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Rivalität USA-China: Was die Schweiz tun kann

US und chinesische Flaggen in Washington, DC
Joe Biden traf Xi Jinping mehrmals, unter anderem bei einem offiziellen chinesischen Staatsbesuch in Washington im Jahr 2015, als er als Vizepräsident in der Regierung von Barack Obama arbeitete. Copyright 2021 The Associated Press. All Rights Reserved.

China ist der drittgrösste Handelspartner der Schweiz. Heute präsentiert die Schweiz ihre neue aussenpolitische Strategie für den Umgang mit der Weltmacht. Auch die USA arbeiten ihren Plan für den Umgang mit China aus. Der neue Präsident bezeichnet die asiatische Grossmacht als Amerikas "ernsthaftesten Konkurrenten".

Eine einheitliche Strategie für die Beziehungen mit China ist schon lange ein Wunsch des Schweizer Parlaments. Aber erst in den letzten Jahren hat sich die Regierung daran gemacht, eine solche zu entwerfen. Auch mit dem Ziel, die politische Koordination zwischen verschiedenen Bundesämtern und den Kantonen zu verbessern.

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Ein Thema, das die Strategie wahrscheinlich ansprechen wird, ist die Konkurrenz zwischen den USA und China. Laut dem Schweizer Geheimdienst könnte diese dazu führen, dass die beiden Mächte strategische Einflussbereiche schaffen.

Die Zeiten seien vorbei, in denen die USA und andere Länder – darunter auch die Schweiz – glaubten, China würde sein System an jenes des Westens anpassen, wenn es einmal wohlhabender wird. Das sagt der ehemalige britische Diplomat Ian Bond.

Die USA betrachteten China jetzt als strategischen Rivalen. Und man sei sich über die Parteigrenzen hinaus einig, dass Chinas wirtschaftlicher Aufstieg und militärische Ambitionen eine Bedrohung für die amerikanischen Interessen darstellen würden.

«Dies ist die Rivalität, welche die nächsten Jahrzehnte prägen wird», sagt Bond, Leiter Aussenpolitik am Centre for European Reform, einem proeuropäischen Think Tank.

Diese Rivalität ist auch für Länder wie die Schweiz eine Herausforderung, die vermeiden wollen, zwischen die Fronten zu geraten, und mit beiden Ländern weiterhin auf gutem Fuss stehen möchten.

US-Präsident Joe Biden sagte, die Herangehensweise seines Landes an ein selbstbewussteres China werde eine Mischung aus Kooperation – «wenn es in Amerikas Interesse ist» – und Wettbewerb sein, «indem wir mit unseren Verbündeten und Partnern zusammenarbeiten».

Doch obwohl sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping davor gewarnt hat, eine Koalition aufzubauen, um sein Land unter Druck zu setzen, versucht China selbst, Länder in seinen Einflussbereich zu ziehen.

«Welche Richtung werden kleine Länder einschlagen in dieser neuen Welt, in der es so angespannte Beziehungen zwischen zwei Supermächten gibt?», fragt Simona Grano, Sinologie-Dozentin an der Universität Zürich. «Werden sie neutral bleiben oder sich auf die Seite der einen oder anderen Supermacht schlagen?»

Wirtschaftliche Hoffnungen und Befürchtungen

Für die Schweiz wird bei der Bewältigung dieser Rivalität ein Hauptaugenmerk die wirtschaftliche Frage sein. «Zuallererst wird der Fokus auf der Aufrechterhaltung guter wirtschaftlicher Beziehungen liegen, was eine der wichtigsten Aufgaben jeder Regierung ist», sagt Grano.

Zwar sind die USA nach der Europäischen Union der zweitgrösste Handelspartner der Schweiz. Aber den Zugang zu Chinas riesigem Markt will kein Land aufs Spiel setzen. Der Warenhandel zwischen China und der Schweiz hat in den letzten Jahren stark zugenommen.

Die beiden Länder haben seit 2014 ein Freihandels-Abkommen und unterzeichneten 2019 eine Absichtserklärung zur Intensivierung der Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Investitionen und Finanzierung von Projekten im Zusammenhang mit der Belt and Road Initiative (BRI). So heisst das umfangreiche chinesische Programm zum Aufbau von Land- und Seeinfrastruktur in Drittländern.

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Tatsächlich hat die Schweiz ein grosses Interesse daran, mehr chinesische Direktinvestitionen anzuziehen. Diese sind im Vergleich zu den Schweizer Investitionen in China (22,5 Mrd. Franken im Jahr 2019) eher bescheiden (14,8 Mrd. Fr.). Aber wie in vielen anderen Staaten wächst auch hierzulande die Sorge um den Schutz des geistigen Eigentums vor ausländischen Mächten.

Nach der Übernahme des Schweizer Agrochemie-Unternehmens Syngenta durch den Staatskonzern Chem China im Jahr 2016 verabschiedete das Schweizer Parlament 2019 einen Vorschlag, der die Regierung zwingt, eine Rechtsgrundlage für die Überwachung ausländischer Direktinvestitionen und die Einführung einer Kontrollbehörde zu schaffen.

Damian Müller, freisinniger Ständerat und Präsident der Aussenpolitischen Kommission, glaubt, dass die Schweiz in dieser Frage eine gemeinsame Basis mit der EU finden kann. Dort haben chinesische Unternehmen zahlreiche Hightech-Firmen aufgekauft und in wichtige Infrastruktur investiert.

«Wir befinden uns in einem freien Markt, also können wir natürlich keine Firmenübernahme verhindern. Aber wir müssen einen Weg für den ganzen Kontinent finden, um China dazu zu bringen, sich an die Regeln zu halten», sagt er.

Im Jahr 2019 hat die EU China als «systemischen Rivalen» und wirtschaftlichen Konkurrenten eingestuft. Eine Verordnung zur Risikoanalyse von Investitionen zum «Schutz der strategischen Interessen der EU» trat letztes Jahr in Kraft.

Gemeinsame Werte

Die Biden-Administration macht sich stark für die Bildung einer Koalition von Verbündeten, um China bei Themen wie unfairen Wirtschaftspraktiken zu konfrontieren. Dies sei für die Schweiz nicht nur deshalb sinnvoll, weil es effektiver sei, als allein zu handeln, so Grano.

Es könnte einem kleinen Land auch kostspielige Vergeltungsmassnahmen seitens Chinas ersparen, wie das kürzlich bei Schweden und Australien der Fall war. «Das ist ein gefährliches Spiel mit China, weil es aggressiv reagieren kann, um auch eine Botschaft an andere Staaten zu senden», sagt sie.

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Aber nicht alle europäischen Nationen sind bereit, zusammenzuarbeiten. Einige finanzschwache Länder hiessen chinesische Investitionen mit offenen Armen willkommen, darunter auch Infrastrukturvorhaben für die BRI. China nutzte dabei die wirtschaftliche Abhängigkeit anderer Staaten aus, um seine eigenen Interessen in multilateralen Foren durchzusetzen.

Im Jahr 2017 schockierte Griechenland seine Nachbarn, indem es eine EU-Erklärung bei der UNO blockierte, in der Chinas Menschenrechtslage verurteilt wurde. «China agiert ziemlich strategisch, was die Art und Weise angeht, wie es den Ländern Hilfe anbietet», sagt Bond. «Wir müssen die Anreize für China ändern, um mehr innerhalb der bestehenden Normen bleiben zu können.»

Der Widerstand des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump gegen multilaterale Institutionen ermöglichte es China, seinen globalen Führungsanspruch geltend zu machen und die Agenda der Vereinten Nationen «in einer Weise zu gestalten, die nicht mit den Prioritäten oder Werten der EU übereinstimmt», schrieben Bond und seine Kollegen in einem Policy Brief für 2020.

Grano nennt Chinas Bemühungen «eine Unterwanderung der gegenwärtigen multilateralen Ordnung», ein alternatives System «mit parallelen diplomatischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sicherheitspolitischen ‹Präsenzen› in der Welt».

Trotz der Spannungen in den transatlantischen Beziehungen und des jüngsten Abschlusses eines Investitionsabkommens zwischen China und der EU, welches das Weisse Haus verärgerte, «herrscht eine sehr klare Wertekluft zwischen den USA und Europa auf der einen Seite und China auf der anderen», sagt Bond.

Auf der Grundlage gemeinsamer demokratischer Werte und Interessen könnten Länder wie die Schweiz bei Themen wie geistigem Eigentum, Cybersicherheit und Menschenrechten zusammenarbeiten, um Druck auf China auszuüben, fügt er hinzu.

Eine Überlebensfrage

Die öffentliche Meinung könnte auch eine Rolle dabei spielen, wie Länder auf die Rivalität zwischen den USA und China reagieren. Jüngste Ereignisse haben China im Westen in ein negativeres Licht gerückt: Berichte über systematische Menschenrechts-Verletzungen gegen die uigurische Minderheit, die Verhaftung von pro-demokratischen Aktivisten in Hongkong und das chinesische Lavieren über die Ursprünge der Coronavirus-Pandemie.

Doch der Spagat zwischen wirtschaftlichen Interessen und der Aufforderung, gegen Rechtsverletzungen vorzugehen, wird für die Schweiz schwierig sein. Denn laut Grano sind sich die politischen Parteien nicht einig, welchen Weg sie einschlagen sollen.

Sie erwartet, dass die neue China-Strategie weitgehend einen Mittelweg einschlagen wird, ähnlich wie es in einem im Februar veröffentlichten Papier der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen), der Partei des Schweizer Aussenministers Ignazio Cassis, vorgeschlagen wurde.

Mehr

Der Text der Mitte-Rechts-Partei zeigt, dass sich die Schweiz alle Optionen offenhalten will. Darin heisst es, dass die Schweiz ihre China-Politik zwar mit jener der EU koordinieren, aber im Prinzip unabhängig sein sollte. Denn dies sei «die einzige Möglichkeit für das Land, die Vorteile der Neutralität zu nutzen und seine klassische Rolle als Vermittlerin zu übernehmen».

Müller fasst das Dilemma zusammen: «Wir haben gute Beziehungen zu den USA und gute Beziehungen zu China. Wir müssen aufpassen, dass es nicht so aussieht, als würden wir nur mit einem Land zusammenarbeiten oder die Zusammenarbeit mit einem anderen Land einstellen. Nur mit ständigem Dialog und klaren Verhaltensregeln werden wir zusammenarbeiten können», sagt der Ständerat.

Im Lauf der Zeit könnte der Druck, sich der einen oder anderen Seite anzuschliessen, nicht mehr ertragbar sein. Aber im Moment sei es das Ziel des Landes, nicht in einen ideologischen Machtkampf verwickelt zu werden.

«Die Schweiz will so erscheinen, als ob sie nicht ‹Partei ergreift› und [gleichzeitig] das Beste [aus beiden Beziehungen] herausholen», sagt Grano. «Am Ende versucht die Schweiz schlicht, zu überleben.»

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