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Warum hilft die Schweiz bei Reformen in der Ukraine?

OSZE-Mission: «Das Beste, das man erreichen konnte»

Erhält für seinen aussenpolitischen Spagat gute Noten: Didier Burkhalter. AFP

Didier Burkhalters Mission in der Ukraine-Krise ist delikat: Als Aussenminister muss er die Schweizer Neutralität wahren, als OSZE-Vorsitzender Klartext gegenüber Wladimir Putin reden. Schweizer Aussenpolitiker jeglicher Couleur loben ihn für diese Doppelrolle. Im Gegensatz zu Bundesrat Ueli Maurer sehen sie die Schweizer Neutralität nicht in Gefahr.

«Neutralität ist immer ein Spagat, aber Didier Burkhalter macht seine Sache gut», sagt Kathy Riklin, Vertreterin der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates (APK).

Die OSZE wolle Frieden stiften, und dieser komme nicht von allein, sondern müsse mit einer klaren Haltung durchgesetz werden, so Riklin gegenüber swissinfo.ch.

Im Gegensatz zu den USA und der EU ergreift die Schweiz momentan keine Sanktionen gegen Russland. Sie übernimmt auch keine solchen. Dies entschied der Bundesrat am 26. März. Die Regierung will laut Aussenminister Burkhalter aber verhindern, dass die Schweiz zur Umgehung der Sanktionen missbraucht wird.

Im Einklang mit den Massnahmen der USA und EU verweigert die Schweiz 33 Personen aus der Entourage von Wladimir Putin die Erteilung von Schengen-Visa, weil sie von der EU mit einer Einreisesperre belegt worden sind.

Der Bundesrat hat der EU zudem versichert, dass Personen, gegen welche Brüssel eine Kontensperrung verhängt hat, mit ihren Bankgeschäften nicht auf den Schweizer Finanzplatz ausweichen könnten.

Allfällige Sanktionen behält sich die Regierung aber ausdrücklich vor.

Mit beiden Massnahmen bleibt laut Burkhalter die Unabhängigkeit der Schweiz gewahrt. Diese sei deshalb wichtig, weil die Schweiz in der Ukraine-Krise weiter ihre guten Dienste anbieten wolle.

Lob für den Aussenminister gibt es auch von höchster AKP-Stelle. «Die Krise in der Ukraine und namentlich auf der Krim hat sich schnell und heftig entwickelt. Angesichts dessen hat Didier Burkhalter mit der Beobachter-Mission der OSZE das Beste gemacht, das man in dieser Situation erreichen konnte», sagt der sozialdemokratische Kommissionspräsident Carlo Sommaruga. Die OSZE-Beobachter haben Zugang zu allen Teilen der Ukraine mit Ausnahme der Krim, die sich in einem völkerrechtlich illegalen Referendum Russland anschloss.

Auch Christa Markwalder, AKP-Mitglied für die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP), zollt ihrem Parteikollegen Anerkennung. «Ich habe nur gute Rückmeldungen über die Wahrnehmung seiner Doppelfunktion erhalten. Sie ist für die Schweiz auch eine grosse Chance, ihre konstruktive Rolle in der Konfliktvermittlung zu unterstreichen.»

Kommt für Burkhalter hinzu, dass die Schweiz in den letzten Jahren ihre Beziehungen zum Kreml intensivierte, so dass Russland heute als politischer Freund der Schweiz gilt.

Bundesrat beschliesst keine Sanktionen gegen Russland (Tagesschau SRF vom 26.3.2014)

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«Sehr gut, weil sehr diskret» 

Selbst Vertreter der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), die für eine Rückkehr zu einer strikten Neutralität plädiert, wie sie die Schweiz bis zum Ende des Kalten Krieges verfolgt hatte, anerkennen die Leistungen Burkhalters. «Als Aussenpolitiker hat er seine Aufgabe sehr gut, weil sehr diskret, gemacht», sagt Nationalrat Luzi Stamm. Als Vertreter der SVP in der Aussenpolitischen Kommission lehnt er Funktionen wie den Vorsitz der Schweiz der OSZE zwar generell ab.

Dennoch ist er im aktuellen Fall geteilter Meinung, wie er gegenüber swissinfo.ch erklärt. «Didier Burkhalter hat diese Doppelrolle bis am 31.Dezember dieses Jahres inne, also muss er das Beste daraus machen. Es ist also der falsche Zeitpunkt, sie zu hinterfragen.»

Maurers Entschuldigung 

Die Äusserung Stamms ist auch eine indirekte Kritik an «seinem» SVP-Bundesrat Ueli Maurer. Der Verteidigungsminister hatte vergangene Woche suggeriert, dass Regierungskollege Burkhalter mit seiner Doppelrolle die Schweizer Neutralität in Frage stelle. Und das erst noch öffentlich, was im Bundesrat als schwerer Tabubruch gilt.

«Sind wir ein unabhängiger und neutraler Kleinstaat mit Bundespräsident Burkhalter an der Spitze? Oder dominiert OSZE-Präsident Burkhalter?», fragte Maurer in einem Zeitungsinterview. An der Regierungssitzung vom 26. März hat sich Maurer vor dem Kollegium bei Burkhalter für sein Verhalten entschuldigt.

Was Maurer mit seinen Äusserungen auch immer bezwecken wollte – eine Diskussion über die Neuverhandlung der Schweizer Neutralität jedenfalls hat er nicht angestossen. «In der Kommission gab es darüber keine Debatte, es herrscht kein Bedarf, die Neutralität neu auszuhandeln», hält AKP-Präsident Sommaruga fest. Die OSZE-Präsidentschaft stelle keine Gefahr für die Schweizer Neutralität dar, weil es sich um eine demokratische Organisation handle, die in ihren Entscheiden – sie müssen einstimmig ausfallen –  auf Dialog und Konsens setzt.

Sanktionen? Deren Nachvollzug? Oder lediglich Massnahmen? Die Schweizer Presse ist sich nicht ganz einig in der Bewertung der Position, welche die Schweiz in der Ukraine-Krise gegenüber Russland einnimmt.

«Eingeklemmt zwischen Völkerrecht und OSZE-Vorsitz», beschreibt das Bündner Tagblatt das Dilemma.

«Auf kluge Art neutral», lobt der Berner Bund die Haltung der Regierung.

«Burkhalters Spagat», titelt der Tages-Anzeiger. Trotz des völkerrechtswidrigen Verhaltens von Russland halte sich die Schweiz mit einem klaren Bekenntnis zu Sanktionen zurück und wolle primär als OSZE-Vorsitzende auf eine Vermittlungslösung hinarbeiten.

«Spitzfindig», findet dagegen die Aargauer Zeitung die «bundesrätliche Wortklauberei». Diese zeige, wie klein der Spielraum bei grossen internationalen Themen oft sei.

Die Südostschweiz lobt «Burkhalters Sinn für cleveren Realismus», während Le Temps festhält, «Bern zieht Massnahmen Sanktionen vor».

«Der Bundesrat hält sich an seine Sanktionen», schreiben wiederum 24 heures und die Tribune de Genève.

«Bern sanktioniert Moskau indirekt», so der Walliser Nouvelliste.

Schweizer Spitzendiplomaten 

Christa Markwalder bezeichnet Maurers öffentlich platzierte Fragezeichen als «parteipolitisches Kalkül, gezielte Provokation und Rückfall in die Zeit des Kalten Krieges», der niemandem diene.

Das OSZE-Mandat verkörpert für die freisinnige Parlamentarierin auch eine willkommene Chance: Damit könne die Schweiz ihre Lage verbessern, die nach dem Ja vom 9. Februar zur Beschränkung der Zuwanderung innen- wie aussenpolitisch nicht einfacher geworden sei. «Mit dem OSZE-Mandat können wir zeigen, dass wir nicht ein Land voller Egoisten sind, sondern vielmehr bereit, internationale Verantwortung zu tragen», sagt die erklärte Befürworterin eines Beitritts der Schweiz zur EU.

Auch AKP-Präsident Carlo Sommaruga taxiert die von Burkhalter initiierte OSZE-Mission als Chance. «Nach den friedensvermittelnden Missionen in Nepal, am Horn von Afrika oder in Georgien kann die Schweiz in der Ukraine den erneuten Beweis liefern, dass ihre Diplomatie für solche Missionen personell sehr gut gerüstet ist», sagt der Genfer Nationalrat.

Er nennt als Beispiele Burkhalters OSZE-Sondergesandten Tim Guldimann, OSZE-Botschafter Thomas Greminger oder Heidi Tagliavini, die nach der Jahrtausendwende im Konflikt zwischen Georgien und Russland erfolgreich vermittelt hatte.

«Die OSZE-Mission ist sicher eine gute Gelegenheit, international ein Zeichen zu setzen», ist auch Kathy Riklin überzeugt. «Aber man darf sie auch nicht überschätzen, denn die OSZE hat nicht die Bedeutung einer G8, G20 oder UNO.»

Unabhängigkeit bewahrt 

Der Rückhalt in der aussenpolitischen Parlamentskommission bezieht sich aber nicht nur auf Burkhalters OSZE-Vorsitz. Auch in der ebenso heiklen Frage, wie sich die Schweiz angesichts der Sanktionen von EU und USA gegen Russland positioniert, signalisieren die vier APK-Mitglieder zur Haltung des Bundesrat mehrheitlich Zustimmung.

Am Mittwoch beschloss die Regierung, weder eigene Sanktionen zu verhängen noch sich jenen der EU und der USA anzuschliessen. Aber sie wolle verhindern, dass die Schweiz zur Umgehung der verhängten Sanktionen missbraucht werden könne, sagte Burkhalter vor den Medien (Details siehe Box). Zudem behält sich der Bundesrat vor, später zum Mittel der Sanktionen zu greifen, sollte die Entwicklung in der Ukraine dies erfordern.

Die aussenpolitische Kommission habe vom Bundesrat gefordert, dass allfällige Massnahmen der Priorität der Vermittlertätigkeit innerhalb der OSZE-Präsidentschaft untergeordnet werden müssten, sagt Präsident Sommaruga. «Mit der getroffenen Lösung markiert der Bundesrat dieselbe Distanz zu allen Akteuren.»

Kathy Riklin spricht von einer Art «passiver Sanktionen», die sie für eine «clevere, pragmatische und diplomatische Lösung» hält. Damit sende der Bundesrat auch ein klares Zeichen an die EU und die USA aus. «Und er macht für weitere Schritte die Türe nicht zu, denn man weiss nicht, wie sich die Situation entwickeln wird.»

Getrübte Vorfreude auf Jubiläum 

Die Schweiz müsse eine Interessenabwägung machen zwischen westlichen Sanktionen und ihrer Rolle als Vorsitzende der OSZE, sagt Christa Markwalder. «Es ist vernünftig, dass der Bundesrat klarstellt, dass die Schweiz nicht zur Umgehung der Sanktionen missbraucht werden kann, gleichzeitig aber die Rolle als Vermittlerin für eine friedliche Lösung stärkt.»

Kritisch fällt die Beurteilung von Luzi Stamm aus. «Das Mittragen der EU-Sanktionen ist ein internationales und wichtiges Detail, das sich nicht vermeiden lässt, weil es in der Natur des Undings Schengenraum liegt.»

Die Doppelfunktion ist aber nicht das Ende der Fahnenstange, was die aktuellen Herausforderungen Burkhalters im Umgang mit dem Kreml betrifft. Quasi als Zusatzaufgabe wartet ihm und dem Bundesrat das Abwägen, in welcher Form er als Bundespräsident und offizieller Staatsgast an den Feierlichkeiten zum 200-Jahr-Jubiläum der schweizerisch-russischen Beziehungen teilnimmt, das Ende April mit grossem Brimborium in Moskau eingeläutet wird.

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