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“Rentner:innen, die im Ausland im Luxus leben, sind die Ausnahme”

Kreuzfahrtsschiff
Keystone / The Print Collector

Vor der Abstimmung über eine 13. AHV-Rente sind die Schweizer Auslandrenten in den Fokus geraten. Vier Schweizer Pensionär:innen im Ausland berichten über ihre Realität.

Unser “Let’s Talk” zu den beiden AHV-Vorlagen vom 3. März:

Auslöser dieser lebendigen Debatte war unter anderem ein Communiqué von Nationalrätin Martina Bircher (SVP/rechtskonservativ), in dem sie von “Luxusrenten im Ausland” schreibt. Ihr Vorschlag: Auslandrenten kürzen, indem man sie an die Kaufkraft der Wohnländer anpassen könnte.

Das hat bei Nutzerinnen und Nutzern von swissinfo.ch für viele Reaktionen gesorgt. “Mit meiner AHV-Rente von 1250 Franken pro Monat wäre es für mich unmöglich, in der Schweiz zu leben”, sagt Carl Albert Melo.

Carl Albert Melo
Carl Albert Melo und seine Frau in Argentinien. màd

Wie er beziehen laut der Statistik 2022 des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) fast 144’000 Schweizer:innen eine Rente im Ausland.

Melo ist argentinisch-schweizerischer Doppelbürger, er zog vor acht Jahren bei seiner Pensionierung in das Heimatland seiner Frau. Da diese nie erwerbstätig war, erhält sie keine Rente.

Schwierig, über die Runden zu kommen

Diese späten Auswanderungen sind manchmal auf Liebesgeschichten oder Abenteuerlust zurückzuführen. Oft sind sie jedoch aus finanziellen Gründen notwendig, wie viele Rückmeldungen auf unsere Berichte zeigen.

“Schweizer Rentner, die im Ausland im Luxus leben, sind die Ausnahme”, meint etwa Pierre-Yves Maillard, ein Schweizer Rentner, der in Brasilien lebt.

Er trägt zwar exakt denselben Namen wie der Gewerkschaftsboss, der die Initiative für eine 13. AHV-Rente lancierte, hat mit diesem aber nichts zu tun – ausser vielleicht: eine ähnliche Sicht auf dieses Thema.

Pierre-Yves Maillard
Pierre-Yves Maillard in Brasilien. màd

Denn auch seiner Meinung nach sollte sich die Politik vielmehr um die Menschen sorgen, die ins Ausland gehen müssen, “weil Renten und Sozialleistungen in der Schweiz zu niedrig sind”.

Maillard selbst gehört zu jenen Schweizern, die das Land im Rentenalter verlassen haben. Eine Karriere in der internationalen Zusammenarbeit und eine Scheidung, bei der er seine zweite Säule mit seiner Ex-Frau teilen musste, führten zu einer tiefen Rente.

Mit AHV und Pensionskasse könnte er in der Schweiz zwar über die Runden kommen, aber “in bescheidener Weise”.

Aus dieser Überlegung ist er auch für die Einführung einer 13. Rente.

Eine Meinung, die sich in der ersten Umfrage der SRG im Vorfeld der eidgenössischen Volksabstimmung vom 3. März widerspiegelt.

GFS-Grafik
swissinfo.ch

Besonders ausgeprägt ist die Unterstützung der Auslandschweizer für eine 13. AHV-Rente: 80% befürworten sie, gegenüber 61% in der Schweiz.

Differenzierte Stimmen

Während ein grosser Teil der Diaspora die Initiative für eine 13. AHV-Rente unterstützen will, gibt es auch einige kritischere Stimmen, wie etwa die von einem unserer Leser, der anonym berichten möchte.

Er erhält eine halbe Schweizer Rente und eine kleine Rente aus Ungarn für die Jahre, in denen er dort gearbeitet hat. “Das reicht nicht, um in der Schweiz zu leben”. Er entschied sich daher, Bern zu verlassen und nach Ungarn zu ziehen.

Dennoch wird er am 3. März ein “Nein” zu einer 13. Rente einlegen, da deren Finanzierung seiner Meinung nach schwierig zu realisieren ist.

“Ich persönlich würde etwa 100 Franken mehr pro Monat verdienen, was gut wäre, aber es würde nicht reichen, in die Schweiz zurückzukehren”, sagt er.

André Chappot
André Chappot auf den Philippinen. màd

Auch André Chappot, der auf den Philippinen lebt, fragt sich, ob eine 13. Rente wirklich die Lösung ist.

Er würde es vorziehen, wenn die AHV-Rente an die Teuerung in der Schweiz angepasst würde, “aber da es bei der aktuellen Diskussion um eine Zusatzrente geht, bin ich eher dafür”.

Weniger Kosten für die Schweiz

SVP-Nationalrätin Martina Bircher kritisiert, dass Auslandschweizer:innen die zusätzlichen Kosten, die eine 13. Rente mit sich bringen würde, nicht mittragen müssten.

Weder eine Erhöhung der Mehrwertsteuer noch höhere Lohnabzüge würden bei den Rentner:innen im Ausland anfallen.

“Es ist ungerecht, wenn Auslandschweizer eine 13. AHV-Rente erhalten, ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen,” sagt sie zu “Blick”.

Carl Albert Melo und André Chappot halten dagegen: Wenn sie in der Schweiz leben würden, wären sie beide Empfänger von Ergänzungsleistungen, auf die sie aufgrund ihrer niedrigen Rente Anspruch hätten.

So würden sie dem Schweizer Staat mehr kosten. Mit 1250 bzw. 2200 Franken pro Monat leben beide unter der Schweizer Armutsgrenze, die laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) im Jahr 2021 für eine alleinstehende Person 2289 Franken pro Monat beträgt.

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Pierre-Yves Maillard, der Schweizer Rentner in Brasilien, weist ausserdem darauf hin, dass er in der Schweiz immer noch Quellensteuern bezahlt.

Denn wenn Schweizer:innen ins Ausland ziehen, können sie den Betrag aus ihrer zweiten Säule in Form von Kapital oder einer monatlichen Rente beziehen.

Diese Beträge unterliegen einer Quellensteuer, wenn zwischen der Schweiz und dem Wohnsitzland kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht oder wenn das Abkommen vorsieht, dass die Schweiz die Besteuerung übernehmen muss. Die Steuer variiert je nach Wohnkanton, bewegt sich aber in der Regel um die 10%.

Gleicht der starke Franken die Teuerung aus?

Ein weiteres Argument von Martina Bircher lautet: “Auslandschweizer haben bereits tiefere Lebenshaltungskosten und durch die starke Aufwertung des Frankens ist ihre Kaufkraft nochmals deutlich gestiegen.” 

Diese Meinung teilt André Chappot nicht ganz. Er räumt zwar ein, dass der starke Franken “die Inflation ein wenig ausgleicht”, macht aber geltend, dass “der Betrag der AHV seit seiner Pensionierung unverändert geblieben ist. Es wäre also wichtig, ihn zu erhöhen”.

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Die Kehrseite der Medaille

André Chappot war während des grössten Teils seiner beruflichen Laufbahn in der Erwachsenenbildung tätig. Allerdings haben die vielen Jahre, in denen er im Ausland gearbeitet und keine AHV-Beiträge gezahlt hat, seine Altersrente drastisch reduziert.

Obwohl er auf den Philippinen “sehr komfortabel” lebt, weist er darauf hin, dass “es auch einen Preis hat, wenn man in einem Entwicklungsland lebt”, insbesondere was den Zugang zur Gesundheitsversorgung betrifft.

Er betont, dass die meisten Ausländer:innen, die in dem asiatischen Land im Ruhestand sind, aus Pflichtgefühl und nicht aus freien Stücken ins Ausland gegangen sind.

Wie er würde auch Carl Albert Melo “seinen Lebensabend lieber in der lieben Schweiz verbringen”, doch das würde ihm seine Rente nie erlauben.

Die Folge dieser erzwungenen Auswanderung ist die Entfremdung von der Familie in der Schweiz. In Brasilien sieht Pierre-Yves Maillard seine drei Kinder nur selten. Er musste bei seiner Auswanderung alle drei zurücklassen.

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Warum denken Sie, ist die Stimmung gegenüber den Auslandschweizer:innen im Inland zunehmend kritisch?

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Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Balz Rigendinger

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