«Sanktionen dürfen nicht die Falschen bestrafen»
Internationale Sanktionen seien da, um Konflikte zu deeskalieren und zu lösen. Nationale Interessen und versteckte Agenden dürften dabei keine Rolle spielen, sagt der ehemalige Leiter des UNO-Programms "Öl für Nahrungsmittel" im Irak, der Deutsche Hans-C. Graf von Sponeck.
Von Sponeck war im Februar 2000 aus Protest gegen die UNO-Sanktionen von seinem Posten zurückgetreten, weil er nicht zum «Komplizen werden wollte». Gegenüber swissinfo.ch äusserst er sich auch zu Embargos gegen Iran, zum Arabischen Frühling und zur Krise in Syrien.
swissinfo.ch: Wie beurteilen Sie das Sanktions-Regime der Vereinten Nationen gegen den Irak in den Jahren 1990-2003?
Hans-C. Graf von Sponeck: In den 13 Jahren der Sanktionen gegen Irak hat die UNO ein absolut ungenügendes Überlebensprogramm für den Irak unterstützt und gefördert. In den ersten fünf Jahren bestand alles, was die UNO in den Irak hineinbringen konnte, aus freiwilligen Beiträgen der internationalen Gemeinschaft. Es gab keine Strategie des Sicherheitsrates, die sicherstellte, dass die unschuldige Bevölkerung geschützt war.
Erst 1995 begann dann das Programm «Öl für Nahrungsmittel», welches ein gewisses Minimum sicherte – zumindest auf dem Papier. Denn in Realität ging die Umsetzung sehr langsam vonstatten. Das Endresultat war, dass nur 28 Milliarden Dollar für die humanitären Bedürfnisse und das Überleben einer Bevölkerung von damals schätzungsweise 23 Millionen Menschen verteilt wurden. 28 Milliarden Dollar sind zweieinhalb Monate der Kosten des amerikanischen Militärs 2005 im Irak.
swissinfo.ch: Waren diese Sanktionen berechtigt? Und haben sie die Ziele erreicht, die sich die UNO gesteckt hatte?
H-C.G.S.: Sanktionen sind Teil des internationalen Instrumentariums, um Konflikte zu lösen. Voraussetzung ist, dass man diese Sanktionen ehrlich anwendet und sicherstellt, dass nicht die Falschen bestraft werden. Die Sanktionen, die der UNO-Sicherheitsrat für den Irak beschlossen hat, waren aber genau das Gegenteil: Die Diktatur in Bagdad wurde weitgehend ausgelassen, und die Hauptopfer waren unschuldige Menschen im Irak.
Das heisst, dass da etwas nicht geklappt hat, was von Seiten des internationalen Rechtes durchaus legitim und akzeptabel begonnen hat. Denn man kann nicht in ein Nachbarland einmarschieren und meinen, man werde dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Damit musste Saddam Hussein 1990 rechnen. Die Umsetzung dieser Sanktionen wurde jedoch immer illegaler, weil der Schutz der Menschen nicht sichergestellt wurde.
Der Deutsche Hans-C. Graf von Sponeck, Jahrgang 1939, stand mehr als dreissig Jahre im Dienste der UNO. Von 1998 bis 2000 war er humanitärer Koordinator der Vereinten Nationen und leitete das Programm «Öl für Nahrungsmittel» (oil for food) im Irak.
Neben Beiträgen in Zeitungen und Büchern verfasste er gemeinsam mit dem Genfer Journalisten Andreas Zumach das Sachbuch Irak – Chronik eines gewollten Krieges, das 2003 erschienen ist. 2005 publizierte er zudem das Buch Ein Anderer Krieg – Das Sanktionsregime der UNO im Irak.
Hans-C. Graf Sponeck ist Präsident des International Centre for Justice in Genf und Mitglied des World Future Council.
swissinfo.ch: Sie waren einer der ranghöchsten Beamten der UNO und sind zurückgetreten. Welches waren die Gründe für diesen Schritt?
H-C.G.S.: Wenn man etwas erkennt, was rechtlich falsch ist, und merkt, dass man es nicht ändern kann, dann kann man nicht dabei bleiben. Das war meine Motivation. Ich habe gemerkt, dass ich in meinem Arbeitsbereich in Bagdad nicht in der Lage war, den Sicherheitsrat, insbesondere die Amerikaner und die Engländer, davon zu überzeugen, dass das, was sie für den Irak taten, der falsche Weg war. Es war ein brutaler Weg der Bestrafung unschuldiger Menschen. Wäre ich dabei geblieben wäre, hätte ich mich mitschuldig gemacht. Aus diesem Grunde habe ich UNO-Generalsekretär Kofi Annan im Februar 2000 gesagt, dass ich ausscheiden werde.
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Auch «smarte» Sanktionen sind kaum überprüfbar
swissinfo.ch: Dass die Amerikaner und die Engländer ihre Ideen nicht akzeptierten, kann man verstehen. Wie aber haben Kofi Annan und ihre Kollegen bei der UNO reagiert?
H-C.G.S.: Kofi Annan hat immer Verständnis gezeigt und versucht, die Sanktionsprogramme im Sinne der Menschlichkeit zu verbessern. Aber er war ja nur einer in diesem grossen Kreis von Entscheidungsträgern. Die führenden Stimmen waren Bill Clinton und Madeleine Albright, später George W. Bush und Condoleezza Rice.
Man muss aber sehen, dass Kofi Annan sein Bestes versucht hat, um bessere Bedingungen für die Bevölkerung zu erreichen, was ihm nur in sehr geringem Masse gelungen ist.
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Wie sinnvoll sind Sanktionen?
swissinfo.ch: Welchen Preis hat die UNO für ihre Sanktionspolitik bezahlt?
H-C.G.S.: Meiner Ansicht nach hat dieses Irak-Ergebnis die UNO sehr geschwächt. Es war vielleicht der Anfang einer Entwicklung, durch welche die UNO immer mehr gelähmt wurde. Und dann kamen der Arabische Frühling und die Anwendung des Prinzips der «Schutzverantwortung» in Libyen.
Wir haben gesehen, wie da eine Resolution falsch dargestellt wurde, ähnlich wie im Irak. Man hat im nationalen Interesse, nicht im Interesse einer multinationalen Einrichtung gehandelt. Dadurch ist ein noch tieferes Misstrauen besonders unter den ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat entstanden, was dazu führte, dass gute Konzepte wie die «Schutzverantwortung» in der Krisenentwicklung in Syrien gar nicht mehr zum Zuge kamen.
Die Schutzverantwortung oder Responsability to Protect (R2P) wurde 2005 im Rahmen einer Konferenz aller Staats- und Regierungschefs von der UNO-Generalversammlung anerkannt.
Der Schutz der Zivilbevölkerung gehört zwingend zur staatlichen Souveränität. Wenn ein Staat jedoch Massenverbrechen an seiner Bevölkerung begeht, wie in Libyen vor der Intervention oder in Syrien, dann verschiebt sich diese Schutzverantwortung auf die Staatengemeinschaft, also auf die UNO.
swissinfo.ch: Glauben Sie überhaupt noch an die Wirksamkeit von UNO-Sanktionen, oder muss alles neu definiert werden?
H-C.G.S.: Wenn es intelligente, fokussierte Sanktionen sind, würde ich nicht sagen, dass man sie in der internationalen Krisenbewältigung total auslassen sollte. Voraussetzung ist aber, dass es keine versteckte Agenda gibt, dass nicht nationale Interessen eine Rolle spielen. Das einzige Motiv sein muss, einen Konflikt zu deeskalieren und zu lösen.
Wenn die Sanktionen als Teil einer weiteren, breiteren Strategie miteingesetzt werden, kann man das akzeptieren. Aber so ist es leider nicht im Augenblick. Im Iran zum Beispiel, wo eine so genannte targetierte Sanktion existiert, werden die Sanktionen missbraucht. Man kann nicht einen Finanzsektor targetieren, ohne auch andere Sektoren zu beeinflussen. Wir wissen heute ganz genau, dass es der Bevölkerung in Iran immer schlechter geht.
Die Auswirkungen dieser so genannt gezielten Sanktionspolitik in Iran sind vielleicht noch ernster als es im Irak der Fall war, weil – im Gegensatz zu «Öl für Nahrungsmittel» – kein humanitäres Programm existiert.
swissinfo.ch: Sie sind nicht mehr in der UNO tätig. Wofür setzen Sie Ihre Energie heute ein?
H-C.G.S.: Ich glaube, die Welt ist müde geworden und will die Unehrlichkeit der gegenwärtigen Politik nicht weiter akzeptieren. Mit meiner Energie und meiner Überzeugung will ich etwas erreichen. Wir wollen uns mit lauteren Mitteln wehren. Die beste Basis dafür sind die Fakten, die uns zur Verfügung stehen. Auf deren Basis können wir weitermachen, nicht als blauäugige, utopische Extremisten, sondern als normale Bürger, die nicht mehr und nicht weniger fordern, als dass das, was in der UNO-Charta begründet ist, auch international umgesetzt wird.
swissinfo.ch: Sind der Arabische Frühling oder die Occupy-Wall-Street-Bewegung eine Antwort auf dieses Unbehagen?
H-C.G.S.: Wir haben das Sozialforum, das in Brasilien seinen Anfang nahm, wir haben Wallstreet, den Arabischen Frühling, wo grosse Schwierigkeiten entstanden sind, die aber auch weitgehend durch internationale Politik beeinflusst werden.
Eine der grossen Forderungen des Augenblicks muss sein, dass wir diese Länder, die durch schwierige Entwicklungsprozesse gehen, alleine lassen und ihnen eine Chance geben, sich selber zu entscheiden und sie nicht immer extern beeinflussen – in unserem eigenen Interesse. Wäre die Beeinflussung im Sinne einer friedlichen Weltgemeinschaft, würde ich das unterstützen. Aber das ist in keiner Weise der Fall.
(Adaption, Gaby Ochsenbein)
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