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Oswald Oelz: «Grossartige Pionierleistung» am Everest

Oswald Oelz: Mangelndes Wissen über die Bedeutung des Trinkens in grosser Höhe und untaugliche Sauerstoffergeräte haben 1952 Lambert und Tenzing die Erstbesteigung des Mount Everest gekostet. Oelz

Mit der Überwindung des Khumbu-Eisfalls fanden Schweizer Bergsteiger 1952 den Schlüssel zum Dach der Welt, was die Route betrifft. Sie scheiterten aber am Gipfelgrat auch deshalb, weil sie die Bedeutung der Höhenmedizin nicht erkannt hätten, ganz im Gegensatz zu den Briten, sagt der Höhenbergsteiger und -mediziner Oswald Oelz. 

«Die Schweizer hatten nicht erkannt, wie ungemein wichtig die Flüssigkeitszufuhr im Höhenbergsteigen ist», sagt der gebürtige Österreicher, der den Everest 1978 mit Reinhold Messner bezwang. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Expedition von 1952 von der Schweizerischen Stiftung für Alpine Forschung (SSAF) durchgeführt wurde, wie bereits die beiden Schweizer Himalaya-Expeditionen von 1947 und 1949.

swissinfo.ch: Wie schätzen Sie die Leistung der Schweizer 1952 bergsteigerisch ein?

O.O.: Das war eine grossartige Pionierleistung. Sie waren zu jener Zeit neben den Franzosen die besten Höhenbergsteiger der Welt. Charles Houston hatte 1950 den Khumbu Icefall als Zugang zum Tal des Schweigens ausgemacht, den Eisbruch aber nicht überwinden können. Dies gelang den Schweizern 1952. Mit einer genialen Leistung überwand der junge Genfer Kletterer Jean-Jacques Asper eine breite Querspalte im oberen Bereich, die bis dahin unüberwindbar war. Er liess sich in die Spalte abseilen und kletterte die senkrechte Eiswand auf der anderen Seite in dynamischen Bewegungen empor. Mit dem Seil konnte nun eine Leiter über die Spalte gezogen werden – der Zugang zum Tal des Schweigens war eröffnet.

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swissinfo.ch: Stimmt es, dass das Ziel der Expedition gar nicht im Gipfel des Everest bestand, sondern im Vorstoss bis zum knapp 8000m hohen Südsattel? Oder war das gespielte Bescheidenheit aus Rücksicht auf die Briten?

O.O.: Das war sicher vorgeschobene Bescheidenheit. Die Bergsteiger wollten, wenn sie es bis zum Südsattel schaffen, weiter hinauf bis zum Gipfel. Dazu hatten sie ja auch Sauerstoffgeräte dabei, die sich allerdings als untauglich herausstellten.

Für Grossbritannien wäre der Erfolg der Schweizer eine absolute Katastrophe gewesen, deshalb war man in London im Alpine Club und in der National Geographic Society über das Unternehmen extrem nervös. Parallel dazu führten die Briten 1952 am Cho Oyu eine Testexpedition durch, u. a. mit Edmund Hillary. Dort erprobten sie ihre eigenen Sauerstoffgeräte und entwickelten die Strategie, die 1953 zum Erreichen des Gipfels führte.

swissinfo.ch: Haben die Schweizer 1952 die historische Dimension ihrer Leistung erkannt? War ihnen klar, dass sie den Schlüssel zum Gipfel gefunden hatten, den die Nachfolgenden gewissermassen nur noch im Schloss umdrehen mussten?

O.O.: Es war ein heftiges Drehen im Schloss, als die Expedition von 1953 schliesslich erfolgreich war. Aber es waren die Schweizer, die den Schlüssel gefunden hatten: mit dem Überwinden des Eisfalls, der Querung des Tals des Schweigens und dem Zugang zum Südsattel. Dabei durchkletterten sie mit relativ wenigen Fixseilen die ganze steile Flanke des Lhotse.

Oswald Oelz

Der heute 71-jährige gebürtige Österreicher, der seit 1968 in der Schweiz lebt, war in Zürich Professor für Medizin am Universitätsspital und bis 2006 leitender Chefarzt des Triemlispitals.

Er zählt einerseits zu den Pionieren der modernen Höhenmedizin, war andererseits selbst erfolgreicher Extrembergsteiger.

1978 war Oelz Arzt jener Expedition, bei der Reinhold Messner und Peter Habeler als erste Menschen den Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff bestiegen. Selbst Höhenmediziner hatten das zuvor für kaum möglich gehalten. Dabei erreichte auch Oelz das Dach der Welt (mit Sauerstoff).

1990 komplettierte Oelz als dritter Bergsteiger alle Gipfel der Seven Summits nach der Carstensz-Version (die höchsten acht Gipfel aller Kontinente und Erdteile).

Oelz ist auch Bezwinger der drei grossen Nordwände der Alpen (Matterhorn, Eiger, Walkerpfeiler der Grandes Jorasses).

Er ist zudem Autor von Schlüsselwerken der Bergliteratur. Titelauswahl: «Mit Eispickel und Stethoskop» (1999); «Kopfwehberge: Eine Geschichte der Höhenmedizin» (2001); «Everest . Lhotse – Schweizer am Everest 1952 und 1956» (2006); «Himalaya: Expeditionen und Filme 1952–1971» (2007); «Oswald Oelz: Orte, die ich lebte, bevor ich starb» (2011, alle AS Verlag Zürich).

Am Everest-Südostgrat sind sie dann an zwei Dingen gescheitert: Sie hatten nicht erkannt, wie ungemein wichtig die Flüssigkeitszufuhr für das Höhenbergsteigen ist. Lambert und Tenzing hatten in ihrem letzten Biwak auf 8400m keinen Wasserkocher dabei, sie mussten mit einer Kerze Schnee in einer Konservendose schmelzen, um wenigstens ein paar Schlucke trinken zu können. Bereits in der Lhotse-Flanke waren sie von quälendem Durst geplagt worden. Die Dehydrierung hat ihre Leistungsfähigkeit ganz wesentlich beeinträchtigt.

1953 dann hatten die Bergsteiger der britischen Expedition auf Drängen ihres Arztes so viel getrunken, dass Hillary auf dem Gipfel noch eine kräftige Portion Urin lösen musste, wie er in seiner Autobiographie schrieb. Problem Nr. 2 der Schweizer waren die Sauerstoffgeräte, die ihnen ein Zürcher Professor aufgeschwatzt hatte. Sie konnten nur im Ruhezustand verwendet werden, also nur im Sitzen oder Stehen, nicht aber beim Steigen. Dies, weil er der irrigen Meinung gewesen war, der Körper könne Sauerstoff speichern.

swissinfo.ch: Was muss es für Lambert und Tenzing bedeutet haben, so knapp unter dem Gipfel umzukehren?

O.O.: Sie waren sehr enttäuscht. Während aber Lambert das Scheitern cool nehmen konnte, traf es Tenzing hart. Der Everest war «sein» Berg, er wollte den Gipfel «by any means», um jeden Preis. Und er war dazu in der Lage, wie Lambert auch. Aber der sehr erfahrene Lambert wusste, dass sie erstens den Gipfel nicht schaffen und zweitens beim Abstieg sterben würden.

swissinfo.ch:  Das Höhenbergsteigen steckte damals noch in den Kinderschuhen, technisch, vor allem aber auch medizinisch. Waren die Bergsteiger damals auch eine Art Versuchstiere?

O.O.: Höhenbergsteigen zu jener Zeit war freiwilliges Versuchskaninchentum. Die Schweizer hatten keine entsprechenden Untersuchungen durchgeführt. Parallel dazu mass der britische Arzt Griffith Pugh bei der Versuchsexpedition 1952 genau, wie hoch Flüssigkeitszufuhr und Durchflussmenge an den Sauerstoffgeräten sein müssen. Dabei erarbeitete er erste physiologische Grundlagen, die 1953 erfolgreich umgesetzt werden konnten.

swissinfo.ch: Noch zur zweiten Schweizer Expedition 1956: Damals stand der Erfolg von Ernst Reiss und Fritz Luchsinger mit der Erstbesteigung des Lhotse im Schatten der geglückten Everest-Besteigung Nr. 2 und 3. Der mit 8516m vierthöchste Berg der Welt galt schon damals als schwieriger als der Nachbar Everest. Wie bewerten Sie die Lhotse-Erstbesteigung?

O.O.: Sie basierte darauf, dass die Schweizer Expedition die Route bis unterhalb des Südsattels militärisch exakt präpariert hatte. In der Lhotse-Rinne zeigten Reiss und Luchsinger eine alpinistische Meisterleistung, indem sie das sehr steile Felscouloir im Stil einer Besteigung in den durchstiegen, allerdings mit zusätzlichem Sauerstoff. Es war ein Unternehmen, das mit höchster Schweizer Präzision ablief, kehrten sie doch ohne irgendwelche Schäden wie Erfrierungen zurück.

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swissinfo.ch: Die Briten schafften es zwischen 1921 und 1938 in sieben grossen Everest-Expeditionen auf 8573m. Die Schweizer verfehlten bei der ersten Expedition von Süden her den Gipfel nur knapp. Sagt das etwas aus über die Qualität der Expeditionen und Bergsteiger?

O.O.: Nein. Das würde der Leistung der Briten von 1924 nicht gerecht, die man nicht hoch genug einschätzen kann. Damals kletterte Edward Norton auf 8573m, und das mit der Ausrüstung seiner Zeit und ohne zusätzlichen Sauerstoff. Er hielt sich lange in der Höhe auf und war in allem auf sich allein gestellt. Das ist eine der allergrössten Leistungen des Himalayismus überhaupt. Lambert und Tenzing übertrafen Nortons Höhe nicht, und das mit zusätzlichem Sauerstoff, zumindest in den Ruhephasen. 

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