Coronavirus-Krise: Wie weiter mit der Entwicklungshilfe?
Die parlamentarische Beratung über die Strategie der internationalen Zusammenarbeit findet mitten in der Coronavirus-Krise statt. Diese prägt die Stimmung: Manche wollen die Mittel für krisengeschüttelte Länder aufstocken. Andere wollen das Geld angesichts der Krise lieber im Inland verwenden.
Die Schweizer Landesregierung will die Entwicklungszusammenarbeit zukünftig stärker fokussieren und dadurch wirkungsvoller machen. Dies schlägt der Bundesrat in seiner Botschaft zur Strategie der internationalen Zusammenarbeit für die Jahre 2021 bis 2024 vor.
Für die Umsetzung beantragt er dem Parlament – ähnlich wie in der vorangegangenen Periode – etwas über 11 Milliarden Franken.
Alle vier Jahre legen Bundesrat und Parlament die strategische Ausrichtung der internationalen Zusammenarbeit (IZA) fest. Für die Jahre 2021 bis 2024 setzt der Bundesrat folgende thematische Schwerpunkte: die Schaffung von menschenwürdigen Arbeitsplätzen vor Ort, der Kampf gegen den Klimawandel, die Reduktion der Ursachen von Flucht und irregulärer Migration sowie das Engagement für Rechtsstaatlichkeit. Der Bundesrat will sich geographisch stärker fokussieren sowie den Privatsektor stärker miteinbeziehen. Das Schweizer Parlament debattiert in der Sommersession über die Strategie.
Das Parlament debattiert nun über diese neue Strategie ausgerechnet mitten in der Coronavirus-Krise. Das kann nicht ohne Folgen bleiben. Das zeigte sich bereits bei der Debatte über die Aufstockung der internationalen Hilfe wegen der Coronavirus-Krise (siehe Box): Während die Linken beantragten, den Kredit für die humanitäre Hilfe angesichts der Krise zu verdoppeln, wollte die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) sämtliche Kredite komplett streichen.
Die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie treffen Entwicklungsländer besonders hart. Der Bundesrat beantragte deshalb Mittel zur Aufstockung der internationalen Hilfe, die das Parlament in der Sommersession genehmigt hat: ein Darlehen von 200 Millionen Franken an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), Nachtragskredite von 50,5 Millionen Franken für die humanitäre Hilfe und 57 Millionen Franken für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit sowie 25 Millionen Franken für den Katastrophenfonds des Internationalen Währungsfonds (IWF).
In einer MitteilungExterner Link schreibt die SVP: «Jetzt brauchen zuerst die Menschen in der Schweiz Hilfe.» Angesichts der vielen Schweizer Arbeitnehmenden in Kurzarbeit und der prognostizierten Arbeitslosenquote von 7% solle der Bundesrat zuerst die Menschen in der Schweiz unterstützen, statt Hunderte Millionen von Steuerfranken ins Ausland zu verschenken.
«Diese Reaktion war vorhersehbar», sagt Entwicklungsökonom und Dozent Fritz Brugger vom NADEL, dem ETH-Zentrum für Zusammenarbeit und Entwicklung. Brugger war viele Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, zunächst für Organisationen, dann als Berater für Wassermanagement, Landwirtschaft und Konzernverantwortung. «Wir müssen sicher überlegen, wie man das grosse Rettungspaket in der Schweiz finanzieren kann. Wenn es um Einsparungen geht, ist für verschiedene politische Positionen die Entwicklungszusammenarbeit immer das erste Opfer.»
Auch eine Chance
Dass die Debatte über die strategische Ausrichtung der internationalen Zusammenarbeit für die nächsten vier Jahre just in die Coronavirus-Krise fällt, ist laut Brugger aber auch eine Chance. «Die Krise hat gezeigt, dass eine Pandemie sich nicht an Grenzen hält. Das bedeutet, dass wir zusammenarbeiten müssen.» Diese Einsicht müsste eigentlich die multilaterale Zusammenarbeit stärken, hofft er.
Und: «Dass es sich dieses Mal um eine globale Krise handelt, bietet die Chance der Mehrbeachtung. Die Ebola-Epidemie in westafrikanischen Ländern wurde bei uns kaum wahrgenommen», so Brugger. Die Krise habe auch deutlich gemacht, dass unser Wohlergehen direkt vom Wohlergehen anderer Länder abhänge. «Es kann deshalb nicht in unserem Interesse sein, andere Länder in Armut zu lassen.» Es sei zudem nur eine Frage der Zeit, bis wieder eine Pandemie oder eine andere globale Herausforderung auf uns zukomme.
In der Sommersession berät das Schweizer Parlament über eine Kapitalerhöhung der Weltbankgruppe und der Afrikanischen Entwicklungsbank sowie über die Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021–2024 und die aussenpolitische Strategie 2020–2023.
Nicht zuletzt habe die Krise die schwierige Position der Weltgesundheitsorganisation aufgezeigt. «Weil die WHO von staatlichen Beiträgen abhängig ist, befindet sie sich immer auf einer diplomatischen Gratwanderung, wenn es darum geht, auf eine Epidemie oder Pandemie zu reagieren. Wir sehen jetzt im Umgang gegenüber China und den USA wie dünn das Eis ist, auf dem sich die WHO bewegt. Die Pandemie zeigt, dass wir eine selbständige WHO mit einer unabhängigen und gesicherten Finanzierung brauchen, damit diese ihre Führungsaufgabe wahrnehmen kann, gerade auch in Krisenzeiten.»
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Soforthilfe oder langfristige Unterstützung?
Die sofortige Reaktion des Bundesrates mit Krediten (siehe Box) sowie die Vorberatungen in den Kommissionen haben gezeigt, dass Sofortinvestitionen in die Humanitäre Hilfe oder Katastrophenhilfe weniger umstritten sind als langfristige Investitionen in Entwicklungszusammenarbeit.
«Das ist eine allgemeine Tendenz», sagt Brugger dazu. «Kurzfristige Hilfe ist unbestritten notwendig. Sie darf aber nicht auf Kosten der langfristigen Zusammenarbeit gehen. Diese ist notwendig, um die darunterliegenden systemischen Ursachen anzugehen. Im Fall der Covid-19 Pandemie zum Beispiel die Stärkung des Gesundheitswesens oder der Aufbau von sozialen Sicherungsnetzen.»
Wie geht es weiter?
Wie wird die Coronavirus-Krise die Entwicklungszusammenarbeit verändern? «Das ist eine schwierige Frage. Zum derzeitigen Zeitpunkt ist alles reine Spekulation», sagt Brugger. Wünschenswert wäre es seiner Meinung nach, wenn sich durch die Krise das Verständnis durchsetzen würde, dass eine nachhaltige Entwicklung heute nur noch global angegangen werden könne.
Die Krise könnte aber auch dazu führen, dass sich die Länder wieder auf sich selbst konzentrieren. Gerade zu Beginn der Krise bestanden gewisse Abschottungstendenzen. Auch in der Schweiz warnt der liberale Thinktank Avenir Suisse vor einer Re-Nationalisierung.
Laut Brugger bestehen derzeit Zeichen in beide Richtungen. «Ich bin tendenziell optimistisch, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, der multilaterale Weg sei wichtig.»
Für die Schweiz wünscht sich Brugger etwas mehr Mut: «Die Schweiz müsste ein Interesse haben, eine aktive Rolle zu spielen und sich mehr aus dem Fenster zu lehnen», sagt Brugger und denkt dabei insbesondere an die WHO, für deren Unabhängigkeit die Schweiz sich engagieren sollte. «Die Schweiz macht das selten mit lauten Tönen, was auch in Ordnung ist. Aber sie sollte im Verbund mit gleichgesinnten Ländern visionär vorausdenken.»
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