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Quo Vadis, Spitzenmedizin?

Herztransplantation am Inselspital Bern. Keystone

Mit der Fokussierung der Herztransplantation auf einen oder zwei Standorte versprechen sich Gesundheitsexperten höhere Qualität zu geringeren Kosten. Wegen des Widerstands des Standorts Zürich wurde eine Entscheidung um 2 Jahre vertagt.

In der Schweiz werden jährlich etwa 30 Herztransplantationen vorgenommen.

Diese Anzahl sei zu klein, um das Know-how an jedem der drei bisherigen Standorte Bern, Zürich und Lausanne aufrecht zu erhalten, sind sich Gesundheitsexperten einig.

So wartete man in der letzten Maiwoche gespannt auf die Entscheidung der kantonalen Gesundheitsdirektoren, welche Kliniken in Zukunft Herzen transplantieren dürfen.

Im Vorfeld war ein Schiedsspruch in Aussicht gestellt worden. Entschieden wurde, dass vorläufig nichts entschieden werde.

Die um Konzentration und Koordination bemühten Gesundheitsdirektoren konnten sich nur darauf einigen, bis 2013 eine Entscheidung zu treffen.

Die Konzentration auf weniger Standorte sollte der Kostenexplosion im Gesundheitsbereich entgegenwirken und dazu beitragen, dass die Schweiz auf diesem Gebiet international konkurrenzfähig bleibt.

Sollten sich die Kantone bis dann nicht einigen, wird sich 2015 der Bund des Themas annehmen müssen und den Kantonen Entscheidungen zu den Spitzenmedizin-Zentren aufzwingen.

Experten gegen Zürich

Im Rennen um die prestigeträchtige Spitzenmedizin haben Bern und Lausanne von den medizinischen Experten die besseren Karten erhalten. Zürich sollte deren Ansicht nach über die Klinge springen.

Doch damit waren die Zürcher nicht einverstanden. Mit Lobbying, vor allem bei den Ostschweizer Kantonen, kämpften sie für ihre Sache. So war das Aufatmen über den Nicht-Entscheid der GDK bei den Zürchern laut und deutlich.

Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger zeigte sich hoch erfreut, dass das Uni-Spital Zürich bis mindestens 2013 weiter Herzen transplantieren dürfe.

Anders tönte es aus dem Berner Inselspital. Für dessen Direktor Urs Birchler hat das Beschlussorgan der GDK keine echten Beschlüsse gefasst und weder Gestaltungs- noch Steuerungswillen erkennen lassen. Die GDK habe einen «Fehlentscheid» getroffen.

Hemmschuh Föderalismus?

«Die Zeit für einen politischen Entscheid war offenbar noch nicht reif, sagt der Gesundheitsökonom Dr. med. Klaus Eichler, von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur, gegenüber swissinfo.ch.

«Wenn kantonale Gesundheitsdirektoren sich nicht einigen können, ist das politisch kein gutes Zeichen, besonders dann nicht, wenn vorher eine Entscheidung in Aussicht gestellt wurde», sagt er weiter.

Der Gesundheitsökonom Willy Oggier interpretiert das anders. «Ein Entscheid aufgrund der vorliegenden Auswahlkriterien, wäre fragwürdig gewesen.»

Er führt ins Feld, dass bei den Zürcher Daten der tragische Fall Voser [Transplantation eines Herzens mit einer unverträglichen Blutgruppe, was zum Tod der Patientin führte, Red.] eine Rolle gespielt habe sowie die Nichtbesetzung eines Lehrstuhls.

Oggier führt weiter ins Feld, die Anzahl der gespendeten Organe [ebenfalls in der Kriterienliste] könne nicht für oder gegen ein Transplantationszentrum verwendet werden.

Für Eichler haben lokalisierte Zentren, wie sie im Ausland von Zentralregierungen einfacher eingerichtet werden können, sicher Vorteile. Ein Nachteil sei aber auch, dass Reformen schwieriger umgesetzt werden könnten.

In der föderalilstischen Schweiz könnten sich jedoch dank fortschrittlicheren Kantonen Pilotlösungen schneller etablieren.

Angst vor der Bedeutungslosigkeit

Der Kampf um die Führung im Rennen als Spitzenmedizinplatz wird verbissen geführt. Willy Oggier erklärt den Grund für das grimmige Ringen: «Wer seinen Standort als Transplantationszentrum verliert, wird eine massive Abwertung für die gesamte Herzbehandlung erfahren.»

Jedes Herzzentrum, das die Transplantationen abgeben müsste, laufe Gefahr, dass sich die wissenschaftlichen Koryphäen absetzen würden, so Oggier. Und das hätte negative Auswirkungen auf den dortigen Forschungsplatz und das wissenschaftliche Renommee.

Mit anderen Worten, es geht nicht nur um das Ansehen eines Transplantationszentrums, sondern auch um handfeste finanzielle Aspekte.

So verhalte sich Zürich bei der Herztherapie so, wie sich Bern bei der Protonentherapie verhalte, meint Oggier.

Die auch zur Spitzenmedizin gehörende Protonentherapie wurde von der GDK ans Paul Scherrer-Institut nach Villingen vergeben. Dies hält die Berner jedoch nicht davon ab, ein 300-Millionen-Franken-Projekt für ein eigenes Protonenzentrum vorzubereiten.

Willy Oggier bringt ein gewisses Verständnis dafür auf: «Jeder versucht halt, sich in eine möglichst günstige Position zu bringen.»

Etienne Strebel, swissinfo.ch

Die Unispitäler von Zürich, Lausanne und Bern können nach dem Entscheid eines GDK-Gremiums vom 28. Mai bis 2013 Herztransplantationen durchführen. Spätestens dann soll ein Konzentrationsentscheid für höchstens zwei Standorte fallen.

Im GDK-Beschlussgremium für hochspezialisierte Medizin sind neben den Kantonen mit einem Universitätsspital (BS, ZH, VD, BE, GE) fünf weitere Kantone vertreten (LU, SG, GR, TI, AG).

Das Beschlussorgan entschied weiter, dass die gegen Krebs eingesetzte Protonentherapie vorderhand nur vom Paul Scherrer Institut (PSI) angeboten wird. Die dortigen Kapazitäten seien ausreichend.

2013 wird die GDK entscheiden, ob ein zweites Zentrum für Protonentherapie gebildet werden soll.

Bestätigt hat das Beschlussorgan die bestehenden Zentren für die Transplantation der Lunge, Leber, Niere und Pankreas, der Stammzellentransplantationen und der Cochlea-Implantation für Höhrbehinderte. Neben den Unispitälern sind auch die Kantonsspitäler St. Gallen und Luzern Standorte gewisser Eingriffe.

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