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Rassismus-Strafnorm widersteht Angriffen von rechts

Eine beliebte Zielscheibe rassistischer Parolen sind die Juden. Keystone

Zerrt sie eine dunkle Seite der Schweizer Gesellschaft ans Licht oder schränkt sie unnötigerweise die Redefreiheit ein? Vor 20 Jahren hat das Schweizer Stimmvolk der Anti-Rassismus Strafnorm zugestimmt. Das Gesetz provoziert bis heute den Widerstand der politischen Rechten.

Ein Jodlerfest, eine Bar, ein Aufruf gegen Muslime  – rassistische Beschimpfungen und Diskriminierungen kommen an den scheinbar harmlosesten Orten vor. Wenn der Vorfall die Menschenwürde einer Person oder einer Gruppe verletzt oder die Grenze zu Aufstachelung zu Hass oder Propaganda überschreitet, ist er strafbar.

Seit das Gesetz im Januar 1995 in Kraft getreten ist, hat es 380 Straffälle gegeben. Die grosse Mehrheit der verurteilten Straftäter wurden mit einer Busse belegt.

Bei den meisten Verurteilten handelte es sich um Privatpersonen, doch auch Politiker, Prominente, rechtsextreme Aktivisten oder Beamte waren darunter.

Der Beschuldigte betitelte den dunkelhäutigen Geschädigten anlässlich des Jodlerfestes in Interlaken in einem Festzelt lauthals und für mehrere Personen verständlich als Neger, «Dräcksneger», Wixer und Hurensohn.

Entscheid:

Die zuständige Strafverfolgungsbehörde verurteilt den Beschuldigten wegen Rassendiskriminierung und Beschimpfung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 120 Franken bedingt  sowie zu einer Verbindungsbusse von750 Franken.

Quelle: Eidgenössische Kommission gegen Rassismus.

SVP: kontraproduktiv

Wie hat das Gesetz seine ersten 20 Jahre überstanden? Die neuste Motion der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) vom vergangenen März verlangt, das Gesetz sei ersatzlos zu streichen. Die Norm habe zu «Rechtsunsicherheit, Missbrauch und einer zunehmenden Zahl von Fällen, die nicht verfolgt werden» können, geführt.

Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus ihrerseits beklagt sich, dass Richter die Strafnorm zu stark einschränkend anwendeten. In seinem jüngsten Bericht über die Schweiz nahm auch der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Rassendiskriminierung diese Position ein.

SVP-Nationalrat Oskar Freysinger sagte gegenüber swissinfo.ch, das Gesetz sei kontraproduktiv und habe zu einer Diktatur der politischen Korrektheit geführt. «Die Menschen fühlen sich nicht mehr frei sich auszudrücken. Die Gefahr einer Klage ist gross und die Menschen sagen ihre Meinungen nicht mehr frei.»

Der Angeklagte hat einen Artikel mit dem Titel «Darum dürfen wir Muslime gar nie einbürgern» verfasst, der später in einer Parteizeitung veröffentlicht wurde. Er gibt zu, den Artikel verfasst zu haben, ist aber der Meinung, er habe damit nicht den Tatbestand der Rassendiskriminierung erfüllt.

Der Wortlaut des Artikels wird im Urteil nicht widergegeben. Der Angeklagte ist der Gerichtsverhandlung unentschuldigt ferngeblieben. Mit seinem öffentlich erfolgten Aufruf, auf keinen Fall Moslems einzubürgern, habe der Angeklagte zur Diskriminierung einer Gruppe von Personen allein wegen ihrer Religion aufgefordert. Mit der Behauptung, alle Moslems seien auf den «christenfeindlichen Koran» eingeschworen und aus diesem Grunde letztlich terroristische und auf Hass und Mord gegenüber Christen ausgerichtete Patriarchen, habe er des Weiteren öffentlich eine Ideologie verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung und Verleumdung der Angehörigen dieser Religion gerichtet sei.

Der Angeklagte wird der Rassendiskriminierung für schuldig erklärt und zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 90 Franken sowie zu einer Busse von 1170.00 Franken verurteilt.

Quelle: Eidgenössische Kommission gegen Rassismus.

Genozid-Leugner

Einer der verfolgten Fälle betraf den türkischen Nationalisten Dogu Perinçek, der im Jahr 2005 in Lausanne den Völkermord an den Armeniern von 1915 geleugnet hatte. Das Gesetz verbietet Leugnen, Verharmlosen und Rechtfertigung von Völkermord oder anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Perinçek wurde für schuldig befunden und verurteilt. Er legte beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Berufung ein. Dieser kam zum Schluss, dass sein Recht auf freie Meinungsäusserung verletzt worden sei.

Der Fall ist noch nicht abgeschlossen. Das Schweizer Justizministerium kündete im März 2014 an, es werde gegen das Urteil Berufung einlegen und den Fall an die Grosse Kammer des Gerichtshofs für Menschenrechte überweisen.

Freysinger ist der Meinung, Politiker und Historiker sollten nicht strafrechtlich verfolgt werden, egal, wie dumm oder falsch ihre Haltung auch sein möge. «Die Verfolgung unter diesen Umständen macht aus ihnen lediglich Märtyrer und gibt ihnen ein gewisses Gewicht», sagte er.

Der Geschäftsführer eines Lokals erklärte in einem Interview mit einem Radiosender, dass er grundsätzlich keine «Albaner, Jugoslawen und Schwarze» in sein Lokal lasse.

Des Weiteren wurde dem Angeklagten vorgeworfen, er habe durch vorgenommene Leistungsverweigerung Personen diskriminiert, indem er seinen Türsteher angewiesen habe, keine Ex-Jugoslawen, Albaner, Türken und Schwarze in das Lokal einzulassen.

Der Angeklagte wird zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 110.00, insgesamt CHF 3‘300.00 und einer Busse über CHF 500.00 verurteilt.

Quelle: Eidgenössische Kommission gegen Rassismus.

Hitlergruss und «Ausländerschwein»

Während die SVP bemängelt, das Gesetz gehe zu weit und habe zu einer «Kultur des Denunziantentums» und zu einem «Richterstaat» geführt, sieht die Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Martine Brunschwig-Graf, eine Tendenz, das Gesetz mit Bezug auf die Meinungsfreiheit ziemlich restriktiv anzuwenden.

Sie nannte zwei aktuelle Beispiele für diese Tendenz. So den Fall eines Polizisten, der im Jahr 2007 einen wegen Verdachts auf Diebstahl an der Basler Uhrenmesse festgenommen Algerier als «Ausländerschwein» und «dreckigen Asylbewerber» bezeichnet hatte. Der Polizist warim Berufungsverfahren freigesprochen worden.

In seinem im Februar 2014 veröffentlichten Urteil kam das Gericht zum Schluss, dass die Beleidigungen des Polizisten nicht gegen das Anti-Rassismus-Gesetz verstossen, da sie nicht gegen eine bestimmte Volksgruppe oder Religion gerichtet seien.

Im zweiten Beispiel geht es um einen Mann, der bei einem rechtsextremen Treffen den Hitlergruss gemacht hatte. Im Mai 2014 kam das Bundesgericht zum Schluss, dass er damit nicht gegen das Gesetz verstossen habe, denn er habe lediglich seiner «eigenen Überzeugung» Ausdruck verliehen und nicht eine Ideologie verbreitet.

«Das ist nicht nur ein Problem der Justiz, es ist ein gesellschaftliches Problem, was den Eindruck erweckt, dass bestimmte offensive Verhaltensweisen erlaubt seien», sagte Brunschwig-Graf gegenüber swissinfo.ch.

177 Staaten haben das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung unterzeichnet, darunter auch die Schweiz.

Die Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten, mit allen geeigneten Mitteln eine Politik der Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung und der Förderung des Verständnisses unter allen Rassen zu verfolgen.

Insbesondere sind die Vertragsstaaten verpflichtet, jede Propaganda und alle Organisationen zu verurteilen, die auf Theorien der Überlegenheit einer Rasse oder einer Personengruppe bestimmter Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit beruhen oder irgendeine Form von Rassenhass oder Rassendiskriminierung zu rechtfertigen oder fördern suchen.

Die Vertragsstaaten müssen die Verbreitung derartigen Gedankengutes sowie jede Aufreizung zur Rassendiskriminierung und Gewalttätigkeiten gegen eine Rasse oder Personengruppe anderer Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit unter Strafe stellen.

Quelle: humanrights.ch

Der Herr Nationalrat und die Italiener

Allerdings gibt es zuweilen auch Beschwerden, die auch von Befürwortern der Rassismus-Strafnorm kritisch beurteilt werden. So kritisierte der Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus von 1995 bis2011, Georg Kreis, in der Zeitung Tages-Anzeiger, dass gegen die Äusserung eines Satirikers in einer Fernsehsendung, wonach die Juden geldgierig seien, eine offizielle Beschwerde an die Staatsanwaltschaft eingereicht worden ist.

Alexander Tschäppätt, Sozialdemokrat, Nationalrat und Stadtpräsident von Bern, kam ebenfalls mit dem Gesetz in Konflikt, als er im vergangenen Dezember in einer Comedy-Show einen Witz über die «faulen Italiener» zum Besten gab. Ein Basler Anwalt klagte gegen Tschäppätt. Der Fall ist noch hängig.

«Als die Anti-Rassismus-Strafnorm im Jahr 1995 eingeführt wurde, war klar, dass die Beschwerden und Vorwürfe sorgfältig behandelt werden müssen und dass lediglich nur klare Verstösse vor Gericht gebracht werden sollten, um die Norm nicht mit Freisprüchen zu schwächen»,schrieb Kreis im Tages-Anzeiger.

Kristallnacht

Die Motion der SVP erwähnt die Not der Satiriker: «Auch Satiriker müssen sich zweimal überlegen, ob sie eine Pointe machen, ohne dass sie eine Beschwerde am Hals haben.» In seiner Antwort auf die Motion schreibt der Bundesrat, die Medienberichte über Beschwerden gegen satirische Äusserungen hätten zwar zugenommen, aber bisher sei es bei diesen Fällen zu keiner Verurteilung wegen Rassendiskriminierung gekommen.

Gewisse SVP-Mitglieder sind wegen Vergehen gegen die Strafnorm verurteilt worden. Im Mai 2014 verurteilte ein Zürcher Gericht ein ehemaliges SVP-Mitglied, weil er einen Kommentar auf Twitter gepostet hatte. «Vielleicht brauchen wir eine neue Kristallnacht – diesmal gegen die Moscheen», twitterte der Mann. In den Augen des Gerichts hatte er damit Muslime und Juden beleidigt.

Könnte es sein, dass die SVP die Strafnorm zum Schutz ihrer eigenen Mitglieder abschaffen möchte? «Ich will das Recht auf kontroverse Meinungsäusserungen aller Personen verteidigen, ob sie nun links oder rechts stehen. Eine Demokratie sollte stark genug sein, um das auszuhalten», antwortete Freysinger.

(Übersetzung aus dem Englischen: Andreas Keiser)

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