Pestizide: Auch in Frankreich formiert sich Widerstand
Der Kampf gegen Pestizide hat in Frankreich dank einer Petition einen Achtungserfolg erzielt. Doch gesetzlich änderte sich nichts. Also beginnen die Landwirte ihre Praktiken zu ändern – und schauen interessiert auf die Schweiz.
«Wir wollen Mohnblumen». Das war der Titel der PetitionExterner Link. Im September 2020 reichten die Initiatoren über 1,1 Millionen Unterschriften ein. Und seit zwei Jahren bringt die Initiative, die ein Verbot synthetischer Pestizide fordert, Tausende von Franzosen aus allen Gesellschaftsschichten zusammen. Jeden ersten Freitag im Monat demonstrieren sie friedlich vor den Rathäusern im Land.
1,1 Millionen Unterschriften: In der Schweiz würde das den Beginn eines Prozesses markieren, der zu einer Volksinitiative und möglicherweise zu einer Verfassungsänderung führt. In der Schweiz wird die Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» am 13. Juni dem Volk vorgelegtExterner Link. Nicht aber in Frankreich.
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Vom Winde verweht oder wenn Pestizide Grenzen überschreiten
Zwar unterschreibt Umweltministerin Barbara Pompili die Petition, zur grossen Überraschung der Initiatoren. «Aber gleichzeitig akzeptierte sie die Rückkehr der Neonicotinoide, dieser Bienen-Killer, um die französische Rübe zu retten. Es tut einem im Herzen weh.» Das sagt Fabrice Nicolino, er ist Präsident der Vereinigung «Wir wollen Mohnblumen». Trotz des Erfolgs der Petition habe sich nicht ein Beamter die Mühe gemacht, die Aktivisten zu kontaktieren. «Das beleidigt meine Vorstellung von Demokratie», sagte der Charlie Hebdo-Journalist.
Hohe Hürden für eine Petition
In Frankreich, wo es keine direkte Demokratie gibt, müssen fast 5 Millionen Unterschriften gesammelt werden und dazu jene von 185 Parlamentsabgeordneten, um ein Referendum zu erlangen. Ein Ziel, das bisher noch nie erreicht wurde. «Das Referendum ist darauf ausgelegt, dass es nicht funktioniert», sagte Corinne Lepage, sie ist ehemalige Ministerin von Jacques Chirac, jetzt als führende Umweltanwältin tätig.
Inzwischen nimmt «Wir wollen Mohnblumen» keine Unterschriften mehr an. «Wir hatten angekündigt, dass wir nach zwei Jahren aufhören würden», sagt Fabrice Nicolino. «Wir konnten die Meinungen bewegen, aber nicht das Monster». Nicht also den Staat, die Agro-Industrie und die grossflächige, intensive Landwirtschaft. «Ich bete, dass die Schweizer Initiative angenommen wird», sagt der Journalist des sehr weltlichen Charlie Hebdo.
Ziel himmelweit verfehlt
Auf Landesebene folgen sich in Frankreich die «Öko-Pflanzenschutz-Pläne» aufeinander. 2008, unter Nicolas Sarkozy, war der Plan, synthetische Pestizide in zehn Jahren um 50% zu reduzieren. Das Gleiche im Jahr 2015, unter François Hollande. Die Bilanz ist dünn. Der Einsatz von Pestiziden ist in zehn Jahren um 20 % gestiegen.
Und die «gefährdeten Zonen», in denen das Wasser teilweise nicht mehr trinkbar ist, breiten sich aus, vor allem im Westen Frankreichs.
Der Bauernhof von Jean-Bernard Lozier befindet sich in einer gefährdeten Zone, in der Nähe eines Wassereinzugsgebiets in der Region L’Eure in der Normandie. Es ist einer der Gründe, die ihn dazu brachten, seine Anbau-Praxis zu ändern.
Jean-Bernard Lozier macht nicht auf biologische Landwirtschaft, sondern auf «integrierte». Er reduziert den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln so weit wie möglich, verzichtet aber nicht darauf, wenn nötig. Er verkauft in den internationalen Kreisläufen der traditionellen Landwirtschaft und nichts weist bei seinen Produkten auf die Anstrengungen hin, die er unternimmt, um das glyphosathaltige «Round-up» und andere Pestizide zu vermeiden.
Lob für das Schweizer Anreizsystem
«Nur weil mein Weizen gut ist, sollte er nicht teurer sein», sagt der Sohn eines Landwirts. Es ist Aufgabe des Staates, die Landwirte durch seine Hilfen zu ermutigen, synthetische Pestizide einzuschränken und sich für die Agrarökologie zu engagieren», sagt Jean-Bernard Lozier.
«Ich war vor fünf Jahren in der Schweiz, um das dortige Agrarsystem zu studieren. Die Art und Weise, wie Subventionen funktionieren, schien mir der EU-Agrarpolitik bereits weit voraus zu sein», sagt er. Es gäbe mehr Unterstützung für Landwirte, welche Rücksicht auf die Umwelt nähmen.
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In der Schweiz wird am 13. Juni auch eine zweite Initiative zur Abstimmung gebracht: «Für sauberes Trinkwasser». Wenn sie durchkommt, werden nur noch Landwirte Subventionen erhalten, die auf den Einsatz von Pestiziden und den regelmässigen Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung verzichten.
«Wenn sich 80 % der Landwirte verpflichten, den Einsatz von Chemikalien um 50 % zu reduzieren, ist die Wirkung grösser, als wenn sich nur eine Minderheit zum ökologischen Landbau bekennt.»
Jean-Bernard Lozier, Landwirt aus der Normandie
In der Europäischen Union», so Jean-Bernard Lozier weiter, «sollen 30 % der Beihilfen von Umweltkriterien abhängen, aber fast alle erfüllen diese Kriterien problemlos.» Die Subventions-Strategie wird zwar überarbeitet, aber die Chancen, dass die Ökologie wirklich berücksichtigt wird, sind gering. «Im Moment haben wir nur die Etiketten geändert», sagt der Landwirt.
«Wenn sich 80 % der Landwirte verpflichten, den Einsatz von Chemikalien um 50 % zu reduzieren, ist die Wirkung grösser, als wenn sich nur eine Minderheit zum ökologischen Landbau bekennt», sagt Lozier. Aber es sei machbar. Indem in einem Neun-Jahres-Zyklus jährlich seine Kulturen wechselt, indem er Getreide und Hülsenfrüchte mischt, indem er altes, in Vergessenheit geratenes Wissen rehabilitiert. So kommt Jean-Bernard Lozier mit einem recht anständigen Einkommen aus.
«Die Bauern brauchen Hilfe»
Lozier sagt: «Wir sollten den Bauern nicht die Schuld geben. Nach dem Krieg wurde ihnen gesagt, sie sollten Volumen produzieren und das taten sie. Jetzt werden sie aufgefordert, gesunde Produkte herzustellen. Wir müssen ihnen helfen, dies zu schaffen.» Jean-Bernard Lozier ist Teil des Netzwerks von rund 3000 Betrieben, die in dieser Richtung wirtschaften. In Frankreich ist es eine winzige Minderheit im Vergleich zur allmächtigen produktionsorientierten Landwirtschaft.
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Die Reduzierung des Einsatzes von synthetischen Pestiziden war auch einer der Vorschläge der Klimakonvention. Mitten in der «Gelbwesten»-Krise reagierte Präsident Emmanuel Macron auf drängende Forderungen nach partizipativer Demokratie mit der Gründung dieses Konvents, dessen Mitglieder per Los aus der französischen Bevölkerung gezogen werden.
Gebrochenes Versprechen
«Unser Auftrag war es, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren», erinnert sich Matthias Martin-Chave, einer der 150 ausgelosten Kongressteilnehmer. Der Präsident hat uns versprochen, dass er unsere Vorschläge «ungefiltert an das Parlament» weitergeben werde. Er hat es nicht getan.» Die Regierung hat in der Tat einige Massnahmen aus ihrem Klimagesetz zurückgezogen.
Die Klimakonvention schlug vor, die gefährlichsten Pestizide zu verbieten und Pflanzenschutzmittel bis 2025 um 50% zu reduzieren. «Der Gesetzentwurf nimmt keine Rücksicht auf diese Richtlinien», sagt Matthias Martin-Chave.
Obwohl Frankreich lange Zeit der grösste Pestizid-Anwender in Europa war, wird es nun von Spanien überholt und von Italien und Deutschland eingeholt. Bezogen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche liegt der Einsatz von Pestiziden in Frankreich leicht über dem europäischen Durchschnitt, bleibt aber halb so hoch wie in Belgien, den Niederlanden oder Italien.
Auf deutscher Seite hat die Regierung im vergangenen Februar einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Einsatz von Pestiziden an Gewässern und in Naturschutzgebieten drastisch einschränken soll, um den massiven Rückgang der Insekten zu stoppen. Berlin wird die Verwendung von schädlichen Produkten in der Nähe von Wasserläufen verbieten, und zwar innerhalb eines auf lokaler Ebene festzulegenden Perimeters.
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