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Putin hat Wette gewonnen, aber zu welchem Preis?

"Was wird in Sotschi und ganz Russland bleiben vom Oympischen Feuerwerk?", fragt die Schweizer Presse. Keystone

Das Lob vorweg: Sotschi 2014 gehörte zu den bestorganisierten Olympischen Winterspielen, stimmt die Schweizer Presse überein. Ob aber auch das russische Volk vom Prestigeprojekt profitieren werde, wie dies Putin versprochen hat, dahinter werden grosse Fragezeichen gesetzt.

«Sotschi 2014 übertraf die Erwartungen», schreibt die Freiburger Nachrichten. «Russland demonstrierte der Welt trotz grosser Kritik im Vorfeld, dass es fähig ist, einen internationalen Grossanlass auf höchstem Niveau durchzuführen.» Trotz Terrordrohungen seien die ersten Winterspiele im flächenmässig grössten Land der Welt friedlich verlaufen, und in organisatorischer Hinsicht habe es kaum Nennenswertes zu bemängeln gegeben.

«Die Russen haben sich als gute Gastgeber erwiesen, denen kein Aufwand zu gross war, um sich vor der Weltöffentlichkeit im besten Lichte darzustellen», lobt auch die Schaffhauser Nachrichten. «Der finanzielle Kraftakt ist das eine, das andere ist die Aussendarstellung dieser Winterspiele: Und die ist den Russen, man muss es neidlos anerkennen, bestens gelungen.»

Und weiter in der Lobeshymne: «Die Wettkampfstätten und die Organisation waren, so wie sie im Fernsehen rüberkamen, perfekt und die Berglandschaften des Kaukasus herrlich. Beste Werbung also für diese neue Wintersportregion.»

«Trotz Mangel an Begeisterung und Schneequalität kann Russland lachen. Der Organisator gewinnt die Medaillenwertung, und auf dem Gebiet der Sicherheit gab es keinen einzigen Vorfall zu beklagen», lobt La Liberté aus Freiburg.

Der Sport habe alle Kritiker zum Verstummen gebracht, so die Tribune de Genève. Und Präsident Putin, der Ex-Agent des KGB, der die Spiele zu einem Symbol seiner Autorität und seines Einflusses gemacht habe, habe seine Wette gewonnen.

«Ein sehr guter Olympia-Jahrgang, aber es wäre noch mehr dringelegen»: Dies ist das Fazit, das Gian Gilli, Chef der Schweizer Mission, aus dem Abschneiden der Schweizer Athletinnen und Athleten an den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi zog.

Gilli hatte 10 Medaillen als Ziel vorgegeben, 11 sind es geworden – 6 Goldene, 3 Silberne und 2 aus Bronze.

«Wir haben das Medaillenziel übertroffen. Und speziell ist, dass wir dank den Eishockeyfrauen auch eine Teammedaille gewannen. Das ist historisch», freute sich Gilli.

Gar eine «mehr als positive Bilanz» zog Nicolas Bideau, als Präsident von Präsenz Schweiz «Hausherr» des House of Switzerland in Sotschi.

Dort stiegen nicht nur die Schweizer Medaillenfeiern, auch präsentierte sich im modernen Holzbau die Schweiz der Welt als Wintersport-Destination der obersten Liga.

«Wir haben einige Klischees verwendet, die Schokolade, Raclette oder die Alpen, um tiefergehende Botschaften zu kommunizieren: Unsere Innovationskraft, die Zusammenarbeit zwischen Russland und der Schweiz, die Öffnung etc.», sagte Bideau gegenüber swissinfo.ch.

Er und sein Team empfingen in den zwei Wochen der Spiele täglich über 7000 Gäste, insgesamt rund 100’000 Personen, darunter auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

«Olympische Truman-Show» 

Die Olympischen Spiele hätten bewiesen, dass der Sport eine Waffe der Aussenpolitik sei, so Le Matin. «Putin hat gewonnen, und die ganze Welt ist sich darüber bewusst. Sein Beispiele werde andere Länder und Regierungen beeinflussen, seinem Beispiel zu folgen.»

Da hat die Neue Zürcher Zeitung so ihre Zweifel, wenn sie behauptet: «Putins Wette läuft noch». Mit dem Projekt Olympia 2014 in Sotschi sei es Präsident Wladimir Putin um die Vergegenwärtigung der eigenen Grösse und Kraft gegangen. «Nicht weniger als ein neues, modernes, offenes Russland wurde vom Kreml versprochen. Die Spiele waren damit stärker als anderswo ein Prestigeprojekt der Politik.»

Insbesondere punkto Breitenwirkung und Authentizität der Spiele macht die NZZ Fragezeichen. «Der Mega-Event schuf eine künstliche Blase, eine Parallelwelt. Was gezeigt wurde, war sympathisch, aber gefiltert durch perfekt inszenierte Fernsehbilder.»

Für die Sportwelt seien die Spiele vorüber, für Russland dauerten sie an. «Ihre Hinterlassenschaften warten auf eine sinnvolle Nachnutzung, die Erwartungen in der Bevölkerung sind geweckt. Diese Wette hat Putin noch nicht gewonnen.»

In einem zweiten kritischen Artikel spricht die NZZ von Sotschi auch als von einer «Olympischen Truman-Show», weil die Stimmung im Vergleich zu anderen Spielen «blutleer» geblieben sei. «Die Spiele in Sotschi fanden unter einer Art überdimensionierten Käseglocke statt. Man fühlte sich in einer olympischen Truman-Show. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Illusion verwischten. Stimmung kam nur auf, wenn russische Athleten antraten.»

Kritik an IOC wegen Haltung zu Ukraine

«Sotschi von der Ukraine belastet», schreibt Le Temps aus Genf. Die Spiele seien als Grosserfolg für den Kreml zu werten, nur von zwei Schatten beeinträchtigt: Dem vorzeitigen Aus der russischen Eishockey-Nationalmannschaft und der Krise in der Ukraine.

Der Bund aus Bern spricht von den «politischen Spielen von Sotschi», denn die enge Verbindung von Sport und Politik sei in Sotschi besonders deutlich geworden. «Ukrainische Olympiateilnehmer wollten angesichts des Blutvergiessens in Kiew ein Zeichen der Anteilnahme setzen. Aber nicht einmal das Tragen eines schwarzen Trauerflors wollte das IOK akzeptieren. In einem ‹informellen Gespräch› wurde die ukrainische Delegation davon überzeugt, dass eine Schweigeminute im olympischen Dorf das bessere Signal sei.»

«Das Schaufenster Sotschi wird seine Anziehungskraft rasch verlieren», ist die Berner Zeitung überzeugt. Zwar habe Präsident Wladimir Putin sein Ziel erreicht – «wenn auch unter höchst fragwürdigen bis verwerflichen Umständen. Putin demonstrierte der Welt die Fähigkeit Russlands, in Ausnahmesituationen Aussergewöhnliches zu leisten. OK-Präsident Dmitri Tschernischenko erklärte am Tag der Eröffnungsfeier, Sotschi werde zum Schaufenster des modernen Russland werden. Das Schaufenster wird seine Anziehungskraft aber rasch verlieren – weil es vom einen auf den anderen Tag nicht mehr attraktiv dekoriert sein wird.»

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Die Zeche zahlt das Volk 

«Die Olympischen Spiele sind vorbei, doch die wahren Probleme beginnen erst», weiss L’Express. «Überleben die gigantischen Infrastrukturen den olympischen Traum? Was sind die tatsächlichen Folgen für die Umwelt und die Wirtschaft des Landes?» Wie oft bleibe die Zeche an der Bevölkerung hängen, «und dieser Vodka wird kaum von guter Qualität sein», prophezeit die Zeitung.

«Zwiespältige Eindrücke» hinterlassen die Spiele auch bei den Freiburger Nachrichten. Korruption, Homophobie und Willkür der Staatsorgane seien die Schlagwörter, die das «milliardenteure Mega-Projekt» Wladimir Putin geprägt hätten.

«Dieser Eindruck wird trotz den eindrücklichen Stadien, dem reibungslosen Ablauf und den sportlichen Höchstleistungen der vergangenen 16 Tage in einer breiteren Öffentlichkeit, als es Putin lieb sein kann, haften bleiben und wird dem heutigen Russland, das sich durchaus modernisiert und geöffnet hat, nicht wirklich gerecht», schreibt die Zeitung.

«Es waren Putins perfekt inszenierte Spiele», findet die Basler Zeitung. «Das hatte seinen Preis: 50,8 Milliarden Dollar soll die Veranstaltung am Schwarzen Meer zwischen Palmen und Schnee gekostet haben, das ist mehr als bei allen 21 bisherigen Winterspielen zusammen.»  

Vergabe-Praxis überdenken 

Das IOC tue gut daran, künftig bei der Vergabe von Olympischen Spielen Staaten als Gastgeber zu engagieren, die das olympische Mammutprogramm mit all seinen Vor- und Nachwehen stemmen könnten. «Die finanzielle Potenz eines Kandidaten allein aber darf noch nicht den Ausschlag geben, das Gesamtpaket muss stimmen.»

«Machte es Sinn, Olympia in Sotschi durchzuführen?»,  fragt das Bündner Tagblatt. Und gibt die Antwort, bar jeglicher Illusion, gleich selbst: «Die Frage ist falsch formuliert. So ist sie richtig: Macht es Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen? Nein, denn die Entscheidungsträger dieser Vergaben interessieren die Meinungen dazu nicht. Darum wird es auch in Zukunft Olympia in Sotschi und Fussball-WM in Katar geben. Weg vom Gigantismus? Eine schöne Träumerei.»

Le Matin Dimanche schlägt vor, dass Europa, Asien und Nordamerika je über «ein oder zwei permanente Stätten verfügen sollten, um die Winterspiele zu empfangen.» In seiner jetzigen Form als Riesen-Event kämen nur noch «megalomane Kandidaturen» zum Zug, «die weit entfernt sind von Budgetbeschränkungen und ethischen Standards unserer Gesellschaft.»

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