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Schweizer Politiker – manchmal etwas lächerlich, aber aufrichtig

Johann Schneider-Ammann musste sich die ganze Woche nach seiner Ansprache Sprüche und Kritiken anhören. Keystone

Der Schweizer Bundespräsident mag die ganze Welt zum Lachen gebracht und auf sozialen Netzwerken für Betrieb gesorgt haben – und seine Rede dürfte noch lange Stilblütensammlungen beleben. Es gibt aber auch Leute, die ihn entschuldigen: Über die ungewollte Komik hinaus sei Johann Schneider-Ammans Rede auch Beweis für einen nüchternen, bescheidenen Schweizer Kommunikationsstil.

Es ist schwierig, sich jemanden wie Barack Obama oder François Hollande bei einer Fernsehansprache folgendermassen vorzustellen: monotone Stimme, die Augen starr auf den Teleprompter gerichtet, eine praktisch ausdruckslose Miene.

Ein amerikanischer oder französischer Präsident, der sich an die Kranken in seinem Land wendet und mit einer Bestattermiene über das Lachen spricht? Ein sehr unwahrscheinliches Szenario. Doch genau dies tat der Schweizer Bundespräsident Johann Schneider-Amman, dessen französischsprachige Rede zum Tag der Kranken bis in die USA Spott ausgelöst hat.

«Lächerlich», «veraltet», «anachronistisch» – dies sind Adjektive, zu denen Beobachter griffen, um die Rede des Bundespräsidenten zu beschreiben.

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RTS: Französischsprachige Version der Ansprache von Johann Schneider-Ammann

Über die Kommunikationspanne hinaus zeigt die Rede des Mannes, der auch der Schweizer Wirtschaftsminister ist, den unterschiedlichen Stil zwischen Politikern in Frankreich oder den USA und Führungskräften in der Schweiz auf. Auf der einen Seite die Gewandtheit im Ausdruck, manchmal etwas theatralisch. Auf der anderen Seite, die helvetische Nüchternheit und Politiker, die – manchmal unbeholfen – mit den drei nationalen Sprachen jonglieren müssen.

Kein Etikettenschwindel

«Es ist ein Element des Zusammenhalts der Schweiz, dass man sich bemüht, in einer anderen Sprache zu sprechen, auch wenn man diese nicht perfekt beherrscht.»
Jean-Henri Francfort

«Das ist tatsächlich die Welt der ‹Glücksbärchen› nach Schweizer Art», erklärt der in Lausanne ansässige Kommunikationsberater Jean-Henri Francfort. Er räumt ein, dass die Mehrheit der Schweizer Politiker und Politikerinnen keine eloquenten Redner sindExterner Link. Unvollkommenheiten, die er jedoch beruhigend findet.

Denn Reden, die von einer Armee von Kommunikations-Profis formatiert und glatt gestriegelt wurden, stellen seiner Ansicht nach Form oft über Substanz. «Es ist doch irgendwie besser, einen Johann Schneider-Amman zu haben, der sich in seinem mangelnden Humor verheddert, als einen Nicolas Sarkozy, der sich mit seiner Ausdrucksweise zwar sehr wohl fühlt, der aber nichts als Rauch zurücklässt, der sich verflüchtigt.»

Francfort hat keine Absicht, den Mitgliedern der Schweizer Regierung einen Nachhilfekurs in Sachen Kommunikation vorzuschlagen. «Politiker mit einem eigenen Profil, die etwas zu sagen haben, brauchen nicht unbedingt eine Kohorte von Beratern.»

Für ihn sollten Reden auch etwas den Schleier über einer Persönlichkeit lüften, um die Person dahinter echter zu machen. Eine Person allzu sehr wie ein Produkt zu verkaufen, könne auch gefährlich werden: «Sie können eine wunderbare Werbekampagne machen, aber wenn das Produkt schlecht ist, wird es der Konsument kein zweites Mal kaufen.»

Ein sympathisches Bild

«In unseren Sendungen haben wir uns schon oft über etwas lasche Deutschschweizer lustig gemacht, die irgendetwas sagen; aber hier übertrifft die Realität die Fiktion.»
Vincent Kucholl

Auch der Schweizer Komiker und Politologe Vincent Kucholl sagt, dass jener Aspekt der Rede des Bundespräsidenten, der Spott ausgelöst habe, zugleich auch einen Eindruck von Aufrichtigkeit hinterlasse. «Es ist eine Art Selbstironie, wenn auch ungewollt. Die Behörden scheinen das Lächerliche hinzunehmen, was sie auch sympathisch macht», erklärt Kucholl, der die wöchentliche Satiresendung «26 Minuten» des Westschweizer Fernsehens (RTS) moderiert.

Der Komiker schätzt, dass diese Rede Schneider-Amman etwas Volksnähe verleihen könne, was in der Schweiz oft in den Vordergrund gerückt werde. «Etliche Leute werden sich sagen, er ist wie wir, er sagt manchmal auch irgendetwas, er ist nicht immer in Form.»

Man darf auch den Faktor Sprache nicht vergessen. Der Bundespräsident fühlt sich in der Sprache Molières, die er bei der betroffenen Rede nutzte, nicht zu Hause. Sollte man denn nun den Schweizer Ministern empfehlen, sich nur noch in ihrer Muttersprache auszudrücken, um zu verhindern, dass sie Fehler machen? Davon rät Francfort nachdrücklich ab: «Es ist ein Element des Zusammenhalts der Schweiz, dass man sich bemüht, in einer anderen Sprache zu sprechen, auch wenn man diese nicht perfekt beherrscht.»

Mea culpa der Sprecher

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Für Kucholl entspricht diese Art Rede auch einer Schweizer Tradition, «bescheiden und calvinistisch»: «Die Leute sind sich gewohnt, dass Politiker vor einem neutralen Hintergrund sprechen, allein vor der Kamera», erklärt der Komiker, der damit aber die Kommunikationspanne in keiner Art und Weise kleinreden will. «Es ist wirklich unfassbar», sagt er weiter. «Man könnte denken, es sei ein Sketch. In den Sendungen ‹120 Sekunden› und ’26 Minuten› haben wir uns schon oft über etwas lasche Deutschschweizer lustig gemacht, die irgendetwas sagen; aber hier übertrifft die Realität die Fiktion.»

Dabei werden die Bundesräte doch von Kommunikations-Profis unterstützt, die deren Auftritte und Aussagen praktisch bis aufs letzte Komma pflegen sollten. Kucholl sucht nach einer Erklärung: «Entweder haben sie geschlampt, indem sie dachten, dass niemand das merken würde, oder die Kommunikations-Verantwortlichen haben nicht einmal ihr erstes Ausbildungsjahr abgeschlossen.»

Die Mitarbeiter des Bundespräsidenten gestanden in der Folge auch ihre Schuld ein und gaben zu, sie hätten «rigoroser» sein müssen. «Ich hatte schon das Gefühl, dass dies ein halsbrecherisches Unterfangen sein könnte», räumte einer von ihnen ein, der auf der RTS-Website zitiert wurde. Diese präzisierte, dass seit einiger Zeit eine Arbeitsgruppe der Eidgenossenschaft eine Reform solcher TV- Ansprachen ausarbeite.

Jean-Henri Francfort bekräftigt, dass Johann Schneider-Amman «verheizt» worden sei: «Ein derartiges Kommunikations-Unterfangen ist selbstmörderisch.»

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