Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Religionen im Machtspiel der Politik

Der von einem Polizisten erschossene ägyptische Kopte Fathy Ghattas wird unter grosser Anteilnahme zu Grabe getragen. Keystone

Anschläge gegen die Kopten in Ägypten und gegen die Christen im Irak haben die westliche Welt aufgeschreckt. Der Schweizer Botschafter Claude Wild sagt, was die Schweiz gegen religiös motivierte Gewalt unternimmt.

swissinfo.ch: Die Schweiz engagiert sich in der Friedenspolitik und fördert das friedliche Zusammenleben von Menschen mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen. Wieso macht die Schweiz das überhaupt?

Claude Wild: Es gehört zur Tradition der Schweiz, sich für Frieden, Menschenrechte und Verletzliche einzusetzen. Zweitens haben wir auch ein ureigenes Interesse an einer stabilen Welt. Aussenpolitik ist Interessenpolitik. Wir sind ein Land, das Sicherheit braucht, sie ist notwendig, auch zur Sicherung  unseres Wohlstandes.

Eine stabile Welt, in der die internationalen Regeln eingehalten werden und Menschen mit verschiedenen Weltanschauungen und Religionen in Frieden zusammenleben können, ist im Interesse der Leidenden, aber auch im Interesse von uns allen.

swissinfo.ch: Ist die Schweiz derzeit in Ägypten oder im Irak aktiv?

C.W.: Beide Länder gehören nicht zu den prioritären Regionen der Friedensförderung der Schweiz, dort sind sehr viele andere Nationen tätig. Wir haben jedoch im Irak ein Menschenrechtsprojekt durchgeführt, d.h. wir haben für Beamte eine Weiterbildung im Bereich der Menschenrechte angeboten, damit sie ihr Wissen über den «Schutz der Minderheiten» und die «Religionsfreiheit» erweitern können.

In Ägypten haben wir auch ein laufendes Projekt. Es handelt sich um ein Pilotprojekt zwischen einer von Frauen geleiteten islamisch motivierten ägyptischen  und einer christlichen  Nichtregierungs-Organisation aus der Schweiz.

Sie arbeiten ganz praktisch im humanitären Bereich zusammen, entwickeln Projekte und lernen so die Religion und die Weltanschauung der anderen auf ganz natürliche Weise kennen. Dieser Ansatz ist typisch für unsere Arbeit im Bereich «Religion und Konflikte», wir nennen ihn «dialogue par la pratique».

In Tadschikistan beispielsweise haben wir nach dem Bürgerkrieg ein Projekt gestartet, das wiederum auf ganz praktische Weise zur Vertrauensbildung beitragen soll. Wir unterstützten die Ausarbeitung eines einheitlichen Lehrplans für die vom öffentlichen Bildungssystem unabhängigen, privaten religiösen Schulen (M adrasas). 

Elemente der säkularen und zivilen Bildung wurden in den Lehrplan dieser Schulen eingebaut. Damit konnte eine Brücke zwischen den beiden Bildungssystemen gebaut werden und auch zwischen verschiedenen Weltanschauungen. So werden die Kinder zwar religiös, aber nicht im Sinne der Extremisten erzogen.

swissinfo.ch: Wird das Engagement der Schweiz nicht als Einmischung empfunden?

C.W.: Nein. Wir haben keine «hidden Agenda» (versteckte Interessen, die Red.), und wir waren nie eine Kolonialmacht. Wir sind interessiert an einer stabilen Welt, aber wir haben keine machtpolitischen Ansprüche. Und die Projekte, die wir machen, sind immer abgesprochen. Wir machen nichts, was eine Regierung nicht weiss. Oft werden wir auch angefragt.

swissinfo.ch:  Ist das Konfliktpotential zwischen dem Islam und dem Christentum grösser geworden? Oder warum ist die Lage gerade jetzt eskaliert?

C.W.: In den letzten Jahrzehnten ist die Anzahl der Christen im Orient stetig geschrumpft. Es gibt Länder, in denen die Christen als Minderheit respektiert werden, beispielsweise in Jordanien, Libanon oder Syrien. In anderen Ländern sind sie wegen der instabilen Lage des Staates, in dem sie leben, in einer schwierigen Situation. Aber davon sind auch andere Minderheiten betroffen.

Dies gilt beispielsweise auch für den Irak. Dort werden die Christen nicht vom Staat verdrängt, sondern von der allgemeinen Instabilität. Im Irak leidet die gesamte Bevölkerung gleichermassen unter islamistischen Extremisten.

Der Staat hat sich zum Minderheitenschutz bekannt, kann diesen aber nicht durchsetzen. Zurzeit finden dort auch Machtkämpfe innerhalb  muslimischer Gemeinschaften statt.

So wurden etwa die Schiiten lange unterdrückt und fordern jetzt ihren Teil an der Macht ein. Unter Saddam Hussein gab es christliche Minister in der Regierung, die nun als Mitläufer des ehemaligen Regimes wahrgenommen werden, was auch zu Racheakten an Christen führen kann.

In Ägypten hingegen hat man zwar eine stabile Regierung, aber eine unterdrückte Opposition. Extremisten versuchen, den Staat zu destabilisieren. Es ist nicht so, dass in Ägypten Christen und Muslime nicht mehr friedlich zusammenleben können. Es sind Aktionen von Extremisten, von Kriminellen, die dieses Zusammenleben gezielt stören.

Man muss sich hier in der westlichen Welt auch bewusst sein, dass die Christen im Nahen Osten nicht etwa der durch Einwanderung verlängerte Arm des Westens sind. Die Christen und ihre Vorfahren lebten schon immer in dieser Region.

Die Extremisten versuchen nun, einen falschen Eindruck zu erwecken, indem sie sie als Fremdkörper bezeichnen. Aber geschichtlich gesehen gehören die Christen  in diese Länder, sind Teil dieser Gemeinschaften.

swissinfo.ch: Sind religiöse Fragen die Hauptkonfliktpunkte, oder ist Religion in Konflikten oft ein Nebenschauplatz?

C.W.: Religionen spielen in Konflikten zwar eine Rolle, oft werden sie aber benutzt, um sich gegen andere abzugrenzen oder die Identifikation mit einer Gruppe zu fördern. Diese Gruppen verfolgen meist ganz andere als bloss religiöse Ziele.

Die Geschichte zeigt, dass es in Konflikten stets um Macht und die Kontrolle über Gebiete und Ressourcen ging. Religionen werden oft gezielt eingesetzt, um Leute hinter sich zu scharen. Die Religion wird gebraucht im Machtspiel der Politik.

Botschafter Claude Wild ist Leiter der politischen Abteilung IV des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA.

Zu dieser Abteilung gehört seit 2004 der Aktivitätsbereich «Religion, Politik, Konflikt». 

Im Rahmen ihres weltweiten Engagements für den Frieden betreibt die Schweiz auch die Förderung des friedlichen Zusammenlebens von Menschen mit unterschiedlichen Weltbildern und Religionen.

Die Schweiz konnte sich in Zusammenarbeit mit dem Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung (IHEID) und anderen Partnern auf diesem Gebiet fundierte Erfahrungen aneignen, die auf multilateraler wie bilateraler Ebene anerkannt werden.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft