Italien und die Schweiz: Was passiert nach dem 4. März?
Am 4. März wählen die Italienerinnen und Italiener ein neues Parlament. Dieser wichtige Wahltermin wird auch in der Schweiz aufmerksam verfolgt. Denn der Wahlausgang kann wichtige Folgen für die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern haben. In diesen Beziehungen gibt es einige offene Baustellen und dunkle Schatten.
In den letzten Jahren gab es viele Dossiers, welche die Schweiz und Italien gemeinsam beschäftigten. Man denke nur an die grenzüberschreitende Kooperation in Migrationsfragen, die Regelungen im Finanz- und Bankensektor oder die Besteuerung von Grenzgängern.
Was wird aus den Grenzgänger-Abkommen?
Besonders das Dossier rund um die Besteuerung von Grenzgängern ist ein wichtiges Thema für viele italienische Arbeitnehmende. In der Wahlkampagne hat Matteo Salvini, Leader der Rechtspartei Lega Nord, allzu hohe Erwartungen ein wenig gebremst. Die Hoffnungen von Schweizer Seite, dass das Abkommen endlich unterzeichnet werden kann, wurden gedämpft.
«In Italien gibt es einigen Widerstand gegen das Abkommen, die Regierung hat ihre Verpflichtung nicht zu einem Abschluss gebracht», räumt Gianni Farina ein. Er ist Präsident der interparlamentarischen Freundschaftsgruppe Italien-Schweiz und als Auslandsitaliener mit Wohnsitz in der Schweiz Kandidat für den Partito Democratico (PD, Mitte-links) im Wahlkreis Europa.
«Die Parlamentswahlen haben die Sache tatsächlich komplizierter gemacht, aber ich glaube nicht, dass das Grenzgänger-Abkommen deshalb am Ende nicht unterzeichnet wird», hält Farina fest. Der Parlamentarier verweist darauf, «dass die Mitte-Rechts-Parteien in dieser Frage nicht einer Meinung sind». Doch er schliesst aus, dass etwa die Mitte-rechtsgerichtete Forza Italia einen Rückzieher macht in Bezug «auf einen Kompromiss, der einen jahrlangen Streit beendet hat».
Weniger rosig sieht es Stefano Gualandris (Lega). Seiner Meinung nach ist die Besteuerung der Grenzgänger «vorab eine italienische Frage, die in Italien gelöst werden muss». Es gehe dabei auch um das Problem der Anerkennung «von bestimmten Rechten, welche die Schweiz gar nicht betreffen».
Der Lega-Vertreter hält fest, «dass diese Kategorie von Arbeitnehmern – die Grenzgänger – sicherlich nicht aus Ratten besteht, so wie sie in politischen Kampagnen des Kantons Tessin dargestellt wurde». Wichtig sei, dass man weiterhin einen Grenzbereich von 20 Kilometern definiere, in dem Grenzgänger leben, auch um einem Lohndumping in der Schweiz vorzubeugen. «In der nächsten Legislatur muss die Road Map zwischen Italien und der Schweiz angepackt werden, mit einigen Verbesserungen», so Gualandris.
Kein gutes Haar am Grenzgänger-Abkommen lässt hingegen Daria Costeniero, Kandidatin der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S, Mitte-links). Ihrer Meinung nach steigt die Steuerbelastung für Grenzgänger mit dem neuen Abkommen erheblich. «Die Grenzgänger werden so daran erinnert, wie gierig der Fiskus in Italien ist», hält die M5S-Kandidatin fest. Ihrer Meinung nach hat die geltende Regelung den Vorteil, dass mehr Geld in den Taschen der Grenzgänger bleibt, was für die direkte und indirekte Wertschöpfung dies- und jenseits der Grenze von Vorteil sei.
Freizügigkeit als Knackpunkt
Eine Bedrohung für die bilateralen Beziehungen Schweiz-Italien sind aus italienischer Sicht die stetigen Angriffe aus der Schweiz auf die Personenfreizügigkeit (im Rahmen der Abkommen mit der EU), die vom rechten politischen Spektrum mit Regelmässigkeit lanciert werden. So betonte die italienische Regierung stets, dass eine Ratifizierung des Grenzgänger-Abkommens nur denkbar sei, wenn die von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) lancierte und 2014 vom Volk angenommene Masseneinwanderungs-Initiative eurokompatibel umgesetzt wird.
Für Ärger in Rom sorgten auch einige Initiativen des Kantons Tessin, die als unvereinbar mit den bilateralen Verträgen erachtet werden – etwa die obligatorische Forderung von Strafregisterauszügen für Antragsteller von Grenzgänger- oder Aufenthaltsbewilligungen, aber auch die Pflicht zu einem Eintrag der Handwerker in ein kantonales Register.
Nicht zuletzt kam es auch in Folge der Annahme der Volksinitiative «Zuerst die Unsrigen!» (Prima i nostri!) sowie der nächtlichen Schliessung einiger Grenzübergänge zu Spannungen zwischen den Nachbarn.
Diese Massnahmen haben in der italienischen Politik zumindest teilweise für Verwunderung gesorgt: «Die Schweiz hat Infrastrukturen für mehr Freizügigkeit in Europa verwirklicht, damit sich Menschen näher kommen», betont Farina. «Ein grossartiges Werk wie Alptransit mit dem Gotthard-Basistunnel wurde sicherlich nicht gebaut, um nur schneller von Zürich nach Lugano zu fahren. Das wäre absurd», hält der Präsident der interparlamentarischen Gruppe Italien-Schweiz fest. Seiner Meinung nach «ist das Volk häufig weiser als seine Repräsentanten, und die Welt ist fortschrittlicher als es durch die kontinuierliche Parteienpolemik den Anschein macht».
Laut Farina sind die Lombardei und das Tessin schliesslich eine Einheit. Abgesehen von den jeweiligen Interessen, Erwartungen und gewissen Privilegien seien diese beiden Realitäten dazu bestimmt, «gemeinsam voranzuschreiten».
Fünf-Sterne-Kandidatin Costeniero betont in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, sich bei der Bewirtschaftung von Migrationsströmen abzusprechen. Sie hält manche Schweizer Positionen für zu unnachgiebig, befürchtet auch schädliche Auswirkungen für die Wirtschaft, im Falle eines Aufkündigens der bilateralen Verträge. Auch in anderen Bereichen, etwa der Bekämpfung der Kriminalität, könnte sich das Fehlen von bilateralen Verträgen negativ auswirken, weil dann der Zugang zu EU-Datenbanken nicht mehr gegeben sei.
Die Analyse von Lega-Mann Gualandris fällt ähnlich aus. «Die SVP-Initiative zur Kündigung der bilateralen Verträge ist an sich nachvollziehbar, aber auch aus einer Schweizer Perspektive ziemlich gefährlich, weil ein Volksentscheid mit einer Aufkündigung der Personenfreizügigkeit sehr negative Folgen für die Schweizer Wirtschaft haben könnte», meint er.
«Auch wir sind gegen die EU in ihrer heutigen Form, und einige Regeln gefallen uns überhaupt nicht. Aber ein allfälliger Ausstieg aus dieser Gemeinschaft wäre sicherlich keine Lösung für Italien», hält er fest. Auch für die Schweiz würden wohl wichtige Kooperationen entfallen, etwa in den Bereichen Energie Verkehr und Wissenschaft (Programm Erasmus).
Schweizer Banken in Italien diskriminiert
Doch das aktuell heikelste Dossier im Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betrifft mit Sicherheit den Finanzmarkt. In den letzten Monaten kam es zu einigen Spannungen. Brüssel übt Druck auf die Schweiz aus, um ein institutionelles Rahmenabkommen abzuschliessen. Die EU-Kommission hat die Schweizer Börsenäquivalenz nur um ein Jahr verlängert.
Schweizer Banken und Finanzinstitute sind auf dem italienischen Markt benachteiligt, nachdem das Gesetzesdekret 129 vom 3. August 2017 (als Umsetzung der Verordnung Ue 65 von 2014) Banken zwingend vorschreibt, Niederlassungen in Italien zu haben, um dort operativ sein zu können.
«Die Regeln für den Marktzugang sind im Grundsatz durch die EU geregelt», hält Costeniero (M5S) fest. Sie hat den Eindruck, dass der jetzige Zustand instrumentalisiert wird. Es sei legitim, wenn die Schweiz versuche, den bilateralen Weg zu gehen. «Eine stärkere Öffnung des Marktes ist letztlich aber im Interesse der beiden Länder, um die Dienstleistungen für ihre Bürger zu verbessern», meint sie.
Kritischer äussert sich Gualandris (Lega), der es für absurd und nicht rechtfertigbar hält, dass die Schweiz, die Transparenz garantiere, wie ein Land behandelt werde, «das illegal agiert». Die Regeln, die den Schweizer Finanzdienstleistern aufgebürdet würden, «sind Ausdruck eines protektionistischen Geistes, der dieser Regierung zu eigen ist».
Farina (PD) schliesslich ist der Meinung, «dass das Prinzip der Gegenseitigkeit in Finanzfragen gelten muss». Er teilt den Vorwurf dagegen, dass die Schweizer Finanzdienstleister in Italien diskriminiert werden. Erst nach den Wahlen vom 4. März wird sich zeigen, ob in dieses Dossiers Bewegung kommt.
Marco Romano will den Spiess umkehren
Mit Datum vom 27. Februar 2018 hat der Christlichdemokratische Tessiner Nationalrat Marco Romano eine MotionExterner Link eingereicht (18.3027), in der er fordert, dass die Schweiz ihrerseits das Abkommen über die Grenzgänger-besteuerung erst unterschreibt, wenn Italien den Schweizer Finanzdienstleistern den freien Marktzugang gewährt hat.
Gemäss Romano und Mitunterzeichnern ist durch die Einführung eines Mindestlohnes im Tessin das Interesse der Schweiz an einem solchen Grenzgängerbesteuerungs-Abkommen gesunken, da ein solches ursprünglich auch als Massnahme gegen Lohndumping gedacht war.
Umgekehrt sei das Interesse auf italienischer Seite höher, weil Mehreinnahmen von 300-600 Millionen Franken pro Jahr erwartet würden.
Die Schweiz müsse daher den Marktzugang von Finanzdienstleistern als Gegenleistung für die Unterzeichnung des Grenzgänger-Abkommens verlangen.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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