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«Die Stimmung in den Wahllokalen war festlich»

Frauen und Männer in Trachten singen und spielen Handorgel.
Musik sorgt für gute Stimmung und lockt Wähler an die Urne: Eine Gruppe russischer Kosaken spielt vor einem Wahllokal in Rostow am Don. Keystone

Bei Musik und Gebäck haben Wähler und Wählerinnen in Russland am vergangenen Sonntag ihre Wahlzettel in die Urnen gelegt. Das erzählt SP-Parlamentarierin und OSZE-Wahlbeobachterin Margret Kiener Nellen. Sie besuchte 13 Wahllokale im Süden des Landes.

Russlands Präsident Wladimir Putin war am Sonntag nach offiziellen Angaben mit mehr als 76% der Stimmen wiedergewählt worden. Wahlbeobachter beklagten allerdings, es habe keine echte Auswahl bestanden.

Die Schweizer Politikerin Kiener Nellen beobachtete die Wahlen in Wolgograd. Sie war im Auftrag der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Einsatz. Diese hatte mehr als 480 Wahlbeobachter und -beobachterinnen nach Russland entsandt.

Margret Kiener Nellen
Margret Kiener Nellen swissinfo.ch

swissinfo.ch: Haben Sie in den von Ihnen besuchten Wahllokalen Unregelmässigkeiten festgestellt?

Margret Kiener Nellen: Nein. Wie der am Montag in Moskau vorgestellte OSZE-BerichtExterner Link festhält, entsprach der technische und rechtliche Ablauf des Wahlprozesses den Regeln. Ich besuchte 13 Wahllokale. Zwischen 20 Uhr und Mitternacht war ich zudem in einem Büro bei einer Stimmenauszählung dabei. Hier geschah etwas, das ich noch nie bei einem Einsatz beobachtet habe: Ein Anhänger von Alexei Nawalny [Hauptwidersacher von Putin, Anm. d. Red.] ergriff das Wort. Er kündigte an, dass seine Partei vier Rekurse wegen Verstössen gegen internationale Standards im Zusammenhang mit dem Ausschluss der Kandidatur von Alexej Nawalny einreichen werde.

swissinfo.ch: Konnten Sie Ihrer Mission ohne Schikanen nachkommen?

M. K.N.: Wir waren sogar willkommen. Die OSZE-Beobachter waren nicht die einzigen, die den Prozess begleiteten. Parteien, Kandidaten und zivilgesellschaftliche Organisationen durften ebenfalls Beobachter entsenden. So hielten sich im Durchschnitt in jedem Büro zwischen drei und sechs Entsandte auf. Sie waren von 8 Uhr morgens bis zur Auszählung der Stimmen gegen Mitternacht oder später anwesend. Zusätzlich waren in jedem Lokal zwei Kameras installiert. Die Videos wurden in einem Raum der Wahlkommission in Moskau ausgestrahlt und jeder kann sie im Internet anschauen. Diese Transparenz darf nicht unterschätzt werden. Der Prozess stand unter grösserer Beobachtung als Wahlen in der Schweiz.

swissinfo.ch: Die OSZE prangert in ihrem Bericht Unregelmässigkeiten an, mit denen die Wahlbeteiligung erhöht worden sei. Haben Sie das auch beobachtet?

M. K.N.: Ja, das ist eine Tatsache. Die Wahllokale, die ich besucht habe, befanden sich alle in Schulen. Das ist in vielen Ländern der Fall. Unter den Mitgliedern des Vorstandes fanden sich auch Lehrer. Kinder waren anwesend und sangen und tanzten. Deren Eltern und Grosseltern wurden dadurch ermutigt zu kommen. In jedem Wahllokal waren zwischen 1600 und 2600 Wähler registriert. Man traf sich unter Anwohnern eines Bezirks: Jeder kennt jeden, das schafft eine festliche Atmosphäre. Draussen war es minus zehn Grad kalt und es gab einen Schneesturm. Beim Betreten des Wahllokals fanden die Menschen einen langen Tisch mit Gebäck, Tee und Kaffee vor. Die Stimmung war fröhlicher als in den Schweizer Wahllokalen und das zog selbstverständlich Menschen an.

Die OSZE hat mangelnden Wettbewerb bei der Präsidentschaftswahl in Russland kritisiert. Es habe faktisch keine Auswahl gegeben. Zudem sei kontinuierlich Druck auf kritische Stimmen ausgeübt worden.

Das erklärte die Organisation bereits am Montag vor den Medien in Moskau. «Eine Auswahl ohne echten Wettbewerb ist leider keine echte Auswahl», sagte Michael Georg Link von der Beobachtermission. Viele Kandidaten hätten im Wahlkampf selbst gesagt, dass sie keine Chance bei der Wahl hätten.

Laut OSZE wurden zudem Fälle von Mehrfachabstimmung registriert. Auch kritisierten die Beobachter Mängel bei der Transparenz der Wahl und bei der Wahrung des Wahlgeheimnisses. 

Zudem habe Putin im Wahlkampf deutlich mehr Aufmerksamkeit in der Medienberichterstattung erhalten als die sieben Mitbewerber, hiess es in der OSZE-Bewertung weiter. Beobachter hatten die Wahl bereits im Vorfeld als orchestriert und die Gegenkandidaten als Statisten eingestuft.

Die technische Umsetzung der Abstimmung durch die Wahlleitung bezeichneten die OSZE-Beobachter als effizient. In etwa zwei Monaten will die Organisation einen finalen Bericht zu ihren Beobachtungen in Russland veröffentlichen.

(Quelle: sda)

(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)

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