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Rettung Griechenlands: frustrierend schwierig

Der griechische Finanzminister liess sein Ministerium schliessen, um sich vor Demonstranten zu schützen. Keystone

Die "Troika" verzögert die Zahlung von 8 Mrd. Euro, bis sich Athen zu neuen und härteren Sparmassnahmen verpflichtet. Einige Schweizer Experten glauben, das Risiko eines Staatsbankrotts werde zunehmen, andere glauben, Hilfe werde im November eintreffen.

Doch einig sind sich alle, dass die Griechen eine schmerzhafte Rechnung bezahlen müssen. Denn täglich wird die Lage Griechenlands schwieriger.

Janwillem Acket, Chef-Ökonom der Forschungsabteilung Globale Wirtschaft der Bank Julius Bär, bringt es schonungslos auf den Punkt: Griechenland sei Verpflichtungen eingegangen, denen es nicht nachkommen könne.

«Athen steht unter dem Druck, Versprechen gegenüber der ‹Troika› (Europäische Zentralbank, Europäische Union und Internationaler Währungsfond) einzulösen, die es im vergangenen Juni eingegangen ist», erläutert er gegenüber swissinfo.ch.

Es verpflichtete sich, das Staatsdefizit im laufenden Jahr auf 7,4% des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu reduzieren, doch das Wirtschaftswachstum verminderte sich mehr als erwartet. Statt um 3,5% wird das BIP um 5,5% schrumpfen. Ohne Wirtschaftswachstum verringern sich die Staatseinnahmen zwangsweise.

«Das Staatsdefizit wird 8,4% betragen, und die ‹Troika› besteht auf neuen Massnahmen. Wir glauben, dass die neue Tranche von 8 Mrd. Euro nicht wie ursprünglich vorgesehen im Oktober, sondern erst im November ausbezahlt wird», meint Acket.

Julius Bär: Arznei bringt Patienten um

Der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos gab am Dienstag früh zu, dass Griechenland «Probleme haben könnte, das Staatsdefizit auf 8,5% des BIP zu beschränken», was er nur 48 Stunden zuvor noch für möglich gehalten hatte. Am Mittwoch erlebte das Land einen weiteren Generalstreik mit der Lahmlegung der Flugplätze, öffentlicher Dienste, von Universitäten und Privatfirmen.

Es bestehe ein grosses Dilemma, warnt Janwillem Acket: «Der Eindruck nimmt überhand, dass der Versuch der Ärzte, den Kranken zu heilen, diesen in der Tat umbringt. Doch der Patient befolgte die Arztvorschriften nicht, da es ihm an Disziplin fehlte. Deshalb sind alle Anstrengungen, Griechenland zu retten, so frustrierend schwierig.»

Pessimistisch meint er, das Risiko, dass Griechenland noch als Mitglied der Eurozone vor Weihnachten den Staatsbankrott erkläre, nehme ständig zu.

HSG St. Gallen: Wochen der Spekulationen

Auch wenn finanzielle Rettungspakete einen negativen Anstrich hätten, seien sie durchaus legitim, wenn ein Staat kurzfristig Liquiditätsprobleme habe, äussert Simon Evenett gegenüber swissinfo.ch.

Der Professor für internationalen Handel und wirtschaftliche Entwicklung an der Handelshochschule St. Gallen betont aber, dass man zwischen Liquiditätsproblemen und Problemen der Zahlungsfähigkeit unterscheiden müsse.

«Die Unfähigkeit, Steuern einzuziehen und die Stagnierung der Exporteinnahmen vermindern die Wahrscheinlichkeit der Schuldenrückzahlung. Beide Faktoren sind ausschlaggebend für die Zahlungsfähigkeit Griechenlands.»

Laut Evenett werden die kommenden drei Wochen von Spekulationen geprägt sein: «Es ist offensichtlich, dass die europäischen Regierungen und Finanzbehörden bereit sind, Griechenland zu helfen, aber sie verlangen Verpflichtungen für mehr Reformen.»

Seines Erachtens wartete Griechenland bis zum letzten Moment und bezahlt nun für die Folgen seiner Nachlässigkeit.

Er sieht auch keine Besserung bis Ende Jahr: «Ich glaube nicht, dass Ruhe einkehren wird. Es ist schwierig abzuschätzen, wann die Instabilität enden wird. Eine Sache ist der Fall Griechenlands, doch man muss sich auch Spanien und Italien aus der Nähe anschauen, die ebenfalls an ihren Reformen arbeiten.»

KOF: Auswirkungen auf Familien

Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) sieht den Bankrott Griechenlands nicht als erste Option. Jan-Egbert Sturm, Direktor der KOF, erläutert gegenüber swissinfo.ch.

«Es ist vorauszusehen, dass die ‹Troika› Griechenland mit den 8 Mrd. Euro unter die Arme greifen wird. Doch vorher muss das Land beweisen, dass es die Sparmassnahmen weiterführen und verhärten wird.»

Im Moment gebe es ein politisches Seilziehen. Das Land lebe in einer Art Teufelskreis, den Sturm wie folgt beschreibt: «Die Sparmassnahmen haben drastische Auswirkungen auf die Familien und die Wirtschaft. Viele Beamten müssen entlassen werden, und gleichzeitig wird die Warenumsatzsteuer erhöht. All diese Massnahmen werden die Rezession verlängern und zu noch mehr Arbeitslosigkeit führen.»

UBS: Ende erst nach Monaten

Laut einer Analyse der Schweizer Grossbank UBS über den Verlauf der griechischen Krise ab Oktober ist der Staatsbankrott nicht die wahrscheinlichste Alternative, könnte aber eintreffen.

Laut dem Experten der Abteilung Wealth Managment Research, Thomas Veraguth, müsste die Europäische Zentralbank die Verweigerung der neuen Kredittranche durch die «Troika» mit klaren Massnahmen begleiten, um der Ansteckung anderer Peripherieländer wie Spanien und Italien vorzubeugen.

Ein Bankrott könnte erst eintreten, wenn der Notfonds der 17 Länder der Eurozone voll funktionsfähig sei. Dies werde kaum vor 2012 möglich sein, da die Parlamente der 17 Länder ihn ratifizieren müssten, so Veraguth.

Auf jeden Fall wird laut der UBS jede Rettungsaktion oder Ausgang der Krise mehrere Monate in Anspruch nehmen.

Die Probleme Griechenlands entstanden nicht über Nacht: Seit 2000 überschritt das Land wiederholt die im Pakt für Stabilität und Wachstum der EU festgesetzten Grenzen von Staatsdefizit und öffentlicher Verschuldung.

Im Bericht über globale Wettbewerbsfähigkeit 2010-2011 des Weltwirtschaftsforums (WEF) steht Griechenland auf Platz 90 von 142 untersuchten Volkswirtschaften.

Unter Berücksichtigung der makroökonomischen Stabilität rutscht Athen sogar auf Platz 140, vor der Republik Kirgisistan und Jamaica.

Laut dem Bericht des WEF haben die Investoren das Vertrauen verloren. Mangelnde Effizienz und Korruption gingen Hand in Hand mit fehlender Flexibilität und Effizienz des Arbeitsmarkts.

Laut Schätzungen des griechischen Finanzministeriums wurden zwischen Januar 2010 und Juni 2011 38 Mrd. Euro (46,5 Mrd. Fr.) von Griechenland in die Schweiz verschoben.

Laut den Behörden in Athen sollen sich die griechischen Anlagen in der Schweiz sogar auf 280 Mrd. Euro (348 Mrd. Fr.) belaufen, was für den griechischen Staatshaushalt jährliche Einnahmeverluste von 10 Mrd. Euro (12,2 Mrd. Fr.) bedeutet.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) zeigt sich perplex, da ihre offiziellen Register lediglich 2,2 Mrd. Fr. (1,8 Mrd. Euro) verzeichnen (Jahresabschluss 2009).

Die SNB gibt allerdings zu, dass ihre Statistiken Investitionen in Obligationen nicht berücksichtigen und dass wegen des Bankgeheimnisses die Nationalität des Inhabers nicht überprüfbar ist.

Griechenland wartet auf die sechste Tranche von 8 Mrd. Euro des Hilfspakets von 80-110 Mrd. Euro, das die Eurozone im Mai 2010 angekündigt hatte. Der Kredit muss innerhalb von drei Jahren zurückbezahlt werden.

Im laufenden Trimester muss das Land 17,5 Mrd. Euro zurückbezahlen und für 2012 sind 37,5 Mrd. Euro fällig.

Der Staatskasse in Athen fehlt es an Liquidität. Sollte die «Troika» die Auszahlung der Tranche verzögern, so sieht sich Athen gezwungen, staatliche Bonds zu unterzeichnen und die Rückzahlung hinauszuschieben.

Zwischen Juli und September verzeichneten die europäischen Börsen Verluste in Dollars von 25 -31% und Wallstreet von 12%.

(Übertragen aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

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