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Politischer Wille als Zugpferd im Fall der Marcos-Gelder

Ferdinand Marcos regierte die Philippinen während 20 Jahren mit eiserner Hand, bevor er 1986 abgesetzt wurde. Er starb 1989 auf Hawaii. AFP

Die Opfer des Kriegsrechts unter dem ehemaligen philippinischen Diktator Ferdinand Marcos können endlich damit rechnen, Gelder aus dessen prall gefüllten Konten bei Schweizer Banken zu erhalten. Trotz vielen Frustrationen gilt der komplexe Ablauf als internationales Modell für die Rückerstattung so genannter Potentatengelder.

Annähernd 47’000 Forderungen von Opfern sind eingetroffen, mehr als doppelt so viele, als erwartet. Und bis am 30. Mai werden noch weitere hinzukommen. Erste Zahlungen sind für nächstes Jahr vorgesehen – genau drei Jahrzehnte, nachdem die Schweizer Behörden erstmals Marcos-Gelder eingefroren hatten.

Das lange Warten habe die Probleme noch verschärft, klagt ein Post auf der Facebook-Seite des philippinischen «Human Rights Victims’ Claims Board» an: «Es ist bereits schwierig, die Erfahrung wieder aufzuwärmen. Und dies wegen Formalitäten wieder und wieder zu durchleben, ist sehr, sehr, sehr frustrierend», schrieb Marlette Marasigan. «Wir sind bereits Opfer, und jetzt werden wir auch noch zu Opfern dieses Verfahrens.»

Der Rechtsweg in praktisch allen solchen Fällen auf der Welt ist lang und mühsam. Alle nutzen eine Methode, die von der Schweiz und den Philippinen in ihren Verhandlungen eingeführt wurde.

Die Schweiz war weltweit führend, indem sie Vermögen im Umfang von 1,7 Mrd. Franken an verschiedene Länder zurückerstattet hat, die durch ihre Diktatoren geplündert worden waren. Darunter auch die Philippinen. Dies entspricht mehr als einem Drittel jener 5 Mrd. US-Dollar, die laut Schätzungen der Weltbank weltweit an Rückerstattungen entrichtet werden sollten.

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Chronologie: Gelder von Diktatoren auf Schweizer Banken

Der komplizierte Rechtsweg sei auch ein Symbol für den relativ schwachen Wettbewerb darum, wer unter den Weltverbesserern Klassenbester sein soll. Dies sagt Gretta Fenner, Geschäftsführerin des «Basel Institute on Governance», das betroffene Nationen bei der Rückerstattung von Vermögenswerten und dem Kampf gegen Korruption unterstützt. «Die Schweiz erinnert ein wenig an ein einsames Kind», sagt sie. «Die Schweizer können diese Schlacht nicht alleine gewinnen.»

Vorreiter

Die Schweiz und ihre Bankiers lebten in den letzten paar Jahrzehnten in einer Tradition der Verschwiegenheit. Dies brachte ihnen den Ruf ein, Wäscher des schmutzigen Geldes der ganzen Welt zu sein. Druck aus den USA und anderen Ländern im Kampf gegen Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität führten unter anderem zu mehr Transparenz.

Das Einfrieren der Marcos-Gelder auf Schweizer Bankkonten 1986 war eine Premiere. Erstmals versuchte die Schweizer Regierung, solche Gelder an ihre rechtmässigen Eigentümer zurückzugeben.

«Ab diesem Zeitpunkt entwickelte die Schweiz ihre Rückerstattungs-Politik. Es begann alles mit dem Fall Marcos», sagt Fenner. «Ob dies aus Gründen der Öffentlichkeitsarbeit geschah oder aus echtem Verantwortungsbewusstsein und dem Verständnis der Schweizer Rolle im Kampf gegen Korruption, weiss ich nicht. Doch es ist klar, dass die Schweizer damals verstanden, dass die Rückerstattung ein Thema ist, das sie betrifft.»

Der Fall Marcos profitierte vom politischen Willen und der engen Zusammenarbeit der beiden Länder, die auf mehr als 150 Jahre bilaterale Beziehungen zurückblicken können.

Die 685 Millionen US-Dollar, welche die Schweiz auf Marcos› Konten blockierte, sind «eine der grössten Summen, die je von irgendeiner Regierung an ein ehemals durch ein kleptokratisches Regime beherrschtes Land zurückgegeben wurden», sagt Stefan von Below, Sprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

«Dies war der Anfang des weltweiten Vermögensrückgabe-Plans. Damit wurden neue Standards für zukünftige Rückerstattungen und die mögliche Verwendung illegal erworbener Gelder gesetzt», sagt er. «Das hatte auch direkte Auswirkungen auf die Verhandlungen über die UNO-Konvention gegen Korruption (UNCAC), der ein ganzes Kapitel der Vermögensrückgabe gewidmet ist.»

Den Philippinen ermöglicht das zurückgegebene Geld, eine schwierige Ära abzuschliessen. Für die Schweiz bedeutet es, dass sie Diktatoren und autokratischen Regimes klar signalisiert, nicht länger ihre Finanzzentren zu missbrauchen.

Die Rückgabe von geplünderten öffentlichen Geldern dauert im Normalfall mehrere Jahre. Es hängt davon ab, wie viele Informationen geteilt werden und wie eng die betroffenen Länder zusammenarbeiten. Zudem müssen komplexe juristische und finanztechnische Fragen geklärt werden. Mit neuen Gesetzen versucht die Schweiz, den Prozess zu verkürzen.

Für die schweizerische Aussenpolitik gehört eine solche Rückerstattung heute zu den Prioritäten. «Die Schweiz ist in diesem Bereich sogar zu einem echten Champion geworden», sagt von Below.

Wandelnde Einstellung

Es brauchte jahrelange Verhandlungen und Gerichtsentscheide in beiden Ländern, um auszuarbeiten, wie die Philippinen die 685 Millionen US-Dollar einsetzen können. Zwei Drittel davon werden in Einklang mit der Verfassung von 1987 für Landreformen eingesetzt, wovon landlose Bauern profitieren sollen. Das letzte Drittel wird zur Kompensation der Opfer des Regimes aufgewendet.

Präsident Benigno Aquino III. richtete im Februar 2014 das Anspruchs-Gremium ein, um Opfer und Familien von Opfern zu kompensieren, die während des 20 Jahre dauernden autokratischen Marcos-Regimes Missbräuche wie Folter, standrechtliche Hinrichtungen und das Verschwindenlassen von politischen Gegnern erleiden mussten. Die Schweizer Landesregierung bot dem Gremium technische Hilfe an, muss dieses doch alle Ansprüche prüfen, bevor Geld fliesst.

Aquinos Regierung hoffe, das Geld vor dem Ende dessen erster Amtszeit im Juni 2016 auszuzahlen, sagt Andres Bautista. Der in Harvard geschulte Anwalt wurde von Aquino an die Spitze der Präsidentenkommission für gute Regierungsführung berufen, die für die Rückführung des illegal angehäuften Marcos-Vermögens verantwortlich ist.

Aquinos Mutter, Corazon Aquino, hatte diese Kommission im selben Jahr ins Leben gerufen, in dem sie das Marcos-Regime stürzte und die Schweiz dessen Vermögenswerte sperrte.

Marcos, der über sein Land von 1972 bis 1981 das Kriegsrecht verhängt hatte, starb 1989 auf Hawaii. Bis zu seinem Tod übernahm er keine Verantwortung für seine Missetaten.

Die philippinische Regierung hat rund 4 Milliarden US-Dollar an Marcos-Geldern zurückholen können. Viel davon hatte dieser von der Kokos-Industrie abgezweigt. Weitere Werte im Umfang von rund 6 Milliarden US-Dollar sollen gemäss Schätzungen der Regierung noch irgendwo versteckt sein.

Immer wieder tauchen verloren geglaubte Schätze auf. Letztes Jahr beispielsweise wurde eine ehemalige Sekretärin der philippinischen Ex-First Lady verhaftet, weil sie versucht haben soll, einem Schweizer Sammler ein Gemälde von Claude Monet im Wert von 32 Millionen US-Dollar zu verkaufen.

«Deshalb forschen wir weiter nach Geldern in der Schweiz und in anderen europäischen Ländern», sagt Bautista. Er ergänzt aber, die Schweizer Behörden hätten der philippinischen Regierung erklärt, dass keine weiteren versteckten Marcos-Konten existierten.

Anfängliche Ängste der Philippinen, dass sich ein reiches Land wie die Schweiz in die Souveränität des Landes einmischen könnte, sind verflogen und haben einem Verfahren der gemeinsamen Interessen den Weg freigemacht. «Wir sehen keine Einmischung der Schweiz. Das heisst, sie setzt keine Prioritäten in der Frage, wohin das Geld für die Opfer fliesst», sagt Bautista.

(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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