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Ramadan nach Aufhebung des Visa-Banns erleichtert

Unter Präsident Obama hätten sich die Beziehungen zwischen den USA und den Muslimen geändert, sagt Tariq Ramadan. Keystone

Der Genfer Islam-Wissenschafter Tariq Ramadan ist erleichert: Die USA haben den seit 6 Jahren bestehenden Visa-Bann gegen ihn aufgehoben. Damit ist er auch vom Verdacht befreit, dem Terrorismus nahe zu stehen.

Ramadan bereitet sich nun auf eine Amerika-Reise vor, um dort an der akademischen Debatte zur US-Politik teilzunehmen, wie er gegenüber swissinfo.ch sagt.

Die USA hatten Ramadan die Einreise wegen einer Spende verboten, die er der in der Schweiz beheimateten Wohlfahrtsstiftung Association de Secours Palestinien überwiesen hatte.

Diese soll laut Washington den Terrorismus und die Islamistische Hamas unterstützt haben.

Kürzlich hat nun Aussenministerin Hillary Clinton entschieden, Ramadan und einen weiteren Wissenschaftler, Adam Habib von der Universität Johannesburg, einreisen zu lassen.

«Der Präsident und die Aussenministerin haben deutlich gemacht, dass die US-Regierung ein neues Verhältnis mit muslimischen Kreisen sucht, auf der Basis von gegenseitigem Interesse und Respekt», sagte Ministeriumssprecher Darby Holladay am Mittwoch.

Ramadan und Habib, beide Kritiker des Irakkriegs, werden öfters zu Vorträgen in die USA eingeladen.

swissinfo.ch: Wie fühlen Sie sich nach der Aufhebung des Visa-Einreiseverbots?

Tariq Ramadan: Sehr zufrieden. Ich wusste schon immer, dass der Grund des Banns, also alles, was den Patriotic Act und das Finanzielle betrifft, nicht die Hauptursache des Einreiseverbots war. Es ging in erster Linie um meine Kritiken am Irakkrieg und einigen anderen politischen Entscheiden. Ich habe das von allem Anfang an gesagt.

Nun bin ich glücklich zu sehen, dass versucht wird, das umzusetzen, was Präsident Barack Obama gesagt hat. Es braucht die Öffnung gegenüber der muslimischen Welt und eine kritische Auseinandersetzung.

Wie das bereits der Sprecher des Aussenministeriums gesagt hat: Ich bin ein Teil dieses Prozesses. Ich bin auch ein Teil der kritischen Auseinandersetzung – als Westeuropäer und Muslim.

Für mich ist das sehr wichtig, denn mein Name wird nun nach sechs Jahren von all dem gesäubert, was über mich gesagt worden war.

swissinfo.ch: Hat die USA mit diesem Entscheid eine grosse Geste an die muslimische Welt gemacht?

T.R.: Ich weiss nicht, ob es eine grosse Geste ist. Aber eine Geste ist es schon. Obama sagte kürzlich, dass die Muslime auch Teil der Lösung seien, und dass sie Teil des Prozesses werden müssen, mit dem Extremismus und Gewalt angegangen werden.

Das ist es, was der Sprecher meinte, als er sagte, es brauche eine Öffnung gegenüber den Muslimen. Deshalb glaube ich, dies ist ein Schritt nach vorn, und zwar ein wichtiger.

Natürlich bleibe ich gegenüber der US-Politik kritisch eingestellt. Doch kritisiere ich nicht blind. Ich möchte in einen konstruktiven kritischen Prozess eingebunden werden. Auch möchte ich nach Amerika gehen können, um dort Auseinandersetzungen zu führen, und in einen Dialog mit Wissenschaftlern, Intellektuellen und der akademischen Welt zu treten.

swissinfo.ch: Was sagt Ihrer Meinung nach der Bann und dessen Begründung über die US-Politik aus?

T.R.: Zumindest scheint die Zeit, in der überall Verdächtigungen in der Luft hingen und Furcht herrschte, vorüber zu sein.

Nach der verhinderten Flugzeug-Attacke über Weihnachten wurden zwar Sicherheits-Massnahmen ergriffen. Gleichzeitig aber hören wir von der Obama-Administration, dass versucht wird, zwischen dem Gespräch mit dialogbereiten Muslimen und einer dünnen Schicht von islamistischen Gewalttätern zu unterscheiden.

Das ist schon mal ein guter Start. Wir sollten auch verstehen, dass es keine Zukunft gibt, wenn man Leute mit einem Einreise-Verbot belegt, und damit den Dialog verhindert.

swissinfo.ch: Wird es noch lange dauern, bis sich die Beziehungen der USA mit der muslimischen Welt verbessern?

T.R.: Seit Beginn dieses neu gewählten Präsidenten haben sich die Beziehungen verbessert. Nur schon die Wahl an sich ist einer Verbesserung gleichgekommen. Und auch seine Reden, wie jene in Kairo vom 4. Juni, seine Tonart und die Art, wie er vom Islam spricht, haben die Wahrnehmung total verändert.

Nur hat Obama viel gesprochen und eine Menge gesagt. Nachdem er den Nobelpreis entgegen genommen hatte, sagte er, dass noch viel gemacht und erreicht werden müsste.

swissinfo.ch: Bleibt Guantanamo eines von Obamas grössten Bleigewichten? Glauben Sie, er sei der Lösung noch fern?

T.R.: Ja, denn die Situation ist viel vertrackter als er dachte. Wenn ein Terror-Anschlagsversuch wie jener über Detroit stattfindet, ist absehbar, dass es sehr schwierig wird. Obama ist umgeben von Leuten, die ihm einreden, dass seine Politik naiv sei und er die Art der Bedrohung nicht verstehe.

Es braucht eine Schritt-für-Schritt-Strategie. Ich glaube dennoch, dass er schneller vorwärts machen kann, denn Guantanamo ist wirklich in all dem ein Bleigewicht, das wir lösen müssen.

swissinfo.ch: In Ihrem jüngsten Buch ‹What I Believe› behaupten Sie, man könne gleichzeitig Muslim und Bürger eines westeuropäischen Staaats sein. Wo liegt der Schlüssel zu dieser Kombination?

T.R.: Wir müssen verstehen, dass wir (Muslime) mehrfache Identitäten haben, und dass daran nichts Schlechtes ist. Es geht eher darum, mehr über unsere gemeinsamen Werte und Grundsätze zu sprechen, als über unsere unterschiedlichen Wahrnehmungen.

Jessica Dacey, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

Tariq Ramadan ist 1962 in Genf geboren. Er ist verheirat und hat vier Kinder.

Er ist der Enkel von Hassan-al Banna, der 1928 die Muslimbruderschaft gegründet hatte, eine der grössten Bewegungen der Glaubensrichtung.

Sein Vater Said Ramadan floh aus Ägypten, weil seine Bewegung verfolgt wurde, und liess sich in der Schweiz nieder.

Ramadan, der in London lebt, will «Brücken zwischen den zwei Welten bauen, die einander nicht gut kennen».

2004 verhinderte die US-Regierung, dass Ramadan einen Lehrauftrag an der Notre Dame University in Indiana übernimmt.

Im Januar 2006 focht die American Civil Liberties Union (ACLU) gegen den Secretary of Homeland Security, Michael Chertoff, und Staatssekretärin Condoleezza Rice, die Ramadan das Einreise-Visum nicht gewähren wollten.

Die ACLU klagte die Regierung Bush an, den Patriotic Act (Gesetz) zu manipulieren.

Ramadan hatte sich gegen die US-Invasion im Irak gewandt und mit dem dortigen Widerstand sympathisiert.

Er verurteilt die Gewalt der Islamisten und hat keine Beziehungen zum Terrorismus, wurde aber des Extremismus verdächtigt.

Tariq Ramadan besitzt einen Doktortitel für arabische und islamische Studien der Universität Genf, ebenso Abschlüsse in Philosophie und französischer Literatur.

Nach Forschungsaufenthalten in Oxford ist er zur Zeit Forschungsassistent an der Doshisha Universität in Japan.

Er ist Präsident des European Muslim Network, einem Think Tank in Brüssel.

Er hat mehr als 20 Bücher über den Islam publiziert.

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