Die grössten Hürden für Frauen in der Schweizer Politik
In der Schweiz gibt es zehn Prozent mehr stimmberechtigte Frauen als Männer. Trotzdem sind Frauen in der Politik in der Minderheit – von den Kantonen bis in den Bundesrat. Eine Suche nach möglichen Gründen.
Am 20. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Noch nie gab es so viele Frauen, die für den Nationalrat kandidierten. Und trotzdem wird das nächste Parlament aller Voraussicht nach wieder von Männern dominiert werden.
Wie kommt es, dass es Frauen so viel schwerer haben, in der Politik zu reüssieren? Was sind die Hürden – und was sind Ursachen für ein Scheitern? Eine Spurensuche auf allen Ebenen des politischen Lebens.
Mitglieder und Delegierte
Egal wo man hinschaut: Frauen sind in der Politik stets mit einer Mehrheit von Männern konfrontiert. So auch bei der einfachsten politischen Beteiligung, der Mitgliedschaft. Unter den Mitgliedern der grossen Parteien gibt es 93’000 Frauen, verglichen mit 138’000 Männern.
Bei dieser Ungleichheit gibt es aber grosse Unterschiede. So gibt es zum Beispiel bei der stärksten Partei der Schweiz, der rechts-konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), doppelt so viele männliche wie weibliche Mitglieder. Dasselbe ist bei der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) der Fall.
Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) und die Sozialdemokratische Partei (SP) hingegen melden ungefähr 40 Prozent Frauen, die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) legt keine Zahlen offen. Niemand ausser den Grünen nähert sich der Parität.
Ähnlich sieht es auf der Ebene der Delegierten aus. Parteien zählen kaum, wie viele ihrer Delegierten Frauen sind. Deshalb haben SRF und RTS, das Schweizer Radio und Fernsehen der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz – beides sind Schwestergesellschaften von SWI swissinfo.ch – Fotos von Delegiertenversammlungen analysiert und den Männer- respektive Frauenanteil eingezeichnet. Sie geben das klare Bild, dass Frauen auch dort deutlich in der Minderheit sind – gerade bei Parteien rechts der Mitte.
Alice Glauser, SVP-Nationalrätin für den Kanton Waadt, findet das problematisch: «Die Strukturen sind von Männern für Männer geschaffen worden.» Dass es bei ihrer Partei so wenig Frauen gäbe, habe durchaus Einfluss auf die Politik der SVP, so Glauser.
«Die Themen der Rechtsparteien sind nicht immer jene, die Frauen am meisten interessieren.» Gemäss Glauser gibt es Themen, die «in Stein gemeisselt» sind und von denen die Partei nicht abrücken würde – auch wenn sich die Frauen dafür einsetzten.
Politische Ämter
Entscheidet sich eine Frau, für ein politisches Amt zu kandidieren, begegnet sie weiteren Hürden. Zwar repräsentieren Frauen 53 Prozent der Wählenden. Aber auf den Listen der Kandidierenden sind sie noch immer in der Minderheit.
Auf Ebene der Kantonswahlen, der mittleren Staatsebene in der föderalistischen Schweiz, kandidieren im Schnitt doppelt so viele Männer wie Frauen. In den letzten vier Legislaturperioden hat sich diese Quote kaum erhöht. Bis zu diesem Jahr. In mehreren Kantonen, die 2019 Wahlen abhielten, nahm sowohl die Zahl der weiblichen Kandidaten als auch jene der gewählten Frauen stark zu: So in Zürich, im Tessin und in Luzern.
Martine Docourt hat den Sprung in die Politik gewagt. Sie wurde in Neuenburg erst in den Stadtrat und dann in den Kantonsrat gewählt. Nun kandidiert sie für den Ständerat. Als sie in die Politik wechselte, entdeckte sie «eine gläserne Decke, wie in der Berufswelt.» Sexistische Kommentare und Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik haben ihre Karriere geprägt.
Diese Hindernisse hätten sie zusätzlich angespornt, aber Docourt überrascht es nicht, dass «es oft Frauen sind, die aufhören, wenn ein Kind kommt.» Mutterschaft als zusätzliche Hürde also?
Bringt 2019 die Wende?
Auf Bundesebene könnte 2019 ein Jahr des Wandels sein. Während der Anteil der Frauen bei den Kandidierenden für den Nationalrat seit mehr als 28 Jahren bei rund 30 Prozent stagnierte, stellen Frauen nun rund 40 Prozent der Kandidierenden.
In einigen Kantonen bleibt das Ungleichgewicht jedoch beträchtlich. Im Wallis, in St. Gallen und in Schwyz ist die 40-Prozent-Marke noch lange nicht erreicht. Auch bei einzelnen Parteien herrscht nach wie vor Ungleichheit: So schlägt die SVP noch immer eine Kandidatin pro drei Kandidaten vor. Die FDP ihrerseits ist die Partei, die die grössten Fortschritte bei der Erhöhung des Frauenanteils bei diesen Wahlen gemacht hat – von 31 auf 43 Prozent.
Wahlchancen nähern sich an
Frauen wollten schon seit der Einführung des Frauenstimmrechts in die Politik. Bloss wurden sie lange nicht gewählt. Zwischen dem Anteil der Kandidierenden und dem Anteil der Gewählten klafft seit 40 Jahren eine Lücke. Diese Lücke scheint aber stetig kleiner zu werden. 2015 war der Anteil der gewählten Frauen nur wenig tiefer als der Anteil der kandidierenden Frauen.
Auch hier ist die Situation von Partei zu Partei unterschiedlich. Im Jahr 2015 waren SVP-, Grünen- oder SP-Kandidatinnen fast so erfolgreich wie ihre männlichen Pendants. Bei der FDP hingegen hatten Frauen viel niedrigere Wahlchancen als Männer: Bei 31 Prozent Frauenanteil bei den Kandidierenden waren nach der Wahl nur 21 Prozent der Gewählten weiblich.
Wenn anteilsmässig weniger Frauen gewinnen als aufgestellt wurden, ist das ein Indiz für tiefere Positionen auf den Wahllisten. So waren 2015 bei den linken und den Mitte-Parteien mehr als zwei von drei Topplätzen auf den Listen männlich besetzt. Dabei ist erwiesen, dass solche die Wahlchancen stark erhöhen. Bei der SVP waren es fast drei von vier. Nur bei den Grünen und der SP gehörten die meisten Spitzenplätze Frauen.
Auch hier ändert sich die Situation für die Wahlen 2019. Mit Ausnahme der BDP positionieren alle Parteien mehr Frauen an den Spitzen ihrer Listen. Der Anstieg ist erneut besonders stark bei der FDP, die sich auf dieser Ebene dem Gleichstand nähert. Dies alles könnte auf einen historischen Anstieg des Frauenanteils hindeuten.
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