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Ruag-Munition in Libyen: Seco plant Besuch in Katar

Munition der Schweizerischen Ruag ist in Libyen aufgetaucht. sf.tv

Schweizer Ruag-Munition, die nach Katar exportiert worden war, ist bei den libyschen Rebellen aufgetaucht. Nun plant das Staatssekretariat für Wirtschaft als die für Exporte von Kriegsmaterial zuständige Behörde einen Kontrollbesuch im Golfstaat.

Über den Zeitpunkt des Kontrollbesuchs sowie über die Zusammensetzung der Delegation wollte das Seco gegenüber Radio DRS keine Angaben machen.

Die Rüstungs- und Technologiefirma Ruag in Bern, im Besitz des Bundes, ist vor einer Woche ins Rampenlicht geraten, nachdem bekannt wurde, dass ursprünglich nach Katar exportierte Munition in Libyen aufgetaucht ist. Dies, obschon die Schweizer Gesetzgebung vorschreibt, dass Kriegsmaterial nicht in Kriegs- oder Konfliktgebiete ausgeführt werden darf.

  

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sagte gegenüber swissinfo.ch, es bestünde ein Instrumentarium, um Munitionsausfuhren, die in Drittländer weiterexportiert werden, zu unterbinden («Nicht-Wiederausfuhr»-Erklärung). 

Das Kriegsmaterialgesetz und die dazugehörenden Verordnungen «beinhalten eine abschliessende Aufzählung der Bedingungen, unter welchen solche Ausfuhren bewilligt werden», hält das Seco fest.

Damit soll das Risiko ausgeschlossen werden, dass Kriegsmaterial gegen Zivilisten eingesetzt wird. Doch all diese Versicherungen vermochten Politiker der Linken nicht zu überzeugen. Sie verlangen nun einen Lieferstopp dieser Exporte für die gesamte Region.

Bewilligungsverfahren mit Zusicherung als Bedingung

Laut Seco kann Kriegsmaterial nur dann an ausländische Regierungen geliefert werden, wenn diese dem Staatssekretariat eine Garantie zusicherten, dass das Material nicht in Drittstaaten weiterexportiert wird.

Dieses Jahr seien für Katar zwei Bewilligungen in der Höhe von 737’200 Franken für Rüstungs-Zubehör ausgesprochen worden; weitere seien nicht hängig.

Die Rundschau des Schweizer Fernsehens SF hatte Mitte letzter Woche berichtet, dass libysche Rebellen Ruag-Munition aus der Fabrik Ammotec in Thun bei Bern verwendeten. Ammotec ist spezialisiert auf Kleinkaliber-Munition für Jagd, Schiessport und industrielle Pyrotechnik.

Daraufhin verlangten Politiker der Linken einen Export-Stopp. Mitte-Rechts-Politiker sprachen hingegen von einem isolierten Einzelfall.    

Gemäss dem SF-Bericht hatte das Seco 2009 diese Ausfuhr nach Katar erlaubt. Aber der Golfstaat habe sich anscheinend nicht an seine Zusicherung gehalten, das Material nicht zu reexportieren.

In der Folge hat das Seco entschieden, weitere Exporte nach Katar zu verbieten. Der vorliegende Fall des Weiterexports nach Libyen werde zur Zeit untersucht.

Der Seco-Zuständige für die Exportkontrollen, Simon Plüss, sagte gegenüber Radio DRS, dass im Rahmen der mutmasslichen Weitergabe von Munition an die libyschen Rebellen ein Besuch in Katar geplant sei.

Totaler Lieferungsstopp

Der grüne Zuger Nationalrat Jo Lang, Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission des Parlaments, sagt, die blosse Aufhebung der Exportbewilligung gehe nicht weit genug.

Lang, ein bekannter ehemaliger Aktivist der pazifistischen «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee» (GSoA), möchte den Exportstopp auf die gesamte Region des Nahen Ostens und Nordafrika ausweiten.

Die Berner Nationalrätin und Sozialdemokratin Evi Allemann sagt, die Nichtwiederausfuhr-Erklärung, die ausländischen Regierungen als Bedingung auferlegt werde, sei nichts anderes als «schöne Worte auf Papier». Denn die konkrete Umsetzung lasse sich oft nicht überprüfen. Auch sie verlangt einen Exportverzicht.

Eine andere Meinung vertritt Jakob Büchler, Christlichdemokrat und Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats. Laut ihm handle es sich bei diesem mutmasslichen Reexport um einen «unschönen Einzelfall». Er plädiert für eine vorläufige Einstellung der Lieferungen, bis die Fakten geklärt sind.

Gegenüber swissinfo.ch sagte das Seco, dass in gewissen Fällen im nachhinein, also nach der Lieferung, Inspektionen stattfänden. Doch im Fall von Katar habe es keinen Anlass dazu gegeben. Als die Bewilligung ausgestellt worden sei, habe es keinen Grund gegeben, anzunehmen, Katar würde sich nicht an die Abmachungen halten.

In den meisten Fällen würden die Zusicherungen der Käufer respektiert. Ausserdem sei der Umstand zu berücksichtigen, dass im Durchschnitt pro Jahr 2000 bis 3000 Exportanfragen für Kriegsmaterial anfielen.

Sollte sich der Verdacht gegen Katar bestätigen, so Plüss, wäre dies gemäss einer Mitteilung des Seco erst der zweite bekannte Fall in den letzten zehn Jahren, in dem gegen eine Nichtwiederausfuhr-Erklärung verstossen worden wäre.

Widersprüchliche Politik?

Rund 70 Rechtsgelehrte haben 2009 in einem Brief die Waffenlieferungen der Schweiz nach Indien, Pakistan und Saudiarabien kritisiert. Diese würden die Wiedersprüche der Schweizer Politik offenlegen.

Das Seco hält dem entgegen, dass die Schweiz im internationalen Vergleich eine «sehr restriktive» Gesetzgebung in Sachen Kriegsmaterialexporten aufweise. Ausserdem würden die Ausfuhrstatistiken zeigen, dass jene Staaten im Nahen Osten, Nordafrika und der Golfregion, in denen Aufstände stattfänden, entweder von der Schweiz nicht beliefert würden oder mit Lieferstopps belegt seien.

Im März 2009 habe der Bundesrat etliche Exportanfragen für Kriegsmaterial behandelt. Dabei habe er eine Anzahl zurückgewiesen, wegen «nicht zufriedenstellender innenpolitischer oder menschenrechtlicher Situation dieser Länder, inklusive Pakistan und Saudiarabien».

Seither, so das Seco, seien keine Exportbewilligungen mehr für diese beiden Länder eingereicht worden.

Die Situation in Indien sei anders eingeschätzt worden als jene in Pakistan oder Saudiarabien. Laut dem Seco könne im Fall von Indien von keinen «schweren und systematischen» Verstössen gegen die Menschenrechte ausgegangen werden.

Das Seco hat laut dem Leiter der Exportkontrolle, Simon Plüss, sämtliche pendenten Gesuche Katars betreffend Kriegsmaterial gestoppt – dies «auf informeller Ebene in Absprache mit den betroffenen Exporteuren».

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Suspendierung oder einen Widerruf seien zurzeit nicht gegeben.

Bei den pendenten Gesuchen handelt es sich um Laserzielgeräte für Kleinwaffen im Gesamtwert von rund 740’000 Franken, für deren Ausfuhr im Januar 2011 die Bewilligung erteilt worden war.

Der Lieferungsstopp betrifft nur noch einen kleinen Teil der bewilligten Menge: Nach Angaben des Seco wurden im April bereits Zielgeräte im Wert von rund 650’000 Franken nach Katar ausgeführt.

2009 lieferten Schweizer Waffenhersteller gemäss offiziellen Zahlen Munition im Umfang von 1,85 Mio. Fr. nach Katar.

Im letzten Jahr verkauften Schweizer Firmen leichte Waffen im Wert von 500’000 Fr.

Katar macht nur einen kleinen Teil der Schweizer Waffenexporte aus.

Das Schweizer Stimmvolk sagte im November 2009 mit 68,5% der Stimmen klar Nein zu einem Exportverbot für Kriegsmaterial.

(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

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