Radikalisierung verhindern: «Die Schweiz hat ein Modell»
Drei Monate nach seiner Ankunft in Washington zeigt sich der neue Schweizer Botschafter Martin Dahinden "zuversichtlich", dass der Banken-Streit zwischen den zwei Ländern gelöst werden kann. Und er sieht die Schweiz als ein Modell, um der Radikalisierung von Muslimen entgegen zu wirken.
swissinfo.ch: Das US-Justizministerium ermittelt immer noch gegen rund ein Dutzend Schweizer Banken. Wird das Banken-Dossier im Rahmen der bilateralen Beziehungen noch lange ein Dorn im Auge bleiben?
Martin Dahinden: Die Schweiz und die USA haben im August 2013 eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der ein klarer Rahmen definiert wurde, der den Schweizer Banken die Möglichkeit bietet, die Probleme der Vergangenheit zu lösen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Probleme schliesslich gelöst werden können. Zum Glück haben sie die vielen anderen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern nicht gefährdet.
swissinfo.ch: Raul Weil, die ehemalige Nummer 3 der UBS, wurde letzten November in einem Geschworenenprozess in Florida freigesprochen. Die Tessiner Zeitung Giornale del Popolo war damals zur Einschätzung gekommen, die «Schweiz sei vor der Anklage des amerikanischen Justizdepartements eingeknickt», die dem prüfenden Blick einer Jury nicht Stand gehalten habe. Hatten sich die Banken und die Schweiz in dieser ganzen Angelegenheit von den USA einschüchtern lassen?
M.D.: Wir haben das Urteil zur Kenntnis genommen. Das Schweizer Aussenministerium kommentiert aber weder diese Verfahren noch deren Ausgang.
Martin Dahinden
Seit November 2014 Schweizer Botschafter in Washington.
Davor leitete er von 2008 bis 2014 die Direktion für Zusammenarbeit und Entwicklung (DEZA).
Im Verlauf seiner diplomatische Karriere war er unter anderem in Paris, Abuja, New York (UNO), Wien (OSZE) und Brüssel (NATO) stationiert.
Martin Dahinden ist 1955 in Zürich geboren. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich und schloss mit einem Doktortitel ab.
swissinfo.ch: Aussenminister Didier Burkhalter hat jüngst an dem von Barack Obama organisierten Gipfeltreffen gegen gewalttätigen Extremismus die Schweiz vertreten. Was sind Ihre Gedanken zu diesem Thema?
M.D.: Der gewalttätige Extremismus ist wahrscheinliche die grösste Herausforderung unserer Generation. Um diesem Extremismus entgegen zu treten, braucht es eine breite Palette von Antworten. Die Schweiz ist besonders gut positioniert, dazu beizutragen, die Ursachen für eine Radikalisierung einzudämmen. Unser Land hat sehr viel Erfahrung beim Aufbau sozialer Gemeinschaften, der Schaffung von Arbeitsplätzen und damit, jungen Leuten eine Perspektive zu bieten. Wir bauen unsere eigene Gesellschaft von unten nach oben auf. In der Schweiz leben Menschen mit unterschiedlichen Religionen und kulturellen Hintergründen zusammen.
Persönlich bin ich froh, dass sich die Diskussion bei dem Gipfeltreffen viel um die Möglichkeiten drehte, mit denen Widerstandskraft, Resilienz gegen gewalttätigen Extremismus aufgebaut und die Radikalisierung verhindert werden kann.
swissinfo.ch: Eine Priorität der US-Regierung war, auf mehr Informationsaustausch über Terrorismus, militante Islamisten und deren Radikalisierungsbemühungen zu drängen. Ist die Schweiz bereit, diese Art Zusammenarbeit zu verstärken?
M.D.: Der Austausch von Informationen ist nichts Neues. Die Schweiz tauscht Erkenntnisse mit anderen Ländern aus, zu denen auch die USA gehören.
swissinfo.ch: Barack Obama und die Mehrheit der Teilnehmer aus den 65 Ländern, die an der Konferenz vertreten waren, schätzen die Bedrohung durch Gruppen wie die Organisation, die als Islamischer Staat (IS) bezeichnet wird, als «beispielslos» und «unmittelbar» ein. Sie selber sagen, es handle sich «wahrscheinlich um die grösste Herausforderung unserer Generation». Vor knapp einem Jahr hatte Präsident Obama die IS noch als ein «Schulteam» bezeichnet. War die internationale politische Klasse nicht am Ball geblieben?
M.D.: Wir wussten von Anfang an, dass diese extremen Gruppen eine Bedrohungen sein würden. Aber welche Dynamik sie in den letzten Monaten entwickelten, das hat sich am Anfang niemand vorstellen können.
swissinfo.ch: Welches ist die aktuelle Rolle der Schweiz in den Beziehungen zwischen den USA und Iran? Es gibt die Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm, daneben auch den Fall des Korrespondenten der Washington Post, Jason Rezaian, der in Teheran in Haft sitzt. Agiert die Schweiz in diesen Dossiers als Vermittlerin?
M.D.: Die Schweiz ist die Schutzmacht der USA in Iran, und angesichts der Art dieses Mandats kann ich dazu nichts sagen.
swissinfo.ch: Am 17. Dezember 2014 haben Barack Obama und Raul Castro entschieden, die Beziehungen zwischen den USA und Kuba zu normalisieren. War die Schweiz an den geheimen Verhandlungen beteiligt, die in den Monaten zuvor in Kanada stattgefunden hatten.
M.D.: Nein, die Schweiz war an diesen Verhandlungen in Kanada nicht dabei. Aufgrund ihres langjährigen Mandats erleichtert sie aber Kontakte zwischen Kubanern und Amerikanern. Wir hoffen, dass sich die Beziehungen zwischen den USA und Kuba verbessern und normalisieren werden.
Schweizer Diplomatie in den USA
Botschaft in Washington
4 Konsulate: New York, Atlanta, Los Angeles und San Francisco
2 Swissnex-Standorte (Wissenschaft & Technologie): Boston (mit einem Aussenposten in New York) und San Francisco
1 Business Hub in New York
Personalbestand: Insgesamt etwa 200 Personen, dazu kommen 22 Honorarkonsuln.
Seit 1961 vertritt die Schweiz die Interessen der USA in Kuba, seit 1980 auch in Iran.
Friends of Switzerland Caucus: Die Gruppe der Freunde der Schweiz im Kongress umfasst 38 Abgeordnete und 6 Senatoren, Demokraten und Republikaner.
swissinfo.ch: Welche Auswirkungen hat die Normalisierung auf das Mandat der Schweiz?
M.D.: Falls Kuba und die USA wieder volle diplomatische Beziehungen aufnehmen, wird das Mandat der Schweiz hinfällig werden.
swissinfo.ch: Denkt die Schweiz angesichts der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP), der Transpazifischen Partnerschaft (Trans Pacific Partnership, TTP) und dem Druck Obamas auf den Kongress für ein beschleunigtes Zustimmungsverfahren («fast track») daran, das 2005 angetönte Projekt für ein Freihandelsabkommen mit den USA wieder in Betracht zu ziehen?
M.D.: Mit dem TTIP soll die weltweit grösste Freihandels-Zone entstehen, die etwa 50% des globalen BIP abdecken wird. Das hätte auch erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmen in der Schweiz. Die Verhandlungen für dieses Abkommen dauern an, und wir verfolgen sie mit grossem Interesse. Aber es ist zu früh, um sagen zu können, ob die Schweiz daran beteiligt sein kann oder will.
swissinfo.ch: Wie schätzen Sie die Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA generell ein, und wo liegen Ihre Prioritäten?
M.D.: Unsere Beziehungen sind tiefer und umfassender als ein Grossteil der Leute denken mag. Ich führe dies auf die vielen Werte zurück, welche die Schweiz und die Vereinigten Staaten teilen, insbesondere das Engagement für Demokratie, Menschenrechte und freie Marktwirtschaft.
Sicher gibt es Bereiche, in denen wir Divergenzen haben, aber dank unseren langen und guten Beziehungen können wir offen darüber reden. Das wichtigste Ziel ist, unsere Beziehungen noch weiter zu vertiefen. Die Schweiz liegt bei den Investitionen von Ländern in den USA auf Rang sechs, und die USA sind nach Deutschland der grösste Exportmarkt für die Schweiz. Es gibt ein grosses Potential für weitere Fortschritte.
Ich habe von Anfang an festgestellt, dass in den USA viel Interesse besteht, an einer Zusammenarbeit mit der Schweiz bei der Konflikt-Prävention, bei humanitären Fragen und der Mediation. Ich sehe viele Perspektiven für eine vertiefte Zusammenarbeit in diesen Bereichen. Und vergessen wir nicht, dass unsere beiden Länder in Sachen Wissenschaft und Forschung zur Spitze gehören, und dass wir auch gemeinsam neue Wege beschreiten können.
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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