Russland: matter Triumph für Putin
Die Partei von Regierungschef Putin hat die Parlamentswahlen gewonnen, aber gleichzeitig deutliche Verluste erlitten. Schweizer Russland-Kenner machen die Unzufriedenheit der Bevölkerung dafür verantwortlich. Für die Presse stellt das Resultat keine Zäsur dar.
«Das Resultat der Wahlen vom Sonntag ist für die Putin-Partei sehr schmerzlich, denn sie hat es so nicht erwartet», sagt Peter Gysling, Moskau-Korrespondent von Schweizer Radio DRS: «2007 konnte sie noch zwei Drittel der Stimmen auf sich vereinigen, jetzt sind es nicht einmal mehr die Hälfte.»
Die Bevölkerung sei zunehmend unzufrieden, so Gysling: «Sie sieht sich mit schweren Problemen in der Gesundheitsversorgung, bei den Renten, der Bildung und den Infrastrukturen konfrontiert. Zudem haben die Leute genug von der Günstlingswirtschaft innerhalb der Putin-Partei, die das Räderwerk des Staates kontrolliert.»
Der Westschweizer Journalist und Russland-Spezialist, Eric Hoesli, teilt diese Analyse: «Der Urnengang zeigt, dass dieses Mal nicht lediglich die Frage der Oligarchen die Bevölkerung erzürnt hat, sondern vielmehr die Administration, in der die Korruption ständig weiter zunimmt.»
Ironie des Schicksals
Es sei Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die Kommunistische Partei von den Verlusten der Putin-Partei profitiert habe, so Hoesli: «Geeintes Russland hat sich in den vergangenen 12 Jahren alle Mühe gegeben, die Kommunisten zum Verschwinden zu bringen.» – 20 Jahre nach dem Fall der Sowjet-Union bleiben die Kommunisten die stärkste Kraft der Opposition. Mit 19,1% der Wählerstimmen haben sie nun 92 Sitze im Parlament statt wie bisher 57.
Die Wahlen galten als Stimmungstest für Regierungschef Wladimir Putin, der nach vierjähriger Karenzzeit kommendes Jahr als Präsident in den Kreml zurückkehren will. Amtsinhaber Dmitri Medwedew soll dann Regierungschef werden. Doch dessen Rolle könnte nun infrage gestellt werden, zumal Medwedew den Wahlkampf geleitet hatte.
«Das Tandem hat eine schlechte Figur abgegeben», so Hoesli: » Medwedew hat als Wahlkampfleiter einen schlechten Eindruck hinterlassen. Das wird seine Position, die bereits durch den vorprogrammierten Wechsel geschwächt ist, nicht verbessern. Immer mehr Leute regen sich wegen diesem vorprogrammierten Wechseln auf.»
Keine demokratische Prinzipien
Die Neue Zürcher Zeitung erkennt im Wahlresultat lediglich einen «Anflug von Protest», einen «Dämpfer für den Präsidenten im Wartestand». Mangels personeller Alternativen werde Putin schon im Frühjahr in den Kreml einziehen und auch die neue Duma, das neue russische Parlament, werde ein Werkzeug zur Durchsetzung seiner Ziele sein.
«Das Elend der russischen Demokratie besteht nicht nur darin, dass Einiges Russland durch Stimmenkauf und Einschüchterung die Duma-Wahlen verfälscht hat», kritisiert die NZZ, gravierender sei, dass auch im neuen Parlament keine einzige Partei wirklich demokratische Prinzipien vertrete.
Warnung, keine Zäsur
Einen Hoffnungsschimmer erkennt der Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung aber in den sich häufenden Unmutsbekundungen jüngerer Russen: «Langfristig könnte eine Wählerschicht heranwachsen, die sich nicht mehr einfach mit postsowjetischen Parolen abspeisen lässt.»
Auch für den Tages-Anzeiger ist das Wahlergebnis eher eine Warnung als eine echte Zäsur. Immerhin: «Die Herrschaft der Regierungspartei ist gestutzt worden, das Fundament der putinschen Macht brüchiger denn je.» Und das Volk dürfte sich nun ermuntert fühlen, prophezeit der Tages-Anzeiger, das Establishment weiter zu kritisieren, heftiger und mutig.
US-Aussenministerin Hillary Clinton hat sich «ernsthaft besorgt» über die Parlamentswahl in Russland gezeigt.
«Wir verfolgen die Wahlergebnisse mit grossem Interesse. Und wir sind ernsthaft besorgt über den Verlauf der Wahlen», sagte Clinton am Montag in Bonn am Rande der Afghanistan-Konferenz vor Journalisten.
Der Bericht der Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) werfe «eine Reihe von Fragen zum Verlauf dieser Wahlen auf».
Dabei gehe es um Versuche, Wahlurnen verschwinden zu lassen, Wählerlisten zu manipulieren «und andere beunruhigende Praktiken».
Die USA seien auch besorgt, dass unabhängige russische Wahlbeobachter belästigt und behindert worden seien.
«Die russischen Wähler haben eine umfassende Untersuchung aller glaubwürdigen Berichte über Wahlbetrug und -manipulation verdient», sagte Clinton.
«Das russische Volk hat es ebenso wie alle anderen Völker verdient, dass man seine Stimme hört und seine Wählerstimmen zählt. Wir werden weiter darauf hinweisen.»
(Übertragung aus dem Franzöischen: Andreas Keiser)
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