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«Die ärmsten Länder geben beim Klimaschutz den Ton an»

Cassie Flynn

Fünf Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen haben die Entwicklungsländer beim Kampf für den Klimaschutz die Führungsrolle übernommen. Die Industrienationen müssen diese Ambitionen mit mehr als bloss Worten unterstützen, fordert Cassie Flynn, die Klima-Beraterin der Vereinten Nationen. Auch die Schweiz könne dazu beitragen, indem sie stärker Einfluss auf die globalen Kapitalmärkte nimmt.

Vor fünf Jahren verabschiedeten 196 Staaten in langwierigen Verhandlungen das Pariser Klimaschutzabkommen. Ihr Ziel war eine weltweite Antwort auf eine weltweite Bedrohung: den Klimawandel. Sie vereinbarten, die durchschnittliche globale Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen.

Das Mittel dazu waren nationale Klimaversprechen, so genannte NDCs, also Zusagen über Bemühungen jedes Landes, den CO2-Ausstoss zu reduzieren und sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen.

Obwohl die erste Runde dieser Länderversprechen ein Schnellschuss war, hat das Pariser Abkommen auch einen Mechanismus geschaffen, der es den Ländern ermöglicht, ihre Ziele erneut einzureichen und sich zu verbessern: Das Climate-Promise-Programm, das vom Entwicklungsprogramm der UNO (UNDP) initiiert wurde und inzwischen 115 Entwicklungsländer bei der Umsetzung ihrer Zusagen unterstützt.

Cassie Flynn ist Leiterin des Climate-Promise-Programms der UNDP, des weltweit grössten Förderprogramms im Rahmen des Pariser Abkommens, von dem inzwischen 115 Länder profitieren. Flynn berät den UNDP-Leiter und ist ehemalige Beraterin des Premierministers von Fidschi. 2017 wählte die Analysefirma Onalytica Flynn auf Platz 13 ihrer Liste der einflussreichsten Personen in Bezug auf Klimafragen.

Auffallend ist die Führungsrolle der Entwicklungsländer seit 2015. Trotz ihrer Grösse und ihres vernachlässigbaren Beitrags zu den Treibhausgasemissionen sind gerade die kleinen Inselstaaten in Entwicklungsregionen, die Small Island Developing States (SIDS), führend in Sachen Klimaschutz.

Die Covid-19-Pandemie hat weltweit Leid verursacht. Die Krise trifft die Menschen in ärmeren Ländern am stärksten. So wirkt es fast paradox, dass ausgerechnet diese Staaten bei der Bewältigung einer noch grösseren Bedrohung für die Menschheit mit aller Kraft vorangehen. Es sind die schwächsten Nationen, die den Industriestaaten zeigen, was getan werden muss, um das Schiff, unser Planet, in ruhigere Gewässer zu steuern.

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Die Entwicklungsländer sind die Vorreiter: Ein Grossteil plant konkrete Schutzmassnahmen. Selbst die ärmsten Nationen haben sich hohe Ziele gesteckt oder solche bereits umgesetzt. So haben etwa die asiatischen Staaten Bhutan und Surinam das Netto-Null-Ziel erreicht: Mit grossflächigen Wäldern und strikten CO2-Senkungsmassnahmen werden Treibhausgas-Emissionen wieder aus der Atmosphäre entfernt. Beide Länder zeigen, wie es möglich ist, aus der Klimakrise herauszufinden.  

Viele haben zudem die Covid-19-Krise genutzt, um einen grüneren und nachhaltigeren Entwicklungspfad einzuschlagen. Costa Rica und Thailand sind nur zwei Beispiele dafür. Sie nahmen konkrete klimabezogene Empfehlungen in ihre Covid-19-Wiederaufbaupläne auf und suchen nach wirtschaftlichen und steuerlichen Anreizen für den Klimaschutz, die zugleich die Konjunktur ankurbeln.

Die Entwicklungsländer kombinieren zudem die Klima- mit der Gender- und Jugendpolitik, um einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen. Sie erkennen, dass Ambitionen beim Klimaschutz als Grundlage für eine Politik dienen können, welche mehr Menschen einbezieht, insbesondere Frauen und Jugendliche

Das Climate-Promise-Programm setzt stark auf Aktivitäten und Massnahmen mit Bezug zur Gleichstellung der Geschlechter und Jugend. Während 2015 nur 40 Prozent der nationalen Klimaversprechen (NDCs) direkte Verweise auf Kinder oder Jugendliche enthielten, setzen nun 75 Prozent der Climate-Promise-Länder eine Priorität für die Jugend.  

Der UNO-Generalsekretär warnte erst vergangene Woche in seiner Rede zur «Lage des Planeten» vor dem «selbstmörderischen» Krieg, den die Menschheit gegen die Natur führe und der in einer Klimakatastrophe enden werde. Wo also stehen die Industrieländer bei all dem? Obwohl einige Staaten kühne Strategien entworfen haben, die durchaus den Zielen des Pariser Abkommens gerecht werden, liegt deren Umsetzung Jahrzehnte in der Zukunft.

Was den Entwicklungsländern fehlt, ist Geld und technische Unterstützung. Artikel 6 des Pariser Übereinkommens zielt darauf ab, die internationale Zusammenarbeit durch Kohlenstoffmärkte zu fördern. Zum Beispiel können Länder CO2-Emissionen über Klimaschutz-Projekte in anderen Staaten kompensieren, was jüngst zwischen Ghana und der Schweiz in einem Abkommen vereinbart wurde.

Dieses System ist vielleicht nicht perfekt, aber zumindest transportiert es Kapital dorthin, wo es am meisten gebraucht wird. Die Schweiz kann stärker Einfluss nehmen, indem sie versucht, die globalen Kapitalmärkte mit dem Klimaschutz in Einklang zu bringen. Allgemein gilt für Industrieländer, sich von den Entwicklungsländern inspirieren zu lassen und ihren eigenen Ehrgeiz zu steigern – hier und jetzt.

Die hier geäusserte Meinung ist jene der Autorin. Sie muss nicht mit jener von swissinfo.ch übereinstimmen.

(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)

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