Generelle Aufhebung des Asylverfahrens steht derzeit nicht zur Debatte
Die Covid-19-Pandemie hat bisher wenig Auswirkungen auf die Asylverfahren in der Schweiz gehabt. Die Prüfung der Anträge wird fortgesetzt und auch Abschiebungen werden angeordnet. Organisationen, die sich für den Schutz von Migranten einsetzen, fordern eine Suspension des gesamten Prozesses während der Coronavirus-Krise
Eingeschränkte Bewegungsfreiheit, geschlossene öffentliche Institutionen, Versammlungsverbot… Die ganze Schweiz versucht, die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Doch diese Einschränkungen haben den Asylbereich noch nicht erreicht. Dort laufen Verfahren trotz der Pandemie weiter. Antragsteller müssen weiterhin bei Anhörungen anwesend sein. Sie können dabei noch immer negative Bescheide erhalten und abgeschoben werden.
Mehrere Länder, darunter Italien, weigern sich nun, Asylsuchende, die bei ihnen registriert sind, wiederaufzunehmen. Die Schweiz habe den Transfer noch nicht eingestellt, sondern prüfe von Fall zu Fall, ob eine Rückführung je nach Einreisebeschränkungen, Flugbedingungen und möglichen Gesundheitsrisiken für die Betroffenen möglich sei, teilt das Staatssekretariat für Migration (SEMExterner Link) mit.
Migranten haben nun jedoch nicht mehr das Recht, in die Schweiz einzureisen, um ein Asylgesuch zu stellen, ausser in Fällen der absoluten Notwendigkeit. Die Justiz- und Polizeiministerin Karin Keller-Sutter stellte klar, dass Personen, die sich an der Schweizer Grenze aufhalten, keiner besonderen Gefahr ausgesetzt seien, weil sie sich im Schengen-Raum befänden.
Das bedeutet, dass ihnen die Einreise in die Schweiz verweigert wird und sie in dem Land, in dem sie sich derzeit befinden, ein Asylgesuch stellen müssen. Personen, die sich bereits in der Schweiz befinden, können weiterhin ein Asylgesuch stellen.
Aufruf zur dringenden Aussetzung der Verfahren
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In der Schweiz «blockiert»: Abgewiesene eritreische Asylsuchende
Gesetzliche Vertreter der Asylsuchenden, sowie Migrationsrecht-Organisationen, darunter «Solidarités sans frontièresExterner Link«, Amnesty InternationalExterner Link und das «Centre social protestantExterner Link» haben in der vergangenen Woche ihren Appell an die Behörden gerichtet und eine Aussetzung des Verfahrens während der Corona-Krise gefordert. Das Schweizerische FlüchtlingshilfswerkExterner Link (SFH) stellte fest, dass die Gesundheitsvorschriften zur Bekämpfung der Pandemie nicht eingehalten wurden:
Die Interviews dauern länger als 15 Minuten und finden oft auf engem Raum statt. Die dafür aufzusuchenden Aufnahmezentren sind in der Regel isoliert und verlangen von allen Beteiligten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen. Auch das aktuelle Fernbleiben von Rechtsvertretern, Dolmetschern und Mitarbeitern des SEM macht es unmöglich, Fristen und Verfahrensvorschriften einzuhalten.
Darüber hinaus wird medizinisches Personal für die Betreuung der Covid-19-Patienten benötig. So bleibe keine Zeit, gründliche medizinische Berichte über den Gesundheitszustand der Asylsuchenden zu erstellen.
Die Verbände fordern auch die Aussetzung von Abschiebungen und die Freilassung aller Personen in Verwaltungshaft, die auf ihre Abschiebung warten. Ein Asylsuchender, der vor seiner Abschiebung in Genf inhaftiert war, wurde positiv auf das Coronavirus getestet und bei vier weiteren Personen wird vermutet, dass sie sich im selben Gefängnis mit der Krankheit angesteckt haben.
Die Entwicklungen sind im Gange
Das SEM reagierte dieses Wochenende und beschloss, die Anhörungen von Asylsuchenden ab Montag für eine Woche lang auszusetzen, um «zusätzliche strukturelle Sicherheitsmassnahmen wie Plexiglasfenster in den Anhörungsräumen anzubringen», sagte ein Sprecher. Eine generelle Aufhebung des Asylverfahrens steht aktuell jedoch nicht zur Debatte.
Neu wurden jetzt Aufnahmezentren eingerichtet, um die Asylsuchenden besser verteilen zu können. Die Mitarbeiter sind verpflichtet, die vom Bundesamt für Gesundheit empfohlenen Hygienemassnahmen zu befolgen und die Asylsuchenden dafür zu sensibilisieren. Die Anweisungen wurden in 15 Sprachen übersetzt und in den Zentren aufgehängt. Das SEM hat zusätzlichen Raum geschaffen, so dass die Personen in mehr Räumen untergebracht werden können. In den Aufnahmezentren des Bundes leben derzeit etwa 2200 Asylsuchende. Bis zu 4000 Plätze kann so eine Einrichtung fassen. Bei einigen Angestellten und Asylsuchenden wurde bereits eine Infizierung mit dem Coronavirus festgestellt.
Migrationsrecht-Organisationen sind der Ansicht, dass die Aussetzung der Befragungen von einer Woche, um Anpassungen vorzunehmen, weitgehend unzureichend ist. «Solidarités sans frontières» erinnert daran, dass bei einer Anhörung im Asylbereich mindestens fünf Personen für mehrere Stunden in einem kleinen Raum zusammenkommen und fordert das SEM auf, alle Verfahren unverzüglich auszusetzen.
(Übertragung aus dem Französischen: Joëlle Weil)
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