Wie Trump die Republikaner veränderte – und was sich davon bei der SVP wiederfindet
Wo grassiert Populismus? Wo geht der Anstand flöten? Eine neue Studie der Universität Göteborg nimmt Parteien in knapp 170 Ländern die Temperatur. In den USA gehen die Ausschläge in der Ära Trump auf Rekordhöhe. Auch die Schweiz sendet Signale.
Eine Reihe von Aufschreien ging um die Welt: «Die Globalisierung wird in Frage gestellt.» «Ein undemokratischer Politiker-Typ kommt an die Macht.» «Nein zur EU-Mitgliedschaft», sagte Grossbritannien 2016. Kurz darauf wählte die USA Donald Trump zum Präsidenten.
Und es ging weiter: «Zu viel Volkswille schadet der repräsentativen Demokratie», tönte es danach.
War das Schwarzmalerei oder eine berechtigte Vorahnung?
Weltweite Evaluierung aus zeitgeschichtlicher Perspektive
Pünktlich zum Ende der ersten Amtsperiode von Donald J. Trump haben die Demokratie-ExpertInnen des weltweit grössten Forschungsprojektes «Varities of Democracy»Externer Link 3489 politische Parteien unter die Lupe genommen. Für den Bericht «V-Party»Externer Link haben sie knapp eine Million Daten gesammelt und analysiert.
Zwei Fragen standen dabei im Vordergrund:
● Wie stark ist die populistische Rhetorik geworden? Messbare Antwort darauf gibt es beispielhaft überall dort, wo zwischen einer korrupten Elite und einem reinen Volk unterschieden wird.
● Wie verbreitet sind antidemokratische Einstellungen? Hier dient der respektlose Umgang mit politischen Widersachern als Gradmesser.
Der grosse Vorteil des Projekts mit Sitz an der schwedischen Universität Göteborg: Es stützt sich auf Beobachtungen und Messungen, die sowohl internationale Vergleiche als auch Entwicklungen über das vergangene halbe Jahrhundert zulassen.
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Die Schweiz als Testfall für den europäischen Populismus
Das Beispiel der USA: Populismus und Illiberalismus der Republikaner
In den USA stechen die seit vier Jahren regierenden Republikaner heraus. Stark erhöht haben sich die Messwerte für Populismus.
Hauptgrund: Unter Präsident Trump ist die Kritik an den global herrschenden Eliten alltäglich geworden. Verändert und ausgeprägt hat sich zudem namentlich die Regierungspolitik gegen Immigration.
Bei den Demokraten stellt man das kaum fest. Nichts davon findet sich in der Zuwanderungsfrage noch bei der Elitenkritik.
Eine Abkehr von demokratischen Haltungen zeigt sich bei den Republikanern zudem mit dem Verlust an Respekt. Direkte Angriffe auf Gegner des Präsidenten haben sich vervielfacht. Schliesslich werden auch Minderheitsrechte selektiv gehandhabt.
Nun macht die neue Studie mit Zeitvergleichen klar, dass die Anfänge dieser Trends in den USA allesamt um 2008 liegen. Das war das Jahr, als die Demokraten unter Barack Obama die Wahlen gewannen und kurz darauf die Tea-Party-Bewegung mit ihrer Kritik an der Obama-Administration begann. Auslöser war insbesondere «Obamacare», die angestrebte Gesundheitsreform.
Die Amtszeit Trumps zeigt, dass Populismus und Illiberalismus mit dem Regierungswechsel 2016 keineswegs zurückgegangen sind. Vielmehr haben sie sich auf Rekordwerte hochgeschraubt.
Die Studienergebnisse verdeutlichen aber auch Unterschiede zu klassisch autokratischen Regimes wie Ungarn und Polen. Denn der Pluralismus im Parteiensystem bleibt in der USA dank «Checks and Balances» anerkannt.
Das Beispiel der Schweiz: Mehr Populismus, aber weniger Illiberalismus der SVP
Bezogen auf die Schweiz zeigen die für diesen Text erstmals analysierten Daten der Schweizer Parteien dreierlei:
● Die untersuchten Entwicklungen betreffen durchwegs die Schweizerische Volkspartei (SVP).
● Zweitens schlagen die Messwerte beim Populismus hierzulande schon früher und insgesamt stärker aus.
●Und drittens verbleiben antidemokratische Einstellungen bei der SVP auf einem niedrigeren Niveau als bei den US-Republikanern.
Der relevante Einschnitt in der Schweiz erfolgte in den frühen 1990er-Jahren. Anlass war der Antrag des Bundesrats, dem EWR beizutreten. Das brach den Damm gegenüber den heute beobachtbaren Rechtspopulismus und hat die neue SVP hervorgebracht.
Die schwedischen ExpertInnen stellen bei der SVP eine etwas andere Symptomatik als bei den Republikanern fest. Stark zugenommen hat der «Appell ans Volk». Parallel dazu ist die Elitenkritik, namentlich an Bundesrat und Verwaltung, gewachsen. Ähnlich wie bei den Republikanern haben verbale Angriffe auf den politischen Gegner zugenommen. Und der Wille, Minderheiten zu Wort kommen zu lassen, hat abgenommen.
Unverändert tief sind die Populismus-Werte hierzulande für die Mitteparteien der Christdemokraten (CVP), der Freisinnig-Liberalen (FDP) und der Grünliberalen (GLP). Etwas höher sind sie bei den Sozialdemokraten (SP), den Grünen und den Bürgerlichen Demokraten von der BDP. Doch bleiben auch hier die Unterschiede zu SVP gross.
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Spitzenwerte finden sich in der Schweiz durchwegs zu Beginn der 2010er-Jahre. Das war, nachdem die SVP wegen der Abwahl ihres Justizministers Christoph Blocher aus dem Bundesrat austrat. Danach betrieb sie offensichtliche Oppositionspolitik, auch gegen das System. Dies hat sich ab 2015 wieder abgeschwächt, wenn auch nicht essenziell verändert. Seither wirken mässigende Kräfte der politischen Kultur wieder mehr.
Wertungen der Forschenden und der Betroffenen
Anna Lührmann, Externer LinkVizedirektorin des V-Dem-Instituts und Ko-Autorin der Studie, schreibt, der globale Trend zur Veränderung der rechten Politik sei heute selbst in etablierten Demokratien unverkennbar. In den USA betreffe dies namentlich die Republikaner, die sich rechtspopulistischen und illiberalen Parteien in der Regierung wie Fidesz in Ungarn oder PiS («Recht und Gerechtigkeit») in Polen annäherten. Trumps KritikerInnen gibt sie in wesentlichen Punkten recht.
In der Schweiz geht es dabei um die SVP. Ihre populistische Rhetorik kann durchaus mit jener der heutigen Republikaner verglichen werden. Antidemokratische Einstellungen wie in den USA sind aber seltener. Zudem scheint der Trend in der Schweiz anders als in den USA seinen Höhepunkt erreicht zu haben.
Wie geht es weiter?
Verliert Präsident Trump am Dienstag die Präsidentschaftswahlen, wird man versucht sein, von einem abgeschlossenen Kapitel der Geschichte sprechen. Gewinnt Trump jedoch, spricht eigentlich alles dafür, dass die antidemokratischen Tendenzen wie auch die populistische Rhetorik ihren Siegeszug ungehindert fortsetzen dürften.
Die Protagonisten der SVP sehen das genau andersrum: Nationalrat Roger Köppel, Verleger der «Weltwoche», vergleicht Donald Trump mit einer Chemotherapie gegen Krebs: schrecklich, aber nötig. Und er twittert ähnlich wie sein Vorbild: «Wenn Trump verliert, wird die radikale Linke nicht nur in den USA durchmarschieren. Wir werden auch in Europa und in der Schweiz noch mehr politische Korrektheit, weniger Meinungsfreiheit, noch mehr Staat, Fake News und Bevormundung bekommen.»
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