Schweiz beobachtet Spannungen im Kosovo
Eine scheinbar triviale Forderung der kosovarischen Regierung schürte den Unmut von ethnischen Serbinnen und Serben in Kosovo: Sie müssen jetzt die noch von Serbien ausgegebenen Nummernschilder ihrer Fahrzeuge gegen Kennzeichen von Kosovo tauschen. Das Gesetz, das viel mehr ist als eine bürokratische Anordnung, droht, in einer Eskalation zu münden. Unter den 3600 NATO-Friedenstruppen, die im Kosovo aufpassen, sind auch Schweizer Militärangehörige.
In diesem Sommer kam es im Norden Kosovos zu gewaltsamen Protesten, nachdem der kosovarische Premierminister Albin Kurti eine erste Frist für die Umstellung der Auto-Nummernschilder gesetzt hatte. Personen serbischer Herkunft, von denen im Norden etwa 70’000 leben, errichteten Strassensperren und feuerten an den Grenzübergängen Schüsse ab.
Um die Spannungen abzubauen, wurde die Frist für den Austausch der Nummernschilder auf Ende Oktober verschoben. Die Serbinnen und Serben weigern sich, die kosovarischen Institutionen anzuerkennen, und wollen ihre Nummernschilder in Belgrad behalten, das sie als ihre Hauptstadt betrachten.
Die Schweiz hat sich aktiv an der Erhaltung des Friedens im unruhigen Norden beteiligt, der zudem unter hoher Arbeitslosigkeit und steigender Kriminalität leidet. Die Swisscoy ist der Beitrag der Schweiz zur Kosovo Force, besser bekannt unter dem Kürzel KFOR.
Diese internationale Friedensmission ist seit dem Ende des Kosovo-Kriegs im Jahr 1999 vor Ort aktiv. Die Swisscoy verfügt über einen Stab von bis zu 195 freiwilligen Schweizer Militärangehörigen.
David Olumese, Team Commander LMT (Liaison and Monitoring Team), arbeitet in der geteilten Stadt Mitrovica, wo albanische und serbische Siedlungen durch den Fluss Ibar getrennt sind.
Seine Aufgabe ist es, mit verschiedenen Gemeinschaften zu sprechen und dem KFOR-Hauptquartier gegebenenfalls Bericht zu erstatten. Er sagt, die Menschen dort seien verunsichert, weil sie nicht wüssten, was auf sie zukomme.
Peter Balzli ist Osteuropa-Korrespondent des Schweizer Fernsehens SRF. Er berichtet regelmässig über die Entwicklungen im Norden Kosovos. Aber er sagt, dass sein normalerweise unerschrockener kosovarischer Kameramann am 31. Oktober nicht an die kosovarisch-serbische Grenze reisen möchte, falls sich die Spannungen in der Region zuspitzen sollten.
Balzli ist der Ansicht, dass die Situation dort wahrscheinlich angespannt bleiben wird, weil Kosovo aus serbischer Sicht serbisches Gebiet bleibt.
Das serbische Medienunternehmen Telegraf berichtete am 19. Oktober, dass lediglich 12 von 9000 Autos mit serbischen Kennzeichen umgemeldet worden seien. Der Leiter des EU-Büros in Pristina, Tomas Suniog, erklärte kürzlich gegenüber Radio Kosovo, er würde es begrüssen, wenn die Frist für die Neuzulassung von Autos verschoben würde.
Anerkennung und die Verbindung zu Russland
Serbien und Kosovo haben sich 2013 zu Gesprächen verpflichtet, die von der Europäischen Union gefördert werden, um die noch bestehenden Differenzen zwischen ihnen zu lösen. Doch es wurden bis heute kaum Fortschritte erzielt.
Der in der Schweiz lebende Kosovare Osman Osmani, ein Sozialdemokrat, Gewerkschafter und Sprecher der albanischen Diaspora, macht die Haltung der EU zur Unabhängigkeit des Kosovo für die aktuellen Probleme verantwortlich.
Spanien, Griechenland, Rumänien, die Slowakei und Zypern haben sich alle geweigert, die Unabhängigkeit Kosovos zu akzeptieren. Denn sie befürchten, damit Abspaltungsbewegungen in ihren eigenen Ländern zu ermutigen. Insgesamt haben jedoch 117 Länder Kosovos Unabhängigkeit anerkannt, darunter auch die Schweiz.
Russland und China weigern sich, Kosovo anzuerkennen – Russland unterstützt die fortbestehenden Ansprüche Serbiens auf das Balkangebiet. Serbien hat einigen Ländern die visafreie Einreise angeboten, falls sie die Anerkennung Kosovos rückgängig machen.
Das hat in Einzelfällen funktioniert. Auf Druck der EU hat Serbien nun aber angekündigt, die Visafreiheit für Indien, Tunesien und Burundi aufzuheben, berichtet Balzli von SRF.
Serbien gilt traditionell als der engste Verbündete Russlands in Europa – doch es ist nicht alles so, wie es scheint.
«Nach aussen hin propagiert Belgrad das Narrativ der ewigen russisch-serbischen Brüderlichkeit, aber Serbien ist fast vollständig vom Westen abhängig», sagt Balzli. «Brüssel hat Serbien bisher vier Milliarden Euro [3,9 Milliarden Franken] an Entwicklungshilfe gegeben, und die serbische Wirtschaft exportiert zwei Drittel ihrer Waren in EU-Länder.»
Der Journalist weist darauf hin, dass die Politik Serbiens, die zwischen der Zugehörigkeit zu Russland und der Annäherung an die EU hin und her schwanke, derzeit in Belgrad in Frage gestellt werde.
Osmani wirft Serbien vor, die serbische Minderheit als Geisel zu halten. «Sie hindern die Serbischstämmigen daran, sich in einen multiethnischen Staat zu integrieren», sagt er. Er bezweifelt auch die Fähigkeit und Bereitschaft sowohl der KFOR als auch der Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo (Eulex), den Frieden zu wahren.
Diaspora: Tausende von Kosovarinnen und Kosovaren flohen während des Kriegs 1999 in die Schweiz.
Insgesamt sind 114’755 kosovarische Staatsangehörige in der Schweiz registriert (Stand 2021).
Laut offizieller Statistik sprachen im Jahr 2020 3,2% der Schweizer Wohnbevölkerung Albanisch.
Die Diaspora unterstützt ihr Heimatland mit Geldüberweisungen und nahm an den letzten Wahlen in Kosovo teil, bei denen Premierminister Albin Kurti an die Macht kam.
Wie kann Kosovo vorankommen?
Die europäische Integration könnte dazu beitragen, die festgefahrene Situation zu überwinden. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sagte den serbischen und kosovarischen Staatsoberhäuptern bei einem Besuch in Berlin im Mai, eine Annäherung zwischen ihnen sei für ihre Beitrittsbestrebungen «enorm wichtig».
Die serbischen EU-Beitrittsverhandlungen sind seit 2012 im Gange. Und Kosovo hat erklärt, bis Ende dieses Jahres einen formellen Antrag auf EU-Beitritt zu stellen.
Die Gespräche zwischen Kosovo und Serbien unter der Schirmherrschaft von EU- und US-Gesandten haben zwar keine Lösung in der Nummernschilder-Frage gebracht, aber Belgrad und Pristina haben kürzlich eine Einigung über die Verwendung persönlicher Ausweispapiere erzielt.
Serbien erklärte sich bereit, Einreise- und Ausreisedokumente für Inhaberinnen und Inhaber eines kosovarischen Personalausweises abzuschaffen. Im Gegenzug erklärte sich Kosovo bereit, keine solchen Dokumente für Personen mit serbischem Ausweis einzuführen.
Balzli sagt, Kosovo mache Fortschritte, weil die Regierung Kurti die grassierende Korruption ernsthaft bekämpfe und dabei unter anderem von der Schweizer Diaspora unterstützt werde. Wenn die Korruption wirksam bekämpft werde, könne die kosovarische Wirtschaft wachsen, so Balzli.
«Wenn es Kosovo mit einem Durchschnittseinkommen von 350 bis 400 Euro gelingt, seinen Wohlstand über das Niveau Serbiens (mit einem Durchschnittseinkommen von 770 Euro) zu heben, dann würden die Karten zwischen den beiden Ländern neu gemischt», sagt er.
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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Diaspora will Kosovo helfen, kann aber nicht
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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