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Rücktritt einer «grossen» Ministerin, der einige freut

Nicht alle Beobachter sind sich einig, in welcher Verfassung Eveline Widmer-Schlumpf ihren Rücktritt auf Ende Jahr erklärt hat. Keystone

Der grösste Teil der Schweizer Presse ehrt am Tag nach ihrer Rücktrittsankündigung auf Ende Jahr die Arbeit von Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf, auch wenn einige sich darüber freuen. Niemand zweifelt daran, dass ein Vertreter der Wahlsiegerin SVP ihren Sitz übernehmen soll.

«Vernunftentscheid einer Kämpferin», «Acht Jahre Einsamkeit», «Die Rückkehr zur Normalität», «Mitte-rechts soll jetzt die Verantwortung übernehmen», «Ein Abgang in Würde» und «Sie ging, bevor sie gehen musste». So titeln die Schweizer Zeitungen am Tag nach der Rücktrittsankündigung von Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf.

Sie war in den letzten Tagen immer mehr unter Druck geraten, nachdem die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) bei den Parlamentswahlen vom 18. Oktober hatte zulegen können. Die stärkste Partei der Schweiz ist gegenwärtig aber nur mit einem Sitz in der Landesregierung vertreten. Widmer-Schlumpf erklärte allerdings, sie habe den Entscheid, nicht für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, bereits vor den Wahlen gefällt.

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«Eine in vielerlei Hinsicht spektakuläre Amtszeit neigt sich dem Ende zu. Eine tüchtige und standhafte Magistratin, die parteipolitischen Widerständen getrotzt hat und als überdurchschnittlich fachkundige Finanzministerin in Erinnerung bleiben wird, zollt den veränderten Mehrheitsverhältnissen im Parlament Tribut», kommentiert die Neue Zürcher Zeitung.

Für die NZZ ist «nicht von der Hand zu weisen», dass Widmer-Schlumpf die letzten zwei Legislaturen, also jene acht Jahre seit ihrer Wahl 2007, politisch massgeblich mitgeprägt habe. «Zum einen dominierte die Bewältigung der Finanzmarktkrise jahrelang die Agenda im Bundeshaus. Zum anderen war die Bündnerin eine zentrale Akteurin im Seilziehen zwischen Mitte-links und Mitte-rechts.»

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SRF 10vor10: Eine folgenreiche Wahl

Nun habe die Finanzministerin «spät, aber nicht zu spät» erkannt, «dass sie mit ihrer Demission der Schweiz eine Zerreissprobe erspart». «Nach dem Vernunftentscheid von Eveline Widmer-Schlumpf ist jetzt die SVP gefordert, vernünftig zu agieren.»

«Eveline Widmer-Schlumpf geht nicht freiwillig. Die erfahrene Machtpolitikerin kapituliert vor dem Risiko einer Abwahl am 9. Dezember», schreibt Der Bund. «Das vorzeitige Ende ihrer Bundesratskarriere ist für die Bündnerin auch deshalb tragisch, weil es ihr ähnlich ergeht wie Christoph Blocher, den sie 2007 aus dem Amt verdrängt hat.» Allerdings sei die Ursache eine andere gewesen: «Blocher wurde abgewählt, weil er nicht in den Bundesrat passte. Sie muss weichen, obschon sie für das Amt durchaus geeignet war.»

Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf sei sich treu geblieben bis zum letzten Tag, kommentiert die Aargauer Zeitung. «Gestern verlas sie ihre Rücktrittserklärung unaufgeregt und emotionslos.» Widmer-Schlumpf habe in den vergangenen acht Jahren «polarisiert wie kaum jemand sonst»: «SVP-Anhänger hassten sie, weil sie in ihr die Königsmörderin sahen, Mitte-Links verteidigte sie, weil mit ihr der Coup von Blochers Abwahl gelungen war.»

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Auch in hochkomplexen Dossiers habe sie den Durchblick gehabt. «In der Finanzkrise konnte sich die Schweiz glücklich schätzen, dass sie das Steuer übernahm.»

Mission erfüllt, meint auch die Westschweizer Tageszeitung Le Temps. «Sie kann mit dem Gefühl abtreten, die Aufgabe gelöst zu haben, in dem Sinne, dass sie einen Finanzplatz gesäubert hat, der mehr und mehr anachronistisch wurde. Das brachte ihr zwar harte Kritik von der Rechten, aber auch jene musste anerkennen, dass diese Arbeit getan werden musste. Und sie wurde getan. Die Klammer Mutter Courage schliesst sich.»

«Dem Land einen Dienst getan»

«Es war unübersehbar, wie Widmer-Schlumpf mit sich rang und ihre Worte nicht frei waren von Enttäuschung und Erschöpfung», schreibt der Tages-Anzeiger. Doch wer wolle ihr dies schon verübeln? Was sich diese Frau in den letzten acht Jahren von ihren politischen Gegnern habe anhören müssen, sei «einmalig in der jüngeren Geschichte der Schweiz».

«Mit ihrem Rückzug erweist Eveline Widmer-Schlumpf dem Land aus staatspolitischer Sicht einen Dienst. Nun ist der Weg frei für eine der Wählerstärke angemessene SVP-Vertretung im Bundesrat.»

So schwierig diese Vorstellung allerdings «angesichts des unübersichtlichen bis chaotischen SVP-Kandidatenfelds» gegenwärtig sei, «so richtig ist es, der grössten Partei des Landes nun einen zweiten Sitz in der Regierung zuzugestehen. Wer nahezu 30 Prozent der Wählerstimmen erreicht, soll Verantwortung übernehmen und gleichzeitig den oppositionellen Gestus ablegen, der einen grossen Teil des bisherigen Erfolgs erst ermöglicht hat».

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SRF 10vor10: Die kompetente Finanzministerin

«Dieser Rücktritt war souverän», kommentiert der Blick. Widmer-Schlumpf habe ihren Rückhalt nach den eidgenössischen Wahlen mit dem Wahlsieg der SVP schwinden sehen «und kam jetzt einer möglichen Abwahl zuvor». Nun trete sie zu einem Zeitpunkt ab, welcher «der SVP alle Möglichkeiten offenlässt, ihr Zweierticket zu planen. Dieses Geschenk hätte die SVP nach der gemeinsamen Leidenszeit gar nicht verdient».

«Pragmatisch, sachbezogen, kompetent: Mit Eveline Widmer-Schlumpf tritt Ende Jahr eine veritable Staatsfrau von ihrem Amt als Bundesrätin zurück», schreiben die Freiburger Nachrichten. «Eveline Widmer-Schlumpf hat auch am Tag ihrer Rücktrittsankündigung Stil und Brillanz bewiesen. Sie tritt Ende Jahr erhobenen Hauptes ab und öffnet der SVP damit erst noch definitiv die Tür für den zweiten Bundesratssitz.»

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Kritische Stimmen

Unbeeindruckt zeigt sich die der SVP nahestehende Basler Zeitung: «Es gibt gute und schlechte Rücktritte. Dieser gehört zu den schlechten.» Widmer-Schlumpf habe bei ihrer Ankündigung sichtlich gelitten. Ihr sei schliesslich genau das widerfahren, «was sie vermutlich nie hatte erleben wollen. Dass sie – wie ihr Vorgänger Christoph Blocher – unfreiwillig gehen muss».

Ihre Wahl habe, weil sie sich «vom politischen Gegner der eigenen Partei» habe dazu verführen lassen, in die Regierung gewählt zu werden, das Gleichgewicht der Kräfte in der Schweiz vollkommen durcheinandergebracht. «Weil die grösste politische Kraft, die SVP, nicht mehr angemessen in der Regierung vertreten war.»

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Das Fazit der BAZ: «Es ist gut und es ist dringend nötig, dass die Schweiz wieder eine Regierung bekommt, wo alle massgebenden Kräfte dieses Landes vertreten sind.»

Der Corriere del Ticino nennt «drei fundamentale Gründe», warum man Eveline Widmer-Schlumpf nicht nachweinen werde. Erstens ihre Rolle im Herbst 2007 bei der Abwahl von Christoph Blocher. Zweitens der Umstand, dass die Parteien seit ihrer Wahl nicht mehr ihrer Stärke angemessen in der Regierung vertreten gewesen seien. Drittens habe die Finanzministerin zu oft dem Druck aus dem Ausland nachgegeben, wie etwa beim Bankgeheimnis. «Hat die Schweiz davon profitiert?» fragt der Corriere. «Am 18. Oktober hat das Stimmvolk darüber ein negatives Urteil gefällt.»

Beispiellos ist wohl, dass im Giornale del popolo der Fraktionschef der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), Filippo Lombardi, selber in die Tasten gegriffen hat. Der Rückzug von Widmer-Schlumpf mache Schluss mit «einer Anomalie, die dem Land nicht gutgetan hat, seiner Regierungsfähigkeit, seiner politischen Stabilität und sogar seinen Beziehungen zu Europa», schreibt er.

SVP am Zug

Widmer-Schlumpf habe bewusst und erhobenen Hauptes den Abgang durch die Vordertür gewählt, kommentiert die Berner Zeitung. Sie habe an der Medienkonferenz entspannt, ausbalanciert und zufrieden gewirkt.

«Vor den Bundesratswahlen vom 9. Dezember liegt der Ball nun früh bei der SVP. Der Anspruch der klar wählerstärksten Partei auf einen zweiten Sitz im Bundesrat wird nach dem Erfolg bei den letzten Parlamentswahlen kaum noch bestritten. Nun liegt es an den Parteistrategen um Präsident Toni Brunner, valable Kandidatinnen und Kandidaten zu präsentieren.» Nun werde sich zeigen, «ob es der SVP ernst ist mit ihrer Ansage, konstruktiv in der Regierung mittun zu wollen».

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SRF 10vor10: SVP und CVP-Präsidenten im Interview

«Wird die SVP stärker in die Macht eingebunden, haben Basis und Personal der Partei keinen Grund, wilder zu werden. Ihr den zweiten Sitz zu verweigern, hiesse umgekehrt, das politische Klima unnötig zu vergiften», meint auch Der Bund. «Widmer-Schlumpfs Rücktritt erlaubt es jetzt, die Regierung so zu komponieren, dass sie grob die Mehrheitsverhältnisse im neuen Parlament widerspiegelt.»

Auch die Aargauer Zeitung ist der Meinung, die SVP habe Anrecht einen zweiten Sitz in der Landesregierung. «Viele Wähler auch ausserhalb der SVP verstehen nicht, warum die stärkste Partei nur einen Bundesrat stellt. Verweigert das Parlament der SVP den zweiten Sitz, so gewinnt sie in vier Jahren wohl nochmals dazu.»

Der Rückzug von Eveline Widmer-Schlumpf «öffnet der SVP einen Königsweg. Es wird schwieriger als 2007, ihr das Recht auf einen zweiten Vertreter in der Regierung in Frage zu stellen», schreibt Le Temps. «Doch nun liegt es an dieser Partei, den Beweis zu liefern, dass sie die Hand ergreifen kann, die ihr gereicht wird, ohne dass diese zu einer neuen Waffe wird.»

Was geschieht mit der BDP?

Die Südostschweiz fragt sich nach dem angekündigten Rücktritt, welche Zukunft die Partei der Bündnerin Eveline Widmer-Schlumpf nun noch hat, die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP). Diese war aus dem Zerwürfnis nach der Wahl Widmer-Schlumpfs anstelle des SVP-Bundesrats Christoph Blocher entstanden und im Kanton Graubünden gegründet worden.

«Die Zukunft der BDP sieht nicht wirklich rosiger aus als ihre jüngste Vergangenheit. Der Partei ist es bis heute nicht gelungen, ein klares Profil zu entwickeln, das sie im politischen Spektrum unersetzlich macht», so der Kommentar.

«Die BDP ist seit 2008 immer in erster Linie die Partei des Blocher-Abwahlcoups geblieben, der Widerpart, die Anständigen. Das ist nicht allein ihre Schuld; es hat viel mit den Umständen ihrer durch die einstige SVP erzwungenen Gründung zu tun.»

Auch die Aargauer Zeitung stellt die Frage nach der Zukunft der BDP: «Die BDP hat die Wahlen verloren und verliert jetzt auch noch ihre Existenzgrundlage. Sie sollte dringend Fusionsgespräche mit Mitteparteien suchen – sonst wird sie eines Tages sang- und klanglos verschwinden.»

Eveline Widmer-Schlumpf in Kürze

Nach einem Jurastudium an der Universität Zürich erwarb Eveline Widmer-Schlumpf das Bündner Anwalts- und Notariatspatent; 1990 promovierte sie an der Universität Zürich.

Sie arbeitete nicht nur als selbständige Rechtsanwältin und Notarin, sondern präsidierte unter anderem das Kreisgericht Trins in ihrem Heimatkanton Graubünden.

1998 wählten sie die Bündnerinnen und Bündner als erste Frau in die kantonale Regierung, der sie bis Ende 2007 angehörte. Von 2001 bis 2007 präsidierte sie die Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren.

Als Mutter von drei Kindern galt sie als Modell für die Vereinbarkeit von Familie und Karriere.

Am 12. Dezember 2007 wurde Widmer-Schlumpf von der Vereinigten Bundesversammlung in den Bundesrat gewählt, anstelle von Christoph Blocher, dem starken Mann der SVP.

Daraufhin schloss die SVP die Bündner Sektion, der Widmer-Schlumpf angehörte, aus der Partei aus. Die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) entstand, Widmer-Schlumpf wurde zu deren Vertreterin in der Regierung.

Sie übernahm zunächst das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, ab dem 1. November 2010 war sie dann Vorsteherin des Finanzdepartements.

Am 28. Oktober 2015 gab sie bekannt, dass sie nicht zur Wahl für eine dritte Amtszeit antrete.

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