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Regina Durrer-Knobel: Die erste Frau aus Nidwalden im Nationalrat

Regina Durrer-Knobel blickt lächelnd in die Kamera
Die Wirtschaftslehrerin und Prorektorin der Berufsschule Stans politisiert neu im Nationalrat. Thomas Kern/swissinfo.ch

Die Verwandten in den USA fieberten mit der neuen Mitte-Nationalrätin Regina Durrer-Knobel im Wahlkampf. Als Lehrerin fand die Nidwaldnerin nichts langweiliger als eine brave Klasse. Ein Porträt.

Sie strömen aus der Tiefgarage ins Schulhaus. Im ländlich geprägten Nidwalden fahren viele Schüler:innen mit dem Auto in die Berufsschule Stans.

Bis zu ihrer Wahl in den Nationalrat hat die Prorektorin Regina Durrer-Knobel hier auch noch Wirtschaft unterrichtet – sogar über Aspekte des Rechnungswesens hätten manche Schüler:innen engagiert diskutiert.

Die Debatte als Energiequelle

«Es gibt nichts Langweiligeres als eine brave Klasse», sagt die Lehrerin, «Zum Unterrichten ist das sehr mühsam.» Interessant sei die Arbeit, wenn eine Klasse auch mal die Schulordnung hinterfragt. Auch in der Politik ist die Diskussion eine Energiequelle für die neue Nationalrätin der gemässigten Mitte-Partei.

«Komme ich aus einer Sitzung mit drei bis sieben Leuten, wo man sich Gegensteuer gegeben hat, fühle ich mich super. Egal, ob ich durchgekommen bin oder nicht.» 

Während Durrer-Knobel im Kantonsparlament die Finanzkommission geleitet hat, setzt sie im Nationalrat nun auf Bildungspolitik. Sie nimmt Einsitz in der Wissenschafts-, Bildungs- und Kulturkommission. 

Im vergangenen Oktober zogen 56 neu gewählte Vertreterinnen und Vertreter ins nationale Parlament ein. Die Schweizerische Volkspartei, die Mitte und die Sozialdemokratische Partei haben bei den eidgenössischen Wahlen 2023 am meisten zugelegt und stellen auch die meisten Neulinge im Parlament. Die Grünen haben – als die grossen Verlierer der Wahlen – keine neuen Gesichter nach Bern schicken können.

In dieser Serie porträtiert SWI swissinfo.ch neun Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die ihre ersten Schritte in der nationalen Politik machen.

Die Kommissionsarbeit ist Durrer-Knobel das Liebste an der Politik. Alle sind vorbereitet. Echte Diskussionen sind möglich. Sie könne andere Haltungen nachvollziehen und bringe Verständnis für politische Gegner:innen, rechts wie links, auf.

Regina Durrer-Knobel im Gespräch
Regina Durrer-Knobel schätzt engagierte Diskussionen. Thomas Kern/swissinfo.ch

«In der Schweiz wird die Polarisierung höher geschaukelt, als sie eigentlich ist», sagt sie. Dann hält sie kurz inne. «Ich stehe natürlich selbst in der Mitte und spreche aus der komfortablen Situation, wo man jede Seite versteht.» Sie macht das mehrmals: Eine These in den Raum stellen, um sie dann gleich selbst zu differenzieren.

Verbunden mit den Verwandten in den USA

Ihre Verwandten in den USA spüren die Polarisierung zweifellos stärker als sie in der Schweiz, ist Durrer-Knobel überzeugt. Ob jemand in der Stadt oder auf dem Land lebe, am Genfersee oder in der Zentralschweiz: «In der Schweiz können alle noch miteinander reden.» Das liege auch daran, dass es hier – anders als in den USA – eine Vielfalt an Parteien gibt.

Durrer-Knobel, die in einer 2000-Einwohner:innengemeinde zwischen Bergen und Vierwaldstättersee lebt, hat eine persönliche Nähe zur Schweizer Diaspora. Auch, weil ihre Schwester einige Jahre im Ausland lebte.

Aus der Innerschweiz sind einst viele Menschen in die USA ausgewandert – so wie vor drei Generationen auch ein Familienzweig von Durrer-Knobel. Man besuche sich gegenseitig; die Kinder kommen zu Sprachaufenthalten.

Den Schweizer Pass haben ihre US-Verwandten nicht mehr, aber stolz seien sie dennoch gewesen, dass jemand aus ihrer Familie «im Pendant zum US-Repräsentantenhaus» sitzt.

Den Frust vieler Auslandschweizer:innen über das fehlende E-Voting verstehe sie: «Wir machen so viel digital. Selbst in der Schweiz wird das gedruckte Couvert langsam zum Fremdkörper.»

Allerdings müsse zuerst der Datenschutz «hieb- und stichfest» sein. Denn: «Der Schaden eines Vertrauensverlust bei einem Manipulationsverdacht durch E-Voting wäre nicht wiedergutzumachen.»

Nidwalden 1971 für das Frauenstimmrecht

Nidwalden sieht sie als «eine Schweiz im Kleinen». Als Region, welcher der «Spagat zwischen Tradition und Innovation» gelingt. «Ich empfinde es als relativ offenen Kanton, in dem das Miteinander spürbar ist.»

Als einziger Urkanton stimmte Nidwalden 1971 für das Frauenstimmrecht. Lokal führte er es bereits ein Jahr früher ein. Durrer-Knobel, selbst Jahrgang 1971, ist zwar nun die erste Frau, die Nidwalden im Nationalrat vertritt – aber die erste Nidwaldner Ständerätin hat der Kanton bereits vor einem Vierteljahrhundert nach Bundesbern geschickt.

Politisch tickt der kleine Kanton Nidwalden trotzdem eher konservativ. Die Sozialdemokrat:innen haben hier bis heute nie wirklich Fuss gefasst. Bis zum Aufstieg der rechtskonservativen SVP haben sich die rechtsliberale FDP und die katholische CVP, Vorgängerpartei der Mitte, die Macht aufgeteilt.

Nach acht Jahren, in denen ein SVP-Nationalrat den einzigen Nationalratssitz innehatte, hat ihn nun Durrer-Knobel zur Mitte-Partei geholt.

Die Frage der Frauenförderung

Selbst habe Durrer-Knobel lange nicht geglaubt, dass es in der Politik noch Frauenförderung brauche. «Heute sehe ich das definitiv anders.»

Wenn man einen Mann frage, ob er ein Amt übernimmt, sei seine Frage, wie viel Zeit er dafür einplanen muss. Wenn man eine Frau frage, frage diese oft, ob sie denn überhaupt die Fähigkeiten dafür habe. 

Regina Durrer-Knobel Interview Bild
Es braucht Frauenförderung, findet Durrer-Knobel heute. Thomas Kern/swissinfo.ch

Ein konkretes Feld der Frauenförderung, an dem Durrer-Knobel in der Bildungskommission arbeitet, ist die Frage, wie man die berufliche Wiedereingliederung nach einer Kinderpause unterstützen kann.

«Zum Beispiel mit Stipendien für Leute mittleren Alters, die dabei helfen die Lebenskosten während Weiterbildungen zu tragen.»

Generell möchte Durrer-Knobel Unternehmen motivieren, attraktivere Teilzeitstellen anzubieten. Auch fast alle Führungsjobs könnten sich zwei Personen in Teilzeitpensen aufteilen.

Dies erlaube freieres Entscheiden, wie «Familien- und Erwerbsarbeit» aufgeteilt werden soll. «Natürlich dürfen Frauen daheimbleiben, aber es sollte in allen Branchen auch mehr Möglichkeiten geben, wenn ein Paar je 60% arbeiten möchte.» 

Von jenen, die eine fauler werdende Gesellschaft beklagen, hält sie wenig. «Faule Leute gab es schon vor 100 Jahren. Nie werden alle 100% Leistung bringen – und die Gesellschaft kann das tragen.»

Tiefe Steuern in Nidwalden

Nirgends auf der Welt sind die Unternehmenssteuern so tief wie in NidwaldenExterner Link. Der Kanton setzt auf eine Tiefsteuerstrategie, um Reiche und Unternehmen anzulocken. Als Finanzpolitikerin ist das für Durrer-Knobel vertrautes Terrain.

«Definitiv lohnt es sich für uns – aber wir zahlen auch Millionen in den Finanzausgleich an andere Kantone, weshalb es sich insgesamt für die ganze Schweiz lohnt.» 

Der Steuerwettbewerb komme aber dann an seine Grenzen, wenn man aus ideologischen Gründen gegen jede noch so kleine Steuererhöhung antrete. «Spätestens, wenn man in der Bildung spart, sage ich: Hoch mit den Steuern!»

Gewählt auch mit den Stimmen der Linken

Im Parlament von Nidwalden sind nicht nur die politischen Kräfteverhältnisse anders als im Bundeshaus in Bern – es gibt auch eine andere Sitzordnung.

In Nidwalden sitzen Politiker:innen nicht zwischen Parlamentarier:innen aus dem eigenen Lager, sondern zwischen Parlamentarier:innen aus ihrer Region – nach Wohngemeinde. Das präge die politische Kultur.

«Sie weiss, was sie will, aber noch mehr weiss sie, was wichtig ist», sagt ihr früherer Sitznachbar, der Grüne Thomas Wallimann-Sasaki. Sie habe ihre Meinung unabhängig vertreten und als Präsidentin der Finanzkommission ihre Akzente gesetzt. Linke Akzente? «In meinen Augen gehört sie schon zu den ‹Linkeren› in der Mitte-Partei. Sie hat ein Verständnis für sozial Benachteiligte.»

Es ist in Nidwalden ein offenes Geheimnis, dass Durrer-Knobel auch dank linken und grünen Stimmen gewonnen hat. Während SVP und FDP mit eigenen Kandidat:innen angetreten sind, hat sich die Linke hinter die Mitte-Politikerin gestellt.

Wallimann-Sasaki spricht nur lobend über Durrer-Knobel. Seine einzige «Befürchtung» sei, dass sie im Bundesparlament mit der stärkeren Fraktionsdisziplin «eingemittet» werde.

Der Smartspider von Regina Durrer-Knobel
Der Smartspider von Regina Durrer-Knobel zeigt eine gemässigte Haltung in allen Politikbereichen. Am ehesten fällt die leichte Amplitüde hin zu einem «ausgebauten Sozialstaat» auf. smartvote.ch

Durrer-Knobel selbst erlebt ihre neue Fraktion in Bern als gar nicht so streng: «Die Mitte hat die niedrigste Fraktionstreue. Das ist sympathisch.» Ein wenig «querzuschlagen» sei immer gut.

Doch die Politik auf Bundesebene funktioniere schon anders, als sie es in ihrer Gemeinde und in Nidwalden erlebt hat. Im Nationalrat befasse man sich mit so vielen Geschäften, dass man keine Chance habe, sich in jedes einzelne zu vertiefen. Im Zweifel folge man der Fraktion. Dies nennt sie als grösste Veränderung – neben der fehlenden persönlichen Basis.

«Politik geht immer über das Persönliche»

«Politik geht am Ende immer über das Persönliche», ist Durrer-Knobel überzeugt. Wenn sie mit jemandem aus Nidwalden spreche, habe sie nach drei Sätzen eine Verbindung – weil die Töchter zusammen in der Pfadi oder die Cousins zusammen in den Ferien waren.

«In Bern oben habe ich bei 200 Nationalrätinnen und Nationalräten mit niemandem eine solche Verbindung. Das macht den Anfang schwieriger.»

Doch sie ist nicht die erste in ihrer Familie, die diese Umstellung macht. Schon ihr Ururgrossvater machte «in Bern oben» Politik: Er war nach der Bundesstaatsgründung der erste Nidwaldner Ständerat.

Editiert von David Eugster

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