Rom und Bern jetzt gemeinsam gegen Steuerflucht
Die Schweiz und Italien wollen eine baldige Einigung in dem seit drei Jahren dauernden Steuerstreit erreichen und die Wirtschaftsbeziehungen wieder ankurbeln. Das ist das Ergebnis des Besuchs von Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf in Rom.
«Zwei gute Freunde müssen nicht immer gleicher Meinung sein, aber sie müssen zusammen sprechen, um konkrete anstehende Probleme anzugehen und zu lösen. Wir sind überzeugt, dass es jetzt Zeit ist, unsere Beziehungen auf neuer Basis zu lancieren», sagte Widmer-Schlumpf nach ihrem Treffen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti.
Der Besuch der Bundespräsidentin in Rom bedeutet praktisch den offiziellen Start einer neuen Verhandlungsphase zum Abschluss eines Abkommens, das die Regulierung von Vermögenswerten italienischer Steuerpflichtiger erlaubt, die in der Schweiz Bankkonten besitzen.
Dies würde mehrere Milliarden Schweizer Franken in die italienische Staatskasse spülen. Italien erhofft sich 30 bis 40 Milliarden, falls ein Steuerabkommen wie jenes zwischen Bern und Deutschland sowie Grossbritannien zustande kommen sollte.
Kulturwechsel
Verschiedene Faktoren haben zur Wiederannäherung zwischen den beiden Regierungen beigetragen, die jetzt gemeinsam die Steuerflucht bekämpfen wollen.
Auf Schweizer Seite war es der wachsende Druck auf das Bankgeheimnis, der Bern zu einer Reihe von Konzessionen historischen Ausmasses im Bereich Amtshilfe im Steuerbereich gedrängt haben. Auf italienischer Seite war es der Regierungswechsel und die Schuldenkrise, welche die Notwendigkeit neuer Staatseinnahmen verschärft hat.
«Italien hat seine Anstrengungen im Kampf gegen die Steuerflucht verdoppelt. Diese müssen – und sollen weiterhin – die Kultur des Landes verändern», sagte Mario Monti.
«Wenn wir eine rigorose Finanzpolitik verfolgen müssen, die mit Opfern verbunden ist, ist es von zentraler Bedeutung, dass diese Opfer so breit wie möglich erbracht werden, ohne dabei die Steuerflucht auszuklammern.»
Eveline Widmer-Schlumpf betonte, «die Schweiz will ein starker Finanzplatz sein – ohne nicht deklarierte Gelder. Mit der Weissgeld-Strategie zeigt die Schweiz Italien und den anderen Partnern, dass sie ernsthafte Anstrengungen unternimmt».
Laut der Bundespräsidentin wollen beide Länder nun alle Hindernisse aus dem Weg räumen, die den bilateralen Beziehungen im Weg stehen: Die Besteuerung von italienischen Staatsbürgern mit Bankkonten in der Schweiz, die Frage der Grenzgänger, die schwarzen Listen und der Zugang zum italienischen Markt für Schweizer Banken.
Eingefrorene Verhandlungen
Die Verhandlungen zwischen den beiden Ländern waren 2009 von der italienischen Regierung auf Eis gelegt worden. Rom war der Meinung, ein Steuer-Abkommen sollte nur auf Ebene der Europäischen Kommission verhandelt werden und die Schweiz müsse zuvor den automatischen Austausch von Bankdaten akzeptieren.
Unter der Ägide des damaligen Wirtschaftsministers Giulio Tremonti hatte die italienische Regierung unter anderen die Eidgenossenschaft auf eine schwarze Liste von Ländern gesetzt, die in Steuerfragen nicht kooperierten.
Im gleichen Jahr hatte die Finanzpolizei in einer beispiellosen Aktion 76 Filialen von Schweizer Banken und mit Schweizer Vermittlern verbundene Bankfilialen durchsucht.
Seither haben die italienischen Behörden Kameras an den Grenzübergängen installiert, um den Geldschmuggel zu überwachen. Zudem wurden Agenten inkognito in den Kanton Tessin geschickt, um italienische Kunden von Schweizer Banken zu überprüfen.
Aufgrund dieser Massnahmen hatte der Kanton Tessin 2011 entschieden, die Hälfte der Einnahmen aus der Quellensteuer der Grenzgänger zurückzuhalten. Bis dahin hatten die Tessiner Behörden den italienischen Gemeinden 38,8% der Steuerabzüge überwiesen. Diese Gelder sollten erst freigegeben werden, wenn es ernsthafte Verhandlungen zwischen Italien und der Schweiz über eine Neuverhandlung des Doppelbesteuerungs-Abkommens gebe.
Benachteiligte Unternehmen
Wie die Handelskammern der beiden Länder im vergangenen Jahr bestätigten, trübt der Steuerstreit zwischen Bern und Rom die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen seit 2009, die für beide Länder wichtig sind.
Mit 9% Anteil am Aussenhandel ist Italien seit 2004 nach Deutschland der zweitgrösste Wirtschaftspartner der Schweiz. Für Italien ist die Schweiz der sechstgrösste Exportmarkt und der sechstgrösste Investor im Land. Mit 76’000 Beschäftigten zählen Schweizer Unternehmen auch zu den wichtigsten Arbeitgebern in Italien.
Die Aufnahme der Schweiz auf die schwarze Liste der Italiener hat in den letzten Jahren jedoch sowohl den Investitionen wie auch den Aktivitäten der Schweizer Firmen in Italien geschadet.
«Die italienischen Unternehmen wurden gezwungen, zweimal im Monat eine detaillierte Aufstellung aller ihrer Importe aus der Schweiz zu machen», sagt der Schweizer Manager Roberto Engeler, der schon über 30 Jahren in Italien arbeitet.
«Viele Firmen haben es dann vorgezogen, aus anderen europäischen Ländern zu importieren. Einerseits, um dieser bürokratischen Bürde zu entgehen, andererseits aber auch, weil man in Italien dem Staat tendenziell so wenig Auskünfte wie möglich geben möchte, damit sich dieser nicht in die Geschäftsangelegenheiten einmischen kann.»
Abschreckende Wirkung
«Die Aufnahme auf die schwarze Liste der Steuerparadiese hat für die Cayman-Inseln oder die Kanalinseln sicher keine bedeutenden Folgen. Italien hat mit ihnen keine wirtschaftlichen Beziehungen», betont Engeler gegenüber swissinfo.
«Ganz anders verhält es sich bei einem wichtigen Partner wie der Schweiz: Dass diese auf der schwarzen Liste ist, hat eine eindeutig abschreckende Wirkung auf den Handel mit Schweizer Firmen.»
Gleicher Ansicht ist Markus Wiget, ein Schweizer Anwalt in Mailand, der sich um die Interessen von Schweizer Unternehmen in Italien und jene von italienischen Firmen in der Schweiz kümmert: «Die schwarze Liste hat die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern sicher nicht begünstigt, sei es wegen der stärkeren Kontrollen der Aktivitäten mit Schweizer Firmen oder wegen der Kosten im Zusammenhang mit der gesetzlichen Regelung.»
Wiget äussert sich jedoch optimistisch über die Möglichkeit einer Vereinbarung, die es Rom ermöglichen würde, mehrere Milliarden Franken sicherzustellen.
«Wenn man sich der in der Schweiz hinterlegten Gelder bewusst ist, dürfte Italien jenes Land sein, welches das grösste Interesse an der Unterzeichnung eines Steuerabkommens mit der Schweiz wie jenem Berns mit Deutschland oder Grossbritannien hat. Die finanzielle Gegenleistung ist für den italienischen Staat wichtig, in einem Moment, wo Rom neue Steuererhöhungen beschliessen muss, um seine Staatshaushaltsprobleme zu lösen.»
Für die Schweiz ist Italien der zweitgrösste Zulieferer von Gütern und Dienstleistungen (19 Mrd. Fr. 2011) und der drittgrösste Exportmarkt (16 Mrd. Fr. 2011).
Ende 2010 erreichten die italienischen Investitionen in der Schweiz, mit denen rund 14’000 Arbeitsstellen verbunden sind, 5 Mrd. Fr.
Zu den grössten in der Schweiz tätigen italienischen Unternehmen gehören Generali, Fiat, Pirelli und Bulgari.
Die Eidgenossenschaft steht bei den Wirtschaftspartnern Italiens an 6. Stelle bezüglich Exporten, bei Importen an 9. Stelle.
Die Schweizer Investitionen in Italien beliefen sich 2010 auf 20 Mrd. Fr.
Schweizer Firmen, darunter ABB, Nestlé, Novartis, Roche, Zürich, UBS, CS und Swisscom, sorgen in Italien für rund 76’000 Arbeitsplätze.
Dazu überqueren täglich etwa 55’000 italienische Staatsbürger die Grenze, um in der Schweiz zu arbeiten.
Zwischen dem 20. März und 13. April hat die Schweiz Doppelbesteuerungs-Abkommen mit Grossbritannien, Deutschland und Österreich unterzeichnet.
Auf Basis dieser Abkommen, Rubik genannt, verpflichtet sich Bern auf eine Regularisierung von bisher nicht-deklarierten, unversteuerten Guthaben, die ausländische Staatsangehörige in der Schweiz deponiert haben.
Für Deutschland und Grossbritannien variiert der Steuersatz zwischen 21 und 41% des Vermögenswertes, je nach Dauer der Bankverbindung und Höhe des Vermögens. Für Österreich liegt er zwischen 15 und 38%.
Nach Inkrafttreten des Abkommens wird die Schweiz jährlich eine Quellensteuer von 26% der Kapitalerträge in Deutschland, von 27-48% in Grossbritannien und 25% in Österreich entrichten.
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)
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