Gehören Schweizer Frauen zu den Privilegierten Europas?
Die Erhöhung des Rentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahre gehört zu den umstrittensten Punkten der Reform des Schweizer Rentensystems, über das am 24. September abgestimmt wird. Die Schweizer Frauen gehören allerdings zu den wenigen in Europa, die vor den Männern in Pension gehen können.
Die Schweiz gehört seit einiger Zeit nicht mehr zu jenen Ländern, die bei den Frauenrechten und der Geschlechtergleichheit Spitze sind. Das Stimm- und Wahlrecht auf nationaler Ebene wurde den Frauen erst 1971 zugestanden, während es in ganz Europa bereits eingeführt war, teils seit Jahrzehnten.
Die Schweiz war 2005 auch das letzte europäische Land, das (per Volksabstimmung) eine Mutterschafts-Versicherung eingeführt hat. Zudem verdienen die Frauen in der Schweiz weiterhin durchschnittlich 18% weniger als Männer auf gleicher Stufe.
Beim Pensionsalter hingegen haben die Frauen bisher bessere Bedingungen, da das gesetzlich festgelegte Alter für Frauen 64 und für Männer 65 Jahre beträgt. Und das, obwohl die Lebenserwartung bei 85 (Frauen) respektive 81 Jahren (Männer) liegt.
Unter den 28 Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU) unterscheiden lediglich acht heute noch beim Rentenalter zwischen den Geschlechtern. Der grösste Unterschied herrscht in Österreich, wo die Frauen ab 60 eine Vollrente beziehen können, während die Männer bis 65 arbeiten müssen.
Zu erwähnen ist aber, dass auch diese acht Länder – mit Ausnahme von Rumänien – bereits neue Gesetze zur Angleichung des Rentenalters eingeführt haben. Einige schon in ein paar Jahren, andere bis 2040.
Mit Rentenalter 64 befinden sich die Schweizer Frauen heute im europäischen Durchschnitt. In 13 EU-Staaten liegt das Rentenalter darüber, in den anderen zwischen 60 und 63 Jahren. Dieser Rahmen dürfte sich aber in den nächsten Jahren wesentlich verändern.
Die Überalterung der Gesellschaft und die letzte Wirtschafts- und Finanzkrise brachten zahlreiche Regierungen dazu, grosse Reformen anzustossen, um die Finanzierung ihrer Rentensysteme sicherzustellen. So haben fast alle Länder der EU entschieden, das Rentenalter der Frauen und Männer auf 65 bis 67 Jahre anzuheben. Mit Ausnahm von Frankreich, Griechenland, Tschechien und Rumänien.
Während die meisten EU-Länder ihre Rentensysteme «angleichen», gibt es im weltweiten Vergleich grosse Unterschiede. Diese haben nicht nur mit politischen Entscheidungen und der wirtschaftlichen und sozialen Lage zu tun, sondern auch in hohem Mass mit der Lebenserwartung der Bevölkerung. Doch auch global gesehen ist die Tendenz zur Erhöhung des Rentenalters der Frauen – wie auch dasjenige der Männer – festzustellen.
In der Schweiz wollen die Landesregierung (Bundesrat) und ein Grossteil des Parlaments das Rentenalter der Frauen von 64 auf 65 Jahre erhöhen. Dies im Rahmen der Reform Altersvorsorge 2020Externer Link, über die am 24. September eine nationale Volksabstimmung durchgeführt wird.
Die Angleichung des Rentenalters von Frauen und Männern trage dazu bei, die Finanzierung des Sozialversicherungssystems sicherzustellen. Dadurch würden die Konten der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) jährlich um 1,3 Milliarden Franken entlastet.
Diese Massnahme gehört zu jenen Punkten der Altersvorsorge 2020, die am meisten umstritten sind, besonders von Seiten linker Gruppen und kleinerer Gewerkschaften. Ihrer Meinung nach ist die Angleichung ungerecht, weil die Frauen in der Arbeitswelt immer noch diskriminiert würden. Die Befürworter betonten, dass eine Reihe weiterer Massnahmen geplant sei, um die Anhebung des Rentenalters der Frauen abzufedern. Darunter ein monatlicher Zuschlag von 70 Franken für jene, die neu ins Rentenalter kommen. Ob die Rentenreform, es wäre die erste seit 22 Jahren, an der Urne durchkommt, ist aber laut Umfragen sehr fraglich.
Ist es Ihrer Meinung nach gerechtfertigt, das Rentenalter der Frauen jenem der Männer anzupassen? Debattieren Sie mit, indem Sie einen Kommentar schreiben.
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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