«Man kann nicht Jugendlichen das Rauchen verbieten und gleichzeitig für Zigaretten werben»
Die Schweizer Stimmberechtigten werden am 13. Februar über eine Volksinitiative abstimmen, welche die Tabakwerbung einschränken will. Für den Direktor von Sucht Schweiz, Grégoire Vittoz, reicht der bestehende gesetzliche Rahmen nicht aus, um Jugendliche wirksam vor Tabakkonsum zu schützen.
Die Schweiz verfügt über eines der liberalsten Tabakgesetze Europas. Eine breite Koalition von Gesundheitsorganisationen, Präventionsmedizinern und Jugendverbänden will das Gesetz verschärfen, um Jugendliche besser vor dem Tabakkonsum und einer Sucht zu schützen.
Die von diesen Organisationen lancierte Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung»Externer Link kommt am 13. Februar zur Abstimmung.
Gemäss dem Initiativtext verbietet der Bund «namentlich jede Art von Werbung für Tabakprodukte, die Kinder und Jugendliche erreicht». Das heisst: Erlaubt wäre demnach nur noch Tabak- beziehungsweise Zigarettenwerbung, die sich direkt an Erwachsene richtet, etwa gezielte Werbung in Zeitschriften, Prospekten und E-Mails sowie Internet-Seiten, die sich an volljährige Personen richten.
Das Parlament und die Regierung sind der Ansicht, dass die Initiative zu weit geht. Sie stellen ihr daher das neue Tabakprodukte-Gesetz als indirekten Gegenvorschlag gegenüber. Dieser Gegenvorschlag ist weniger restriktiv und «berücksichtigt auch die Bedürfnisse der Unternehmen».
Für Grégoire Vittoz, den Direktor der Stiftung Sucht Schweiz, muss der Schutz der Gesundheit jedoch Vorrang haben vor wirtschaftlichen Interessen.
swissinfo.ch: Der Gegenvorschlag schränkt die Tabakwerbung bereits deutlich ein. Sie wird auf öffentlichen Gebäuden, Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs oder auf Sportplätzen sowie bei Sportveranstaltungen verboten. Ist es wirklich notwendig, noch weitere Einschränkungen zu erlassen?
Grégoire Vittoz: Das neue Gesetz, das einen indirekten Gegenvorschlag darstellt, erlaubt weiterhin Werbung für Tabakprodukte an Orten, an denen sich Jugendliche aufhalten, oder in Produkten, die sich an Jugendliche richten, etwa Festivals, Gratiszeitungen oder bestimmte Internet-Seiten.
Dieser Gegenvorschlag verbietet im Grunde nur Werbung, die keine Auswirkungen auf Jugendliche hat. Das Wesentliche wird durch dieses Gesetz also nicht gewährleistet. Deshalb müssen wir darüber hinausgehen.
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Verbot von Tabakwerbung kommt vor das Volk
Gemäss dem von Regierung und Parlament verabschiedeten Gegenvorschlag wird künftig im ganzen Land der Verkauf von Tabakwaren an Jugendliche unter 18 Jahren verboten, während die Kantone bislang die Altersgrenze individuell regeln konnten. Ist das nicht eine wirksame Massnahme, um Jugendliche vor dem Rauchen zu schützen?
Jede Massnahme ist gut. Das neue Gesetz ist besser als nichts, aber es geht eben nicht weit genug. Einerseits sind sich alle einig, dass Minderjährige nicht rauchen sollten. Andererseits werden die jungen Leute mit Werbespots gezielt angesprochen.
Das ist paradox: Man kann doch nicht für ein Produkt bei Jugendlichen werben und ihnen gleichzeitig sagen, dass es nicht für sie bestimmt ist. Auf diese Weise wird das Problem nur verschärft, weil Jugendliche dazu verleitet werden, sich dem Verbot zu widersetzen.
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Ist es nicht widersprüchlich, Werbung für legale Produkte zu verbieten?
Das ist ein falsches Argument. Sonst müssten wir auch damit beginnen, Reklame für alle Medikamente oder Waffen zu erlauben. Die Werbung ist bei vielen legalen Produkten, die problematisch sein können, stark reglementiert. Die Frage ist daher, ob es sich bei Tabak um einen harmlosen oder einen problematischen Stoff handelt.
Ich bin überzeugt, dass Rauchen ein Problem darstellt. Es verursacht 9500 Todesfälle im Jahr. Im Umgang mit diesem Stoff braucht es mehr als die Verantwortung der Einzelperson. Die Gesellschaft als Ganzes trägt eine Verantwortung für den Jugendschutz und den Umgang mit schädlichen Produkten.
Wirtschaftsvertreter:innen betrachten Werbeverbote als «unzulässigen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit». Wäre es nicht tatsächlich sinnvoller, die Prävention zu stärken statt auf Verbote zu setzen?
Prävention kann auf zwei Ebenen stattfinden. Laut der Weltgesundheits-Organisation haben wir die grössten Handlungsmöglichkeiten im Bereich der gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Produkt. Dazu gehören Werbeverbote. Aber das eine schliesst das andere natürlich nicht aus.
Ausserdem sollten Jugendliche besser aufgeklärt werden, damit sie freie und bewusste Entscheidungen treffen können. Doch die Wirkung dieser Informationsmassnahmen ist gering, wenn die Jugendlichen gleichzeitig mit Werbung bombardiert werden.
«Die Zigaretten-Konzerne brauchen kein Werbeverbot, um Personal zu entlassen, wenn es ihnen dienlich ist.»
Grégoire Vittoz, Direktor Sucht Schweiz
Das von der Initiative geforderte Verbot des Sponsorings von Jugendveranstaltungen könnte zu einem Einnahmerückgang für die Organisatoren führen. Könnte diese Massnahme folglich nicht beliebte Jugendveranstaltungen gefährden, die bereits unter der Pandemie leiden?
Vor einigen Jahren haben wir die Rechnung für das Paléo Festival gemacht, das grösste Open-Air-Musikfestival der Schweiz. Durch den Sponsorenbeitrag eines Zigarettenherstellers konnte der Eintrittspreis um zwei Franken gesenkt werden.
Sind diese zwei Franken die enorme Werbeplattform wert, die den Zigarettenfabrikanten bei dieser Art von Veranstaltung geboten wird? Unsere Antwort lautet Nein. Wir verzichten gerne auf diesen Preisabschlag, um zu verhindern, dass unsere Kinder einem massiven Marketing für Nikotinprodukte ausgesetzt sind.
Die Tabakindustrie beschäftigt jedoch viele Menschen in der Schweiz. Muss nicht befürchtet werden, dass es zu etlichen Entlassungen kommt, wenn die Gewinne der Tabakkonzerne zurückgehen?
Die in der Schweiz ansässigen Tabakmultis wissen tatsächlich sehr gut, wie sie ihre Interessen durchsetzen können. Dazu gehört auch die Drohung mit Entlassungen. Allerdings entfällt auf die Schweiz nur ein Promille des Weltmarktes dieser Unternehmen.
Wenn die Initiative dazu führen würde, dass der Tabakkonsum in der Schweiz um zehn Prozent zurückgeht, könnte die Tabakindustrie ein Zehntausendstel ihres Umsatzes in der Schweiz verlieren.
Dieser Verlust wird nicht zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen in den Zentralen dieser Unternehmen führen. Zudem muss gesagt werden, dass diese multinationalen Konzerne kein Werbeverbot brauchen, um Personal zu entlassen, wenn es ihnen dienlich ist. Insbesondere der amerikanische Zigarettenhersteller Philipp Morris hat in den letzten Jahren mehrmals Entlassungen angekündigt.
Wenn das Werbeverbot für Tabak gemäss der Volksinitiative angenommen wird, werden Ärzte und Suchtverbände auch Alkohol oder Süssgetränke verbieten lassen wollen, wie die Gegner der Initiative befürchten?
In unserem Text geht es um Tabak und nicht um etwas anderes. Es handelt sich um das Gesundheitsproblem Nummer eins in der Schweiz in Bezug auf vermeidbare, nicht übertragbare Krankheiten.
(Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob)
>> Patrick Eperon koordiniert die Kampagne gegen die Initiative. In einem Interview erläutert er die Gründe dagegen:
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«Wir befürchten, dass die Tabakinitiative die Tür für weitere Werbeverbote öffnet»
(Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob)
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