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Schweiz bleibt politisch stabil, trotz vieler Krisen

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Trotz unruhiger Zeiten ist das Panorama der politischen Parteien in der Schweiz bemerkenswert stabil geblieben, stellt das Institut Sotomo in seiner Studie fest. Keystone / Anthony Anex

Der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und die Coronavirus-Pandemie vermochten die politischen Fronten in der Schweiz ein Jahr vor den Eidgenössischen Wahlen nicht zu verschieben. Die Grünen haben jedoch etwas an Boden verloren, während die Grünliberalen und die Freisinnig-Liberalen leicht zulegen konnten, wie das erste Wahlbarometer der SRG SSR zeigt.

Während ihre Nachbarländer regelmässig grosse politische Umwälzungen erleben, ist die Schweiz trotz der zunehmenden Krisen weiterhin eine Insel der Stabilität.

Die Parlamentswahlen in Frankreich und Italien führten auch in diesem Jahr zu erheblichen Verschiebungen der Kräfteverhältnisse zwischen den wichtigsten Parteien. Dies war auch in Deutschland im letzten Jahr der Fall, wo die Sozialdemokratische Partei die 15-jährige Hegemonie von Angela Merkel und der konservativen CDU beendete.

Ein Trend, dem sich die Eidgenossenschaft zu entziehen scheint. Das erste Wahlbarometer der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR) im Hinblick auf die Parlamentswahlen 2023 zeigt dies einmal mehr.

Seit den letzten Eidgenössischen Wahlen im Jahr 2019 hat sich die Stärke der verschiedenen nationalen Parteien nur geringfügig verändert, wie die vom Zürcher Institut für Sozial- und Politikstudien (Sotomo) durchgeführte Umfrage zeigt. Nur zwei der sechs grössten Parteien verzeichnen eine Veränderung ihrer Stimmenanteils um mehr als einen Prozentpunkt.

Grüne Welle flacht ab

Trotz des Hitzesommers 2022 und der drohenden Stromknappheit im Winter scheint die grüne Dynamik an Schwung verloren zu haben, stellt das Institut Sotomo fest.

Die Grünliberalen gewinnen zwar 1,5 Prozentpunkte und werden damit zur am stärksten wachsenden Partei. Die Partei mit dem stärksten Rückgang sind jedoch nun die Grünen, die 1,5 Prozentpunkte verlieren. «Die grüne Welle hebt sich gewissermassen selbst auf», hält die Studie fest.

Einer der Faktoren für den Bedeutungsverlust der Grünen ist laut Sotomo, dass es der Partei nicht immer gelingt, die Erwartungen ihrer Wahlbasis zu erfüllen. Bei den letzten Wahlen 2019 konnte sie mit ihrer Klimapolitik zusätzliche Stimmen auf Kosten der Sozialdemokratischen Partei (SP) gewinnen.

Ein Teil dieser Personen scheint nun jedoch von der Politik der grünen Partei enttäuscht zu sein und sich wieder von ihr abzuwenden. «Weil die Ökologie mittlerweile in allen Parteien ein Thema ist, wählen nur noch linke Wahlberechtigte die Grünen», analysiert die Politologin Sarah Bütikofer, die an der Studie beteiligt war.

Die Grünliberale Partei (GLP) ihrerseits profitiert weiterhin von ihrem Image als neues politisches Angebot. Die 2007 gegründete Partei zügelt einen Teil der Wählerschaft der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen), der Mitte-Partei (ehemals Christlichdemokratische Volkspartei, CVP) und der Grünen ab, zeigt das Wahlbarometer.

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Die FDP, die andere Partei des liberalen Flügels, konnte im Vergleich zu den letzten Parlamentswahlen um einen Prozentpunkt zulegen. Vor einem Jahr befand sie sich jedoch noch im Abwärtstrend.

Damals wurde die Partei durch den plötzlichen Rücktritt ihrer Chefin Petra Gössi erschüttert. Die Wahl von Thierry Burkart zum Parteivorsitzenden scheint die Lage jedoch stabilisiert zu haben, so das Institut Sotomo.

Mit 16,1% der Wahlabsichten holt die FDP gegenüber der SP (16,3%) auf. Letztere verliert 0,5 Prozentpunkte und kann damit ihren Platz als zweitgrösste Partei des Landes knapp halten.

Der Stimmenanteil der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die immer noch die stärkste Partei des Landes ist, der Mitte und der Evangelischen Volkspartei (EVP) bleibt ebenfalls unverändert.

Angesichts dieser Ergebnisse prognostiziert Sotomo für die Wahlen 2023 nach dem Linksruck von 2019 derzeit einen «halben» Rechtsruck. Das rot-grüne Lager verliert derzeit zwei Prozentpunkte, während die rechten Parteien 1,5 Prozentpunkte hinzugewinnen.

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Der Einfluss des Ukrainekriegs

Auch wenn die grüne Welle abzuflauen scheint, bleibt der Klimawandel dennoch die Hauptsorge der Schweizerinnen und Schweizer. Er gehört für 43% der Wahlberechtigten zu den drei wichtigsten politischen Herausforderungen. Für 23% der von Sotomo befragten Personen ist der Klimaschutz das relevanteste Thema für die Wahlentscheidung.

«Der Krieg in der Ukraine hat auch die politische Landschaft der Schweiz geprägt, aber nur auf indirekte Weise», sagt der Politologe Michael Hermann, Leiter von Sotomo. Er stellt zum Beispiel fest, dass die Landesverteidigung oder Kriminalität und Sicherheit Themen sind, welche die Schweizerinnen und Schweizer wenig beschäftigen.

Hingegen haben viele Menschen die Abhängigkeit der Eidgenossenschaft vom Ausland im Bereich der Energieversorgung entdeckt. Dies ist somit für 36% der Wahlberechtigten zur grössten politischen Herausforderung geworden, der sich das Land stellen muss.

Die durch den Krieg gegen die Ukraine verursachten Preissteigerungen schaffen auch ein Bedürfnis nach sozialer Absicherung, stellen die Autorinnen und Autoren der Studie fest. So sind 29% der Befragten der Meinung, dass die soziale Sicherheit und die Lebenshaltungskosten zentrale politische Herausforderungen sind.

Noch mehr Sorgen bereiten der Bevölkerung jedoch die Prämien für die Krankenversicherung (32% der Befragten). Deren Anstieg steht zwar nicht im Zusammenhang mit dem Krieg, trägt aber zum Druck auf das Haushaltsbudget bei.

Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

Die Umfrage

Das erste Wahlbarometer der SRG SSR im Hinblick auf die Parlamentswahlen 2023 wurde vom Forschungsinstitut Sotomo auf der Grundlage von zwischen dem 26. September und dem 7. Oktober gesammelten Daten durchgeführt.

21’038 Wahlberechtigte nahmen an der Umfrage teil, zum einen auf den Internetportalen der SRG SSR, zum anderen auf der Website von Sotomo. Die Fehlermarge beträgt +/- 1,3 Prozentpunkte.

Da sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umfrage selbst rekrutieren (Opt-in), ist die Zusammensetzung der Stichprobe nicht repräsentativ für die Bevölkerung.

Beispielsweise nehmen an politischen Umfragen in der Regel mehr Männer als Frauen teil. Verzerrungen in der Stichprobe werden durch statistische Gewichtungsverfahren korrigiert.

Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

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