Regierung will Zuwanderer-Kontingente ab 2017
Der Bundesrat hat am Freitag sein Konzept zur Umsetzung der SVP-Zuwanderungsinitiative präsentiert. Dieses sieht die Beschränkung der Zuwanderung vor, wie im gutgeheissenen neuen Verfassungsartikel gefordert. Erreichen will dies die Regierung ab 2017 mit Ausländerkontingenten.
Als Konsequenz aus der Volksabstimmung über Zuwanderungs-Beschränkungen vom vergangenem 9. Februar will die Schweiz wieder Kontingente für Einwanderer einführen. Die Regierung werde jährlich Höchstzahlen in Abhängigkeit von der Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage festlegen, erklärte Justizministerin Simonetta Sommaruga die Haltung der Regierung.
Absolute Zahlen nannte sie nicht. Einzelheiten müssten noch ausgearbeitet werden. Für Bürger aus der EU und der Freihandelszone EFTA sollen die Regeln weniger streng gehandhabt werden als für Menschen aus anderen Ländern, machte Sommaruga klar. Für alle soll aber gelten, dass Ausländer erst ins Land geholt werden dürfen, wenn sich in der Schweiz kein geeigneter Bewerber für einen Arbeitsplatz findet.
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Weg in unbekanntes Terrain
Die Ministerin räumte ein, dass die geplante Regelung dem vor zwölf Jahren abgeschlossenen Vertrag mit der EU über die Personenfreizügigkeit und die Abschaffung von Kontingenten für EU-Bürger widerspricht. Aber die Regierung sei verpflichtet, die Umsetzung der Volksabstimmung vom 9. Februar in die Wege zu leiten.
Damals sprachen sich die Schweizer Wähler mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,3 Prozent für die von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) auf den Weg gebrachte «Initiative gegen Masseneinwanderung» aus. Die Initiative, die durch die Volksabstimmung zu einem Verfassungsgrundsatz wurde, muss innerhalb von drei Jahren umgesetzt werden.
Die Schweiz werde der EU-Kommission demnächst auch offiziell mitteilen, dass sie das Abkommen in drei Jahren nicht mehr einhalten könne, sagte Sommaruga weiter. Zugleich werde die Schweiz, wie im Vertrag vorgesehen, Neuverhandlungen vorschlagen. Wie die EU darauf reagieren werde, «wissen wir nicht genau».
Bleibt Brüssel hart?
Bereits am Tag nach der Volksabstimmung und zuletzt vor gut einer Woche machte die EU-Kommission klar, dass sie an dem Freizügigkeitsvertrag mit der Schweiz nicht rütteln lassen will.
Was die Schweiz tun kann, wenn sich die EU einer Neuverhandlung des Vertrages verweigert, wollte die Ministerin nicht sagen. «Dies ist eines der möglichen Szenarien», sagte Sommaruga. Ein anderes Szenario sei, dass die Schweiz in einem grösseren Rahmen ihre institutionellen Beziehungen zur EU grundsätzlich neu verhandle und die Schweizer dann über ein umfassendes Vertragspaket abstimmen.
Reaktionen äusserst gemischt
Die Reaktionen der Parteien und weiterer politischer Akteure auf das Konzept des Bundesrates für die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative sind gemischt ausgefallen. Die Sozialdemokratische Partei (SP) will keine Diskriminierung bei der Umsetzung der SVP-Initiative.
Sie befürchtet, dass Betriebe die Kontingente für Jahresbewilligungen mit Temporär-Angestellten und Kurzaufenthaltern umgehen werden. Würden verschiedene Zuwanderungskategorien gegeneinander ausgespielt, öffne das dem Missbrauch Tür und Tor.
Das Ja zur Zuwanderungsinitiative hat bei der EU geharnischte Reaktionen provoziert. Seither bemüht sich der Bundesrat, die Scherben zu kitten. Hier ein Überblick, was seit dem Volksentscheid geschah.
9. Februar: Die EU-Kommission bedauert die Annahme der Initiative. Das Votum verletze das Prinzip des freien Personenverkehrs zwischen der EU und der Schweiz.
12. Februar: Der Bundesrat kündigt an, bis Ende Juni ein Konzept für die nötigen Gesetzesanpassungen vorzulegen
12. Februar: Die EU-Botschafter nehmen das EU-Mandat für Verhandlungen mit der Schweiz über ein Rahmenabkommen zur Lösung der institutionellen Fragen vorläufig von der Agenda.
16. Februar: Die Schweiz informiert Kroatien, dass sie das Protokoll zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit nicht unterzeichnen kann. Die EU legt darauf die Verhandlungen über das Forschungsprogramm Horizon 2020, das Bildungsprogramm Erasmus+ und das Stromabkommen auf Eis.
4. April: Der Bundesrat bietet Kroatien an, die Personenfreizügigkeit umzusetzen, ohne das Zusatzprotokoll zu unterzeichnen. Im Gegenzug soll die EU die sistierten Verhandlungen wieder aufnehmen.
29. April: Die EU-Unterhändler akzeptieren den Schweizer Vorschlag, die Personenfreizügigkeit auf Kroatien ohne Unterzeichnung des Zusatzprotokolls anzuwenden.
30. April: Der Bundesrat genehmigt die vorgeschlagene Kroatien-Lösung, die einer faktischen Gleichbehandlung gleichkommt.
22. Mai: Die Schweiz und die EU nehmen in Bern die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen auf.
20. Juni: Der Bundesrat präsentiert ein Konzept zur Umsetzung der Initiative, wonach ab 2017 wieder Ausländerkontingente eingeführt werden sollen.
SVP: «Inakzeptabel»
Die SVP freut sich zwar, dass einige Punkte aus ihrem Konzept aufgenommen wurden. Für den Entwurf, den die Regierung Ende dieses Jahres in die Konsultation schicken will, sieht sie aber doch beträchtlichen Bedarf für Nachbesserungen. Für sie ist die Beschränkung des Familiennachzugs und des Zugangs zu den Sozialwerken zwingend nötig.
Den Fahrplan des Bundesrats zur Umsetzung der Initiative nennt die SVP gar «inakzeptabel». Der Bundesrat kündige bereits für den Herbst ein Verhandlungsmandat mit der EU an, während erst Ende Jahr eine Vernehmlassung zur konkreten Umsetzung des Verfassungsartikels eröffnet werden solle. Damit bestätige er, dass er nicht an einer ernsthaften Umsetzung interessiert sei, hiess es.
Keine schärferen Kontrollen
Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) unterstützt zwar die Stossrichtung des Konzepts generell, kritisiert aber den weiterhin fehlenden Mut bei der unabhängig von der EU möglichen Beschränkung des Familiennachzugs aus Drittstaaten sowie bei Massnahmen im Asylwesen. Die Partei werde für den bilateralen Weg kämpfen und unterstütze deshalb auch die Verhandlungen für dessen Erneuerung.
Strikt abgelehnt werden von der FDP weitere flankierende Massnahmen im Arbeitsbereich.
Christophe Darbellay, Präsident der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), lobte den Bundesrat über den Kurznachrichtendienst Twitter für die konsequente Umsetzung der Initiative und fügte ein «Gut so aber schmerzhaft!» bei.
Als «altes bürokratisches Modell» bezeichnen die Grünen das Konzept. Der Bundesrat nutze seinen Spielraum nicht und bewege sich auf eine Sackgasse zu. Für die Vernehmlassung fordern sie eine zweite, EU-kompatible Vorlage. Die Initiative könne umgesetzt werden, ohne dass die Schweiz sich von der Personenfreizügigkeit trennen müsse.
Hoheit der Kantone gewahrt
Auch für die Kantone stimmt die Stossrichtung des Konzepts. In den Details gebe es in der nächsten Phase allerdings noch Vertiefungsbedarf, sagte der St. Galler Regierungsrat Benedikt Würth.
Entscheidend sei für die Kantone, dass die Ermittlung der Höchstzahlen wirklich aufgrund der Bedürfnisse der Kantone beziehungsweise der Wirtschaft ermittelt würden und auch nach bestimmten Kriterien bewertet würden, so Würth. «Wir sind erleichtert, dass der Bundesrat im Grundsatz den föderalen Ansatz übernommen hat.»
Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) begrüsst die Vorschläge. Mit der präsentierten Lösung werde zentralen Bedürfnissen der Wirtschaft Rechnung getragen. Mehr Flexibilität fordert der SGV bei den Kurzaufenthaltern. Diese sollten nicht nur während 90 Tagen, sondern während eines Jahres kontingentsfrei in der Schweiz arbeiten dürfen.
Bauern erleichtert…
Auch der Schweizerische Bauernverband (SBV) könnte damit leben, dass nur Aufenthalte von bis zu vier Monaten ohne Kontingente bewilligt werden, wie Geschäftsleitungsmitglied Peter Kopp sagte. Der SBV hätte allerdings eine Begrenzung bei zwölf Monaten bevorzugt.
… Gewerkschaften befürchten Tieflöhne
Für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) dagegen sind die Vorschläge des Bundesrats schlecht für die Löhne und Arbeitsplätze im Land. Mit den Vorschlägen des Bundesrats würden sehr kurzfristige Anstellungen gefördert, insbesondere prekäre Temporär-Arbeit, schreibt der SGB.
Der Schweizerische Arbeitgeberverband äussert sich irritiert darüber, dass der Bundesrat vorhandenen Umsetzungsspielraum zugunsten der bilateralen Verträge nicht nutze. Insbesondere für Kurzaufenthalter bis zu einem Jahr wäre der Verzicht auf eine Kontingentierung verfassungskonform.
Die Spitalbranche mit einem hohen Anteil ausländischem Personal bezeichnet es als positiv, dass der Bundesrat auf eine Höchstzahl bei den Kontingenten verzichten will. Entscheidend werde der Einbezug der Kantone sein, da in Spitälern die Sprachkenntnisse ausschlaggebend seien, sagte Conrad Engler, Mitglied der Direktion des Spitalverbandes H+.
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