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Politischer Rückenwind für junge Sans papiers wächst

Jugendliche Sans papiers: Mit 16 wird ihr Leben sehr kompliziert. Keystone

Die politische Unterstützung für Tausende junger Menschen, die ohne Papiere in der Schweiz leben, wächst. Diese können zwar öffentliche Schulen besuchen, sind aber von einer Berufsausbildung ausgeschlossen.

In der Schweiz leben schätzungsweise 10’000 bis 30’000 Kinder und Jugendliche von Eltern, die illegal ins Land gekommen waren.

Die Kinder haben zwar auch illegalen Status, doch dürfen sie staatliche Schulen besuchen. Aber nur bis zum Alter von 16 Jahren. Danach endet ihre «halblegale» Existenz, der Weg einer Berufslehre oder ähnlichen Ausbildung ist ihnen verschlossen.

«Da tickt eine soziale Zeitbombe», sagt Antonio Hodgers gegenüber swissinfo.ch. Der Genfer sitzt für die Grüne Partei im Nationalrat (grosse Kammer).

«Wir lassen sie die obligatorische Schulzeit beenden, verwehren ihnen danach aber die Vorbereitung aufs Berufsleben oder den Zugang zu einem Job, auch wenn sie hier aufgewachsen sind.»

Antonio Hodgers reichte deshalb Ende letzten Jahres im Rat einen Vorstoss ein, der einerseits die Zulassung junger Sans papiers zur Berufsausbildung verlangt. Andererseits solle einen legalen Status erhalten, wer in der Schweiz geboren ist.

UNO-Konvention nur teilweise umgesetzt

Der Vorschlag, der von mehreren Parlamentarierinnen und Parlamentariern aller Parteien unterstützt wurde, verlangt vom Bundesrat, dass er die UNO-Konvention über die Rechte von Kindern auch auf die Kinder von Sans papiers anwendet. Die Schweiz unterzeichnete die Konvention 1997.

«Ich lade die Regierung ein, Artikel 2 der Konvention zu lesen. Darin ist festgehalten, dass Kinder nicht aufgrund des illegalen Status ihrer Eltern Opfer sein dürfen», so Antonio Hodgers.

Es sei der Entscheid von Eltern und nicht der Kinder, illegal in einem Land zu leben. «Sie sind ja nur ihren Eltern gefolgt, deshalb sollten sie nicht bestraft werden», so der Genfer.

Initiativen-Trio

Ende 2008 hatten Luc Barthassat von den Christlichdemokraten und Hodgers Parteikollege Christian van Singer ähnliche Begehren eingereicht. Auch diese warten noch auf die Behandlung unter der Bundeshauskuppel.

Laut van Singer sollen junge «Illegale» nicht nur eine Berufsausbildung absolvieren oder Studieren können. Sie sollen bei Abschluss der Ausbildung die Möglichkeit erhalten, Schweizer Bürger zu werden.

Bern sträubt sich

Auch auf kantonaler Ebene kam Bewegung in die Sache. Ende letzten Jahres hiess die Waadtländer Kantonsregierung eine Initiative gut. Diese verlangt vom Bundesrat die Schaffung eines Gesetzes, das die Berufsausbildung von jungen Sans papiers ermöglicht. Unterstützung erhält die Waadt von Genf sowie weiteren Kantonsregierungen.

Die Landesregierung ist grundsätzlich gegen solche Legalisierungen. Solche sollten nur ganz seltenen Einzelfällen vorbehalten sein. Eine generelle Amnestierung und Legalisierung junger illegaler Einwanderer wäre eine Belohnung ihrer Eltern und eine Ermutigung für andere, illegal in die Schweiz zu reisen, lautet die Haltung des Bundesrates.

Elektrische Träume

«Es ist ungerecht», sagt Andres* in der Westschweizer Zeitung 24 heures. Der 16-jährige Ecuadorianer, der als Zehnjähriger in die Schweiz kam, steht vor dem Abschluss seiner obligatorischen Schulzeit. Da er aber keine offiziellen Papiere hat, kann er keine Lehrstelle als Elektriker suchen, von der er träumt.

Der 18-jährige Bolivianer Carlos*, der seit dem achten Lebensjahr in Genf lebt, ist in derselben Situation – der Beruf des Baufachmanns bleibt für ihn ausser Reichweite. Dabei hatte es im November noch gut ausgesehen: Carlos hatte eine Lehrstelle gefunden. Aber als er keine ausreichenden Papiere vorweisen konnte, machte der Lehrmeister einen Rückzieher.

«Es wäre besser, uns gleich auszuweisen statt uns die Schule besuchen und unser Leben gestalten zu lassen», sagt der junge Bolivianer verbittert.

Ab 15 auf dem Abstellgleis

Fatima kam im Alter von sechs Monaten in die Schweiz, als Tochter nordafrikanischer Eltern. Ihr ganzes bisheriges Leben hat die 21-Jährige in Lausanne verbracht.

«Ich habe hier keine Rechte, mein Leben steckt fest, seit ich 15 bin. Das ist unfair, weil meine Eltern sich entschieden, in die Schweiz zu kommen, nicht ich», sagt Fatima.

Überall gehörte sie zu den besten: In der Schule, als Klassensprecherin und als begeisterte Sportlerin. Dann erfuhr sie die bittere Wahrheit: Sie war das Kind illegaler Einwanderer. «Damit wurde mein Leben kompliziert», erklärt sie.

Zwar konnte Fatima dank der Unterstützung des Rektors das Gymnasium besuchen. Doch sie wurde depressiv und musste schliesslich die Schule im letzten Jahr verlassen.

«Das Leben als Sans papier ist nicht sehr einfach, ich konnte es nicht mehr ertragen», resümiert sie. Doch aufgeben will sie nicht. Ihre Eltern legten gegen die Ablehnung der Naturalisierung ihrer Tochter Rekurs ein. Fatima selber will in Abendkursen die verpasste Mittelschule nachholen. «Eines Tages möchte ich einen Beruf haben», träumt sie.

Simon Bradley, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Künzi)

*alle Namen geändert

1999 erreichte die Zahl der Asylsuchenden in der Schweiz mit 48’000 ihren Höhepunkt. Die meisten kamen aus Serbien und Kosovo.

2004 strich der Bundesrat die Nothilfe an Asylsuchende mit abschlägigem Entscheid. Die Zahl der Gesuche sank auf 14’250.

2006 wurden noch 10’500 Anträge eingereicht, rund ein Fünftel wurde akzeptiert.

Im selben Jahr stimmte die Bevölkerung einer Verschärfung der Asyl- und Ausländergesetzgebung zu.

Die UNO kritisierte die neuen Bestimmungen.

2008 stieg die Zahl der Asylgesuche auf gut 16’500 an.

Asylsuchende können in Härtefällen aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Bedingungen dafür: Sie müssen seit fünf Jahren in der Schweiz leben und beweisen, dass sie integriert sind.

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