlichen Beitrag engagiert. «Die Schweiz hat in diesen Ländern wohl nach wie vor das bessere Image als Brüssel», so Dobrovolny.

Grösster Nutzniesser der Kohäsionsmilliarde ist Polen mit 489 Millionen Franken. Dahinter folgen Ungarn, Tschechien, Litauen, Slowakei, Lettland, Estland, Slowenien, Zypern und Malta. Der Betrag hängt von der Bevölkerungsgrösse und dem Pro-Kopf-Einkommen ab. Für Rumänien und Bulgarien, die erst später der EU beitraten, stellt die Schweiz 257 Millionen zur Verfügung.

Ganz uneigennützig ist das Engagement der Schweiz nicht. Gemäss einer Umfrage des Integrationsbüros des Bundes sollen in den letzten Jahren rund 50 Schweizer Unternehmen in den zwölf jüngsten EU-Ländern Aufträge im Umfang von rund 500 Millionen Franken an Land gezogen haben, die aus EU-Geldern finanziert worden sind.

Und beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse ist man zuversichtlich, dass von der Kohäsionsmilliarde Geld in die Schweiz zurückfliesst. Dank des Erweiterungsbeitrags erhöhe sich für Schweizer Firmen die Aussicht, Ausschreibungen aus EU-finanzierten Projekten zu gewinnen.

Mit 371 Millionen Franken fliesst der grösste Teil der nun von der Schweiz bewilligten Projektgelder in Umweltschutz-Projekte. Der grösste Teil davon – 155 Millionen – wird in die Förderung von Energieeffizienz und erneuerbarer Energien investiert. Insgesamt soll der CO2-Verbrauch um 70’000 Tonnen CO2 sinken.

Gelder fliessen auch in den öffentlichen Verkehr (69 Millionen), in Projekte der Abwasserreinigung (44 Millionen), sowie in Projekte zur Förderung des Wirtschaftswachstum der strukturschwachen Länder (258 Millionen). Rund 145 Millionen setzt die Schweiz ein für Massnahmen zur Stärkung der sozialen Sicherheit, etwa durch Investitionen in die Infrastrukturen des Gesundheitswesens.

Einen Beitrag leisten will die Schweiz zudem zur öffentlichen Sicherheit in den EU-10-Ländern. Im Vordergrund steht die Grenzsicherheit. Gelder fliessen auch in den Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität sowie in die Modernisierung des Gerichtswesens.

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