Das bürgerliche Lager auf dem Weg zu neuer Harmonie
Jahrelang waren sie zerstritten. Nun scheinen die drei politischen Parteien der Mitte und der Rechten in der neuen Legislaturperiode wieder zusammen zu finden. Entsprechende Signale kommen von den drei frisch gewählten Parteipräsidenten. Grosser Knackpunkt im Annäherungsprozess aber bleibt die Europapolitik.
Lächeln, Augenzwinkern und Spässchen: Der Tonfall zwischen Gerhard Pfister, Petra Gössi und Albert Rösti ist ausgesprochen gelöst. Die im April gewählten Präsidenten der Christlichdemokratischen Volkspartei der Schweiz (CVP) , der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und der Schweizerischen Volkspartei (SVP) scheinen sich zu verstehen. Es scheint fast, als könne ein regelrechter Bürgerblock entstehen, so wie er bis vor rund 20 Jahren existierte und damals die Schweizer Politik bestimmte.
Die drei neuen Präsidenten
Albert Rösti (1967) übernahm Ende April die Präsidentschaft der SVP, die seit 2008 in den Händen von Toni Brunner gelegen hatte. Der Berner Politiker hat an der ETH Zürich Agrarwirtschaft studiert und an der Universität Rochester (New York) einen Master in Business Administration (MBA) absolviert. 2011 wurde er in den Nationalrat gewählt. 2015 leitete er den Wahlkampf der SVP für die eidgenössischen Wahlen. Die Partei erreichte mit einem Wählerstimmenanteil von 29, 4 Prozent ein historisches Rekordergebnis.
Petra Gössi (1976) wurde Mitte April zur neuen FDP-Präsidentin gewählt. Sie ist Nachfolgerin von Philipp Müller, der vier Jahre im Amt war. Die Freisinnige aus dem Kanton Schwyz hat Rechtswissenschaft an der Universität Bern studiert und absolvierte ein Nachdiplomstudium (MAS) in Wirtschaftskriminologie an der Universität Luzern. Sie arbeitet als Juristin in Zürich für die auf Steuer- und Unternehmensberatung spezialisiert Baryon AG. Sie wurde 2011 in den Nationalrat gewählt, spielte aber im Parlament bisher eher eine zweitrangige Rolle.
Gerhard Pfister (1962) folgte Ende April bei der CVP auf Christophe Darbellay, der 10 Jahre lang Parteipräsident war. Er hat an der Universität Freiburg Germanistik und Philosophie studiert. Rund 20 Jahre war er als Lehrer tätig, bevor er in den Verwaltungsrat einiger Unternehmungen eintrat. 2003 wurde er in den Nationalrat gewählt. Er gehört zum rechten Flügel seiner Partei.
Christian Levrat, Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz seit 2008, will am SP-Parteitag im Dezember für eine weitere Amtszeit bis zu den eidgenössischen Wahlen 2019 kandidieren. Levrat betonte, dass er die Oppositionsrolle verstärken wolle, um gegen die Politik der bürgerlichen Mehrheit im Parlament zu kämpfen, die geprägt sei von Steuergeschenken und Klientelpolitik.
Die Aussicht auf einen solchen Bürgerblock kommt bei der Linken gar nicht gut an. Sozialdemokraten und Grüne haben zusammen zwar nicht mehr als einen Drittel der Sitze im Parlament, doch in den vergangenen Legislaturen profitierten sie vom Streit zwischen den drei grossen bürgerlichen Volksparteien. So entstanden Mehrheiten, die einst im eidgenössischen Parlament undenkbar waren. Doch nun befürchtet die Linke, dass die neuen Mehrheiten innerhalb weniger Monate die Finanz-, Sozial- und Umweltpolitik vom Kopf auf die Füsse stellen werden.
«Das Trio scheint harmonisch, wirkt aber nur destruktiv», erklärte vor kurzem SP-Fraktionschef Roger Nordmann. Seiner Meinung nach besteht kein Unterschied mehr zwischen den drei bürgerlichen Parteien. Deren gemeinsames Projekt bestehe darin, «alles abzubauen, was die Stärke der Schweiz ausmacht: die Sozialwerke, den Service public, die Bildung».
Ein neues Zeitalter
Louis Perron, Politologe an der Universität Zürich, ist überzeugt, dass der Wechsel der Führungspersönlichkeiten sicherlich eine Chance für eine bessere Zusammenarbeit zwischen CVP, FDP und SVP darstelle. Wenn diese Zusammenarbeit unter den bürgerlichen Parteien in der Vergangenheit nicht so gut funktionierte, habe dies zum Teil an den Personen, zum Teil aber auch an der wachsenden Konkurrenz innerhalb des bürgerlichen Lagers gelegen. «Insbesondere die SVP war vor allem an Wahlkampf und Stimmenmaximierung interessiert und weniger an parlamentarischen Kompromissen», so Perron.
Jahrzehntelang war die bürgerliche Mitte durch Stabilität und Kohäsion gekennzeichnet. Doch mit dem Aufstieg der SVP Anfang der 1990er-Jahre kam das Gleichgewicht aus den Fugen. Eine neue Ära der Konkurrenz im bürgerlichen Lager begann. Die SVP bewegte sich nach rechts; profilierte sich insbesondere als Anti-EU- und Anti-Ausländer-Partei. Lange war die SVP die kleine der vier Regierungsparteien gewesen. Doch mit ihrem neuen Kurs gewann sie immer mehr neue Wähler hinzu, bis sie 1999 sogar die wählerstärkste Partei wurde. Dieser kometenhafte Aufstieg der SVP ging insbesondere zu Lasten von CVP und FDP.
Die Verschiebungen der Wähleranteile führten zu einem dauerhaften Kampf um die Aufteilung der sieben Regierungssitze. Zuvor war die parteipolitische Zusammensetzung der Regierung fast ein halbes Jahrhundert lang unverändert geblieben. Dann gelang es der SVP im Jahr 2003, mit der Wahl des SVP-Strategen Christoph Blocher in den Bundesrat einen der beiden CVP-Regierungssitze zu erobern. Doch nur vier Jahre später wurde Blocher dank einer Allianz aus CVP und Linken wieder abgewählt. Das Ergebnis waren äusserst instabile Legislaturperioden. Sowohl in der Regierung als auch im Parlament gab es oft wechselnde Mehrheiten, das bürgerliche Lager lag sich ständig in den Haaren.
Rechtsrutsch von 2015
Mit den eidgenössischen Wahlen von 2015 kam es zu einem klaren Rechtsrutsch: FDP und SVP verfügen nun über eine Mehrheit im Nationalrat (Volkskammer) und im siebenköpfigen Bundesrat (SVP und FDP haben dort je zwei Sitze). Diese Rechtswende scheint sich auch durch die neu gewählten Präsidenten der bürgerlichen Parteien zu bestätigen: Albert Rösti ist eine extrem freundliche Person, vertritt aber ganz klar die harte SVP-Linie in Asyl- und Ausländerfragen sowie in Bezug auf die Beziehungen zur EU. Petra Gössi und Gerhard Pfister gehören beide dem neoliberalen Flügel ihrer Parteien an.
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«Das Amt des Parteipräsidenten ist etwas undankbar. Man steht in der Öffentlichkeit und wenn’s schlecht läuft, muss man von allen Seiten Kritik einstecken. Aber eigentlich hat man praktisch keine Macht. Man kann nur durch Überzeugen und Kommunikation führen», meint Politologe Louis Perron. In anderen europäischen Ländern könne ein Parteipräsident seine Parlamentarier zur Ordnung rufen. Zudem seien dort Parteipräsidenten dazu prädestiniert, im Falle von Wahlerfolgen auch Regierungsverantwortung zu übernehmen.
Positionen nähern sich an
Ganz unabhängig von der Macht und den Absichten der drei Parteipräsidenten zeigt sich zu Beginn der Legislaturperiode 2015-2019 bereits eine Annäherung der Positionen der drei bürgerlichen Parteien bei vielen wichtigen Themen. So hat das Parlament beispielsweise bei der Energiestrategie 2050 zurückbuchstabiert, indem auf eine genau festgelegte Laufzeitbeschränkung für Atomkraftwerke verzichtet wurde.
Die Unternehmenssteuerreform III, die teilweise vom Parlament schon verabschiedet worden war, sieht eine ganze Reihe von Steuerreduktionen für Unternehmen mit den entsprechenden Folgen für die Steuereinnahmen des Bundes und der Kantone vor. Die jüngsten finanzpolitischen Entscheide kommen dem Militär, der Landwirtschaft und dem Strassenbau zugute. Entwicklungspolitik und Bildung stehen auf der Verliererseite.
Für diese Annäherung der bürgerlichen Parteien steht jedoch eine Nagelprobe an. Denn bei diversen Dossiers, insbesondere in der Aussenpolitik, vertreten SVP, FDP und CVP sehr unterschiedliche Positionen. Kompromisse scheinen dabei nicht in Reichweite. «Das wichtigste Geschäft der laufenden Legislatur ist die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative. Und da sind sich die bürgerlichen Parteien bis jetzt zumindest schon einmal nicht einig – personeller Neuanfang hin oder her. Bis jetzt war es so, dass eine Koalition aus FDP, CVP und der Linken die Europapolitik und insbesondere den bilateralen Weg gemacht hat», sagt Louis Perron.
Dabei ist keineswegs gesagt, dass die Einigung des Bürgerblocks nur negative Folgen für die Linken haben muss. Werden neoliberale Positionen zu weit getrieben, könnte das Volk an der Urne korrigierend eingreifen. Sozialdemokraten und Grüne könnten in diesem Falle vielleicht wieder Erfolge feiern, auf die sie schon lange warten. Das könnte beispielsweise bei der Unternehmenssteuerreform III der Fall sein. Die SP hat bereits ein Referendum angekündigt.
«Der bürgerliche Schulterschluss würde der Linken einen klaren Gegner geben. In der Kommunikation gegen aussen und der Kampagnenführung wäre dies ein Vorteil», analysiert Louis Perron. Und fügt an: «Wenn der bürgerliche Schulterschluss aber tatsächlich eine längerfristige Sache wird, dann bedeutet das jedoch schon einen Machtverlust für die Linke im Parlament. In der letzten Legislatur konnte die Linke einige Geschäfte prägen und mit der Mitte zum Teil eine Mehrheit bilden. Dies scheint momentan vorbei.»
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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