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«Vergessene» Treibhausgase torpedieren Pariser Klimaziele

Homme jetant du fertilisant sur un champ.
Der übermässige Einsatz von Stickstoffdüngern in Entwicklungsländern trägt zum Anstieg der Emissionen von Lachgas, einem starken Treibhausgas, bei. Keystone / Hotli Simanjuntak

Kohlendioxid ist das bekannteste Treibhausgas. Aber es ist nicht das einzige. Methan und Lachgas tragen ebenfalls zur globalen Erwärmung bei. swissinfo.ch zeigt auf, wie sich die Emissionswerte dieser Klimagase in der Schweiz und auf der ganzen Welt entwickelt haben. Und welche Lösungen es gibt, um den Ausstoss zu begrenzen.

Kohlendioxid ist das bekannteste Treibhausgas. Aber es ist nicht das einzige. Methan und Lachgas tragen ebenfalls zur globalen Erwärmung bei. swissinfo.ch zeigt auf, wie sich die Emissionswerte dieser Klimagase in der Schweiz und auf der ganzen Welt entwickelt haben. Und welche Lösungen es gibt, um den Ausstoss zu begrenzen.

Der 12. Dezember 2015 ist ein historisches Datum im Kampf gegen den Klimawandel. Nach langen und intensiven Diskussionen, die über den offiziellen Schlusstermin der UNO-Klimakonferenz COP21 hinausreichten, verabschiedeten die Vertreterinnen und Vertreter von 195 Ländern das erste globale und rechtsverbindliche Abkommen zur Reduktion von Treibhausgasen.

Mit dem Pariser Klimaabkommen, das die Schweiz im Juni 2017 ratifiziert hat, verpflichtet sich die Weltgemeinschaft, den globalen Temperaturanstieg «deutlich unter 2 Grad Celsius» gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen.

Während sich die Klimabemühungen auf die Reduktion von Kohlendioxid (CO2) konzentrieren – etwa durch eine CO2-Abgabe oder Massnahmen zur Verminderung der Nutzung fossiler Brennstoffe –, sammeln sich andere Treibhausgase in der Atmosphäre an. Es sind Gase, die ebenfalls erheblich zur globalen Erwärmung beitragen, aber manchmal einfach «übersehen» werden. Manche Wissenschafter sprechen daher auch von den «vergessenen Treibhausgasen».

Dabei besteht die konkrete Gefahr, dass die Zunahme dieser Emissionen dazu führt, dass die Ziele des Pariser Abkommens ausser Reichweite geraten. Eine internationale StudieExterner Link, an der auch die Universität Bern teilgenommen hat, vertritt diese These.

Die derzeitigen Entwicklungen sind zu langsam, um die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 zu halbieren und bis 2050 die Klimaneutralität zu erreichen: Das geht aus einem Bericht Externer Linkhervor, der wenige Wochen vor dem fünften Jahrestag des Pariser Klimaabkommens veröffentlicht wurde.

Um die Klimaziele zu erreichen, müsse der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung verfünffacht, die Abholzung der Wälder gestoppt und die Emissionen aus der landwirtschaftlichen Produktion bis Mitte des Jahrhunderts um fast 40 Prozent reduziert werden, heisst es in dem Bericht.

Optimistischer ist die Nichtregierungsorganisation Carbon Action Tracker, die auf der Grundlage der von Grossmächten wie China, Japan und dem neuen US-Präsidenten Joe Biden angekündigten Klimapolitik einen Anstieg der Erdtemperatur um 2,1 Grad Celsius prognostiziert. Damit könnte das vom Pariser Klimaabkommen gesetzte Ziel so gut wie erreicht werden.

Was sagt die Wissenschaft?  «Zu Recht gibt es im Rahmen der Klimadebatte einen Fokus auf CO2, da es für mehr als 65 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist und am längsten in der Atmosphäre verbleibt. Da wir uns auf das Ziel von Netto-Null-Emissionen geeinigt haben, müssen wir uns aber mehr denn je auch auf andere Treibhausgase konzentrieren», schreibt Pep Canadell, Direktor der internationalen Organisation Global Carbon Project, in einer E-Mail an swissinfo.ch.

Aber um welche Gase handelt es sich und welche Auswirkungen haben diese auf das Klima?

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Lachgas, aber es gibt nichts zu lachen

Methan (CH4) ist nach Kohlendioxid das Gas, das die grössten Auswirkungen auf das Klima hat. Etwa 40 Prozent des Methans entsteht durch den Abbau von organischem Material in sauerstofffreier Umgebung und wird durch natürliche Prozesse gebildet.

Die restlichen 60 Prozent sind anthropogenen Ursprungs und stehen in Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Aktivitäten, insbesondere der Viehzucht, der Abfallbehandlung sowie der Kohle- und Erdölindustrie. WWF SchweizExterner Link schreibt: «Die Methan-Rülpser der Schweizer Milchkühe und die Produktion ihrer Futtermittel erhitzen das Klima und bedrohen damit auch unsere Existenz.»

Treibhausgase halten die von der Erdoberfläche reflektierte Sonnenstrahlung in der Atmosphäre zurück. Der Treibhauseffekt ist ein normales und natürliches Phänomen für das Leben auf der Erde: Ohne diesen Effekt läge die Durchschnittstemperatur der Erde bei -18°C statt bei +15°C.

Treibhausgase können einen natürlichen oder anthropogenen (menschengemachten) Ursprung haben. Die wichtigsten sind Wasserdampf (H2O), das in der Atmosphäre am häufigsten vorkommende Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) sowie Distickstoffoxid (N2O), Methan (CH4), Schwefelhexafluorid (SF6) und Halogenfluorkohlenwasserstoffe (z.B. FCKW).

Das natürliche Gleichgewicht zwischen Ein- und Abstrahlung wird aber durch die vom Menschen verursachten Treibhausgase gestört. Seit Beginn der Industrialisierung steigen die Emissionen von klimawirksamen Gasen wie Kohlenstoffdioxid (CO₂), Methan und Lachgas drastisch an Heute misst man 40 Prozent mehr CO2 als noch zu Beginn des Industriezeitalters

Distickstoffoxid (N2O), besser unter dem Namen Lachgas bekannt, entsteht seinerseits hauptsächlich durch intensive Landwirtschaft (Düngung), die Verbrennung fossiler Brennstoffe und bestimmte industrielle Prozesse. Obwohl Methan und Lachgas in der Atmosphäre in tieferen Konzentrationen als CO2 vorhanden sind, haben sie ein viel höheres Erderwärmungspotenzial.

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80 Prozent der Emissionen aus der Landwirtschaft

Der Anteil der verschiedenen Treibhausgase an den globalen Emissionen variiert von Land zu Land. Brasilien mit seinen riesigen Viehzuchtbetrieben und ausgedehnten Landwirtschaftsflächen ist das Industrieland, das proportional am meisten Methan und Distickstoffoxid produziert.

In der Schweiz stammen laut AgroscopeExterner Link, dem Schweizer Kompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung, 80 Prozent der Lachgas- und 83 Prozent der Methanemissionen aus der Landwirtschaft.

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Konflikt zwischen Nahrung und Klima

Wie bei CO2 erhöhen sich die Konzentrationen von Methan und Lachgas in der Atmosphäre konstant. Seit dem vorindustriellen Zeitalter sind sie um 260 beziehungsweise 23 Prozent gestiegen.

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Die Hauptursache für die Zunahme von Lachgas ist die wachsende Nachfrage nach Nahrungs- und Futtermitteln. Genauer gesagt, der zunehmende Einsatz von Stickstoffdüngern und die Entwicklung der Viehzucht, wie Fortunat Joos, Professor für Klimaphysik an der Universität Bern, gegenüber swissinfo.ch sagt. Er ist Co-Autor einer bedeutenden Studie über die Entstehungsursachen von Lachgas.

Anders gesagt: Es gibt einen Konflikt zwischen der Nahrungsmittelproduktion für die Menschheit und dem Ziel, die Klimaerwärmung zu drosseln. Ein interessantes Detail: Die Zunahme der Emissionen von Lachgas ist nicht auf dem ganzen Planeten festzustellen, sondern betrifft hauptsächlich Schwellenländer wie China, Brasilien und Indien. Europa ist die einzige Region, in der die N2O-Emissionen in den letzten 20 Jahren zurückgegangen sind. Dies gilt auch für die Schweiz, wo es zwischen 1990 und 2010 einen Rückgang um 10 Prozent gab – seither blieben die Werte stabil. Grund für die Entwicklung ist ein Rückgang des Viehbestands und der Einsatz mineralischer Düngemittel.

Die Emissionen von Methan haben ihrerseits aufgrund der Emissionen aus der intensiven Viehhaltung und der Verarbeitung fossiler Brennstoffe beispiellos hohe Werte erreicht. Auch hier gibt es regionale Unterschiede. Europa ist der einzige Kontinent, auf dem die CH4-Emissionen zurückgegangen sind.

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Wie die Emissionen senken?

Innovative Technologien ermöglichen es heute, Kohlenstoffdioxid aus der Luft zu filtern, beispielsweise dank einer vom Schweizer Startup Climeworks entwickelten Methode. Für Methan und Lachgas gibt es hingegen keine vergleichbaren Technologien. Dafür gibt es aber einige Ideen, um deren Mengen in der Atmosphäre zu reduzieren, wie Pep Canadell sagt.

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Der Kohlebergbau und die Erdgasproduktion könnten ihre Methanverluste ohne grössere Probleme reduzieren, meint der Direktor des Global Carbon Project. Dies hätte einen raschen und unmittelbar positiven Effekt auf die globale Erwärmung, da die Lebensdauer von Methan in der Atmosphäre etwa zehn Jahre betrage, das heisst ein Zehntel der Lebensdauer von Kohlendioxid.

Für die Reduktion von Lachgas ist es hingegen laut Pep Canadell nötig, Düngemittel mit grösserer Präzision und Wirksamkeit einzusetzen. Wissenschaftler der ETH ZürichExterner Link sind der Ansicht, dass viele Länder, darunter auch die Schweiz, weniger Stickstoffdünger in der Landwirtschaft einsetzen könnten, ohne dass die landwirtschaftlichen Erträge verringert würden.

Viehfutter modifizieren

Auch Fortunat Joos von der Universität Bern empfiehlt einen geringeren Einsatz von Düngemitteln. Industrielle Emissionen von N2O, wie etwa jene der Lonza-Werke im Wallis, sollten durch den Einsatz von Katalysatoren vollständig ausgemerzt werden.

In Bezug auf Methan erwähnt Joos die Möglichkeit, die Futtermittel von Wiederkäuern zu ändern. Einige Schweizer Unternehmen experimentieren mit der Produktion von natürlichen Futtermittelzusätzen und synthetischen Lebensmittel-Zusammensetzungen, die ihrer Meinung nach den Methan-Ausstoss von Rindern um 30 Prozent reduzieren könnten.

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Das landwirtschaftliche Kompetenzzentrum Agroscope schätzt, basierend auf praktischen Pilotprojekten, dass mit technischen Massnahmen die Methan- und Lachgas-Emissionen um rund 10 Prozent reduziert werden könnten. Weiter gehende Reduktionen könnten nur durch strukturelle Veränderungen in der Landwirtschaft erreicht werden, beispielsweise durch eine Verringerung des Viehbestands, heisst es auf Anfrage von swissinfo.ch.

Weniger Fleisch essen reicht nicht

Eine Veränderung der Zusammensetzung von Viehfutter allein wird aber nicht ausreichen, um den Klimawandel zu bekämpfen, hält Fortunat Joos fest. Es wird seiner Meinung nach auch notwendig sein, Lebensmittelabfälle zu vermeiden und weniger Fleisch zu essen.

«Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, ist es wichtig, die Emissionen der verschiedenen Treibhausgase in verschiedenen Bereichen zu reduzieren. Wenn es uns jedoch nicht gelingt, die CO2-Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe zu reduzieren, werden alle anderen Anstrengungen wie das Pflanzen von Bäumen, der Verzehr von weniger Fleisch oder die Produktion von weniger Abfall nicht reichen, um die globale Erwärmung zu begrenzen», sagt Joos.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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