Was steckt hinter den Heimaturlauben der Eritreer?
Die eritreischen Flüchtlinge in der Schweiz befinden sich seit einiger Zeit im Visier der politischen Rechten. Ihnen wird vorgeworfen, regelmässig in ihre Heimat zu reisen. Die Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga hat die Vorwürfe diese Woche im Parlament relativiert, aber gleichzeitig eine Verschärfung der Bestimmungen angekündigt. Doch was steckt hinter diesen angeblichen Heimaturlauben?
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Anerkannte Flüchtlinge mit Asylstatus, die Opfer von Verfolgungen waren, dürfen grundsätzlich keine Kontakte zu den Behörden ihres Heimatlandes pflegen. Auch Heimaturlaube sind ihnen untersagt. Dies bekräftigte Justizministerin Simonetta Sommaruga diese Woche in der FragestundeExterner Link im Nationalrat. Martina Andrea Geissbühler von der rechts-nationalen Schweizerischen Volkspartei (SVP) hatte wissen wollen, was es mit den Reisen von Flüchtlingen zum eritreischen Nationalfeiertag vom 24. Mai auf sich habe.
Das Thema der angeblichen Heimatreisen von Flüchtlingen aus Eritrea beschäftigt die Politik seit geraumer Zeit. Mehrere Medien hatten in den letzten Monaten berichtet, dass Flüchtlinge aus Eritrea regelmässig in ihr Heimatland zurückkehrten, um dort Ferien zu machen oder Verwandte zu besuchen. Diese Berichte wurden von den Rechtsparteien umgehend aufgegriffen. Man sprach von einem Skandal und einem Missbrauch des Asylrechts.
Doch wie viele Heimatreisen gibt es wirklich? Und welche Flüchtlinge kehren in ein Land zurück, dem die UNO-Untersuchungskommission «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» vorwirft?
Umfassende Zahlen gibt es nicht, denn anerkannte Flüchtlinge benötigen keine Bewilligung für eine Ausreise aus der Schweiz. Mit einer Reise nach Eritrea riskieren die anerkannten Asylbewerber allerdings, ihren Flüchtlingsstatus zu verlieren, weil sie gegen geltendes Recht verstossen.
Gemäss den Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM), die der Bundesrat am 13. Juni veröffentlicht hat, wurde seit Anfang 2015 sieben Eritreern nach einer nicht genehmigten Reise ins Heimatland das Asylrecht und der Flüchtlingsstatus aberkannt.
Zwischen 2010 und 2015 wurden gemäss Angaben des Staatssekretariats für Migration (SEM) insgesamt 591 Personen der Flüchtlingsstatus entzogen, weil sie sich unter den Schutz ihres Heimatstaates gestellt haben. Davon waren 13 Eritreer. Man könne aber nicht definitiv sagen, dass diese 591 Personen alle in den Heimatstaat zurückgereist seien. Es reiche unter Umständen auch aus, sich bei einer diplomatischen Vertretung einen heimatlichen Pass ausstellen zu lassen. Laut SEM gibt es keine genaue Statistik für Heimatreisen.
Justizministerin Simonetta Sommaruga sagte vor dem Parlament, «dass dem SEM bislang keine gesicherten Erkenntnisse zu solchen Heimatreisen in Bezug auf die Feierlichkeiten in Eritrea vorliegen.»
Bei der grossen Mehrheit der Reisenden dürfte es sich laut Sommaruga allerdings nicht um Asylsuchende oder anerkannte Flüchtlinge handeln, sondern um Eritreer, die schon länger in der Schweiz leben und teilweise bereits eingebürgert sind.
Diese Einschätzung wird von Veronica Almedom geteilt. Sie ist selber Eritreerin und Mitglied der eidgenössischen Migrationskommission (EMK): «Es handelt sich insbesondere um Personen, die schon vor der Unabhängigkeit Eritreas 1991 geflüchtet sind und somit nicht Opfer einer Verfolgung unter dem Regime von Isayas Afewerki waren.»
Handelt es sich um Propagandareisen?
Doch es stellen sich weitere Fragen: Wer oder was verbirgt sich hinter diesen Reisen? Veronica Almedom ist der Ansicht, dass das politische Regime von Eritrea beziehungsweise seine diplomatischen Vertretungen dahinter stecken könnten. Einzig das Konsulat in Genf ist befugt, solche Heimatreisen zu bewilligen. Dort werden Pass und Visa ausgestellt.
«Die Reisen sind ein Propaganda-Instrument der Regierung. Eritrea steht international immer stärker in der Kritik. Und daher wird alles unternommen, um zu zeigen, dass die Situation im Land gar nicht so problematisch ist wie dargestellt», meint Veronica Almedom. Das Konsulat von Eritrea in Genf antwortete auf Fragen von swissinfo.ch nicht.
Die Juristin Denise Graf ist bei Amnesty International für Asylfragen zuständig. Sie bezweifelt, dass sich unter den eritreischen «Heimaturlaubern» auch Flüchtlinge befinden, die erst unlängst in die Schweiz kamen. Es könne nicht darum gehen, allfällige Missbräuche zu billigen, doch diese Reisen seien in keiner Weise eine Eigenheit für die Gemeinschaft der Eritreer, «wie uns manche glauben lassen wollen».
Simonetta Sommaruga hat ihrerseits angekündigt, dass das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement in Kürze eine Gesetzesanpassung vorlegen werde, mit der das Reiseverbot besser durchgesetzt werden kann.
Flüchtlinge als politische Zielscheibe
Ein neuer Bericht der UNO-Kommission zu Eritrea, der am 8.Juni 2016 publiziert wurde, zeichnet ein düsteres Bild des Landes. Das ostafrikanische Land ist demnach weiterhin für «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» verantwortlich. Demnach würden Menschenrechte seit 25 Jahren systematisch und in grossem Stil verletzt – in den Gefängnissen, militärischen Ausbildungsstätten sowie an vielen weiteren Orten.
Der Bericht unterstreicht zudem, dass es in diesem «totalitären Staat» kein unabhängiges Justizsystem gibt. Durch die Abwesenheit demokratischer Institutionen sei ein «Klima der Straflosigkeit» entstanden. Die Kommission fordert, Gegenmassnahmen zu ergreifen, etwa eine Anklage beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), um sicherzustellen, dass Gerechtigkeit geschaffen wird.
Dieser zweite Bericht der Untersuchungs-Kommission für Eritrea, die 2014 vom UNO-Menschenrechtsrat geschaffen wurde, stellt laut Veronica Almedon ein wichtiges Zeichen für alle Opfer des Regimes dar und für all jene, die noch in den Gefängnissen sitzen und noch nie angehört wurden: «Die Forderung, Eritrea vor den internationalen Strafgerichtshof zu bringen, ist der Beginn einer langen Lobbyarbeit.»
Der UNO-Bericht wird offiziell am 21. Juni im Rahmen der nächsten Sitzung des UNO-Menschenrechtsrats in Genf präsentiert.
Zehntausende Eritreerinnen und Eritreer sind in den vergangenen Jahren nach Europa geflüchtet. In der Schweiz sind sie die grösste Gruppe ankommender Flüchtlinge. Zugleich ist eine politische Debatte um die Zustände in ihrem Heimatland entflammt.
Anfang Jahr reiste eine Gruppe von Schweizer Politikern nach Eritrea – auf Einladung des Schweizer Honorarkonsuls Toni Locher. Danach forderten Vertreter der politischen Rechten, den Dialog mit dem Regime von Eritrea zu intensivieren und die Möglichkeit von Repatriierungen zu prüfen. Denn in Wahrheit handele es sich bei den Eritreern um «Wirtschaftsflüchtlinge». Die Situation im Land sei nicht so dramatisch.
Für das SEM ist eine Repatriierung von Flüchtlingen momentan auf Grund der Lage in Eritrea hingegen nicht möglich. Diese Woche erklärte Petra Gössi, die neue Präsidentin der Freisinnigen Partei (FDP.die Liberalen), diese Einschätzung des SEM in Bezug auf Eritrea nicht zu teilen.
Eritrea vor dem Strafgerichtshof
Ist Eritrea ein sicheres Land? Aus dem neuesten Bericht der UNO-Kommission zu Eritrea geht dies nicht hervor. Ganz im Gegenteil.
Erstmals spricht die Kommission sogar von «Verbrechen gegen die Menschlichkeit». Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Daher solle der Internationale Strafgerichtshof angerufen werden. Aus Respekt vor der Genfer Konvention wird den Staaten empfohlen, schutzsuchenden Eritreern Asyl zu gewähren.
Der Bericht kommt zum Schluss, dass hinter der Fassade scheinbarer Ruhe und Normalität, so wie die Lage in Eritrea von gelegentlichen Besuchern wahrgenommen wird, sich in Wahrheit ein System verberge, in dem auf gravierende Weise Menschenrechte verletzt würden. Sklaverei, Folter, aussergerichtliche Hinrichtungen, das Verschwindenlassen von Menschen und Diskriminierungen seien an der Tagesordnung. Es scheint fast, als ob der UNO-Bericht hier auf die beschwichtigenden Schilderungen der Schweizer Parlamentarierdelegation reagieren wollte.
Der neueste Bericht der UN-Kommission zu Eritrea spricht von «Verbrechen gegen die Menschlichkeit». Sollte die internationale Gemeinschaft konkrete Massnahmen einleiten, um das Regime in Eritrea zu stürzen? Sagen Sie uns Ihre Meinung.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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