Pro Komitee: Ehe für alle als grosser Schritt Richtung Gleichberechtigung
Nach einem siebenjährigen parlamentarischen Prozess wird die Schweiz am 26. September über die gleichgeschlechtliche Ehe abstimmen. Für Olga Baranova, die Leiterin der Pro-Kampagne, geht es darum, "der grundlosen Diskriminierung ein Ende zu setzen".
Der Weg zur Ehe für alle war in der Schweiz sehr lang. Der Prozess wurde 2013 durch eine parlamentarische Initiative der Grünliberalen Partei angestossen. Nach Debatten über mehrere Textentwürfe stimmten im vergangenen Dezember National- und Ständerat einer Änderung des Zivilgesetzbuchs zu.
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Kontra-Seite: Ehe für alle schafft neue Ungleichheiten
Bislang können homosexuelle Paare nur eine eingetragene Partnerschaft eingehen. Diese gewährt allerdings nicht dieselben Rechte wie die zivile Ehe.
In der Bundesverfassung ist nicht definiert, wem die Ehe offensteht. Doch die bisherige Gesetzgebung beschränkte den Zugang auf Verbindungen zwischen Frau und Mann. Das letzte Wort hat nun das Volk, weil ein Komitee aus Vertretern der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Eidgenössischen Demokratischen Union (EDU) das Referendum ergriff.
Die Gegner sind der Meinung, dass ein neues Ehegesetz «ein soziales und politisches Schlupfloch öffnet, das die historische Definition von Ehe, welche als dauerhafte Verbindung zwischen Mann und Frau verstanden wird, aushebelt». Sollte das Gesetz am 26. September angenommen werden, wird die Schweiz eines der letzten Länder in Westeuropa sein, das die gleichgeschlechtliche Ehe einführt.
Kampagnenleiterin Olga Baranova sagt, es sei an der Zeit, gleichgeschlechtlichen Partnern endlich gleiche Rechte zu gewähren.
swissinfo.ch: was bedeutet die Ehe für alle für die LGBT-Gemeinschaft?
Olga Baranova: Es wäre ein grosser Schritt in Richtung Gleichstellung. Es geht zum einen um Symbolik: Die «Ehe für alle» bedeutet die Anerkennung der Akzeptanz, die LGBT-Menschen in der Gesellschaft bereits erlangt haben.
Zum anderen geht es um rechtliche Anerkennung: Gleichgeschlechtliche Paare erhalten denselben Schutz und dieselben Rechte wie heterosexuelle Paare. Eine Diskriminierung, die jeglicher Grundlage entbehrt, würde endlich aufhören.
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«Ich darf nicht Mutter sein, zusammen mit einer Frau, die ich liebe»
Die eingetragene Partnerschaft bietet heute bereits bestimmte Rechte, die der zivilen Ehe gleichwertig sind, zum Beispiel die Möglichkeit, einen gemeinsamen Namen zu wählen. Was bringt die Ehe für alle zusätzlich?
Ausländischen Partnerinnen und Partnern stehen künftig die erleichterte Einbürgerung offen. Zudem wird Frauenpaaren der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin in der Schweiz erlaubt. Beide Frauen können sofort nach der Geburt des Kindes als Mütter anerkannt werden, sofern sie sich an eine offizielle Samenbank in der Schweiz wenden.
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Die Schweiz entscheidet über die Zukunft der Ehe
Genau dieser Punkt wird von den Gegnern kritisiert. Sie finden, dass der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin für lesbische Paare nicht das Wohl des Kindes berücksichtigt und eine Verletzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Herkunft darstellt. Was sagen Sie dazu?
Dieser Standpunkt ist paradox. Die schweizerische Gesetzgebung ist klar: Sobald ein Kind das 18. Lebensjahr vollendet hat, kann es den Namen seines Spenders erfahren. Lesbische Paare haben nicht auf das Einverständnis der Schweiz gewartet, um die medizinisch unterstützte Fortpflanzung in Anspruch zu nehmen. Heute gehen viele dafür ins Ausland. Und im Gegensatz zur Schweiz erlauben einige Staaten eine anonyme Samenspende. Es ist also eher die aktuelle Gesetzgebung, die die Rechte des Kindes verletzt.
Wird die Ehe für alle den Weg für die Leihmutterschaft für homosexuelle Paare ebnen, so wie das Gegner behaupten?
Auf keinen Fall. Sie dichten dem Gesetz etwas an, das es nicht gibt. Leihmutterschaft ist in der Schweiz für alle verboten. Wir müssen auch sehen, dass die überwiegende Mehrheit der Paare, die ins Ausland gehen, um ein Kind zu bekommen, heterosexuelle Paare sind. Daher sollte die LGBT-Gemeinschaft nicht mit etwas in Verbindung gebracht werden, das sie nicht im Speziellen betrifft.
Während der Parlamentsdebatten fanden Politiker, dass die Verfassung geändert werden müsse. Reicht eine einfache Gesetzesänderung, wie sie im Entwurf vorgesehen ist, für einen gesellschaftlichen Wandel aus?
Ein bedeutender gesellschaftlicher Wandel muss nicht unbedingt von der Verfassung ausgehen. Die überwiegende Mehrheit der Experten, die während des siebenjährigen parlamentarischen Prozesses konsultiert worden waren, war der Auffassung, dass die schweizerische Verfassung dies nicht ausschliesst.
Werden Homosexuelle bei einem Ja die Gleichstellung erreicht haben oder werden bald weitere Forderungen folgen?
Es wird immer Forderungen geben, wie für Frauen, wie für alle Menschen, die diskriminiert werden. LGBT-Organisationen werden den Kampf fortsetzen, insbesondere gegen Hassverbrechen. Die Ehe für alle ist nicht die Lösung aller Probleme. Sie bietet beispielsweise keine absolute Gleichstellung für weibliche Paare, die einen Freund um eine Samenspende bitten. In diesen Fällen wird nur die biologische Mutter bei der Geburt anerkannt.
Diese Debatten werden weiterhin geführt werden müssen, und die LGBT-Gemeinschaft wird weiterhin für die Gleichstellung kämpfen.
(Übertragung aus dem Italienischen: Christoph Kummer)
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