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Organspende, «Lex Netflix», Frontex: Drei Ja am 15. Mai 2022

Ja zur «Lex Netflix» – Schweizer Filmförderung wird internationaler

Eine Person schaut auf dem Laptop einen Schweizer Film
Wo globale Player Filme und Serien streamen, fliesst jetzt Geld in die Schweiz. Die Stimmbürger:innen haben am Sonntag Ja gesagt zu einer neuen Pflichtabgabe für Streamingdienste. Diese müssen neu vier Prozent ihres Umsatzes, den sie mit Schweizer Kund:innen erzielen, in die Produktion von Schweizer Filmen investieren. Keystone / Christian Beutler

Überraschend klar: Das Schweizer Stimmenden sagt mit über 58% Ja zum neuen Filmförderungsgesetz. Wenig überraschend dagegen der Absacker bei der Stimmbeteiligung: Mit 39% beträgt sie fast 20% weniger als der letztjährige Schnitt.

Die Umfragen hatten auf einen engeren Ausgang hingedeutet. Aber letztendlich stimmten 58,4% der Teilnehmenden der Pflichtabgabe von vier Prozent zu, welche die Streaming-Plattformen neu in die Produktion von Schweizer Filmen und Fernsehserien inverstieren müssen.

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«Eine etwas unschöne, weil wenig spannende Geschichte»: So bezeichnete Politikwissenschafter Lukas Golder von gfs.bern die Abstimmung über die neue Finanzierung der Filmförderung. Zwar sei der Entscheid letztlich klarer ausgefallen als erwartet.

«Aber der Abstimmungskampf war lau, er ‹zog› nicht.» Weder auf Seiten der Gegner:innen, die mit dem Referendum erfolgreich waren, noch auf jender der Befürtwortenden habe eine lustvolle und spannende Debatte, wie es sie noch beim Mediengesetz gegeben habe, stattgefunden.

«Lauwarmes Ja»

«So kam es in der Deutschschweiz zu einem lauwarmen Ja, weil wir hier auch Kantone haben, die Nein stimmten. In der Westschweiz dagegen war die neue Filmförderung viel besser abgestützt, reichte doch die Support bis in rechte Kreise», so Golder.

Das neue Filmgesetz verpflichtet die globalen Streamingdienste wie Netflix, Amazon, HBO oder Disney, vier Prozent ihres in der Schweiz erzielten Umsatzes in die Bundeskasse abzuliefern. Dies als Beitrag zur Schweizer Film- und TV-Produktion. 

Die Einführung der Pflichtabgabe für Streaming-Plattformen ist ein weiterer Schritt Richtung «Europäisierung» und «Amerikanisierung» der bereits bereits international vernetzten Produktion von Schweizer Kino- und Fernsehfilmen. «Europäisierung» deshalb, weil die meisten der europäischen Nachbarländer die Global Player bereits mit einer solchen Abgabe belegt haben. «Amerikanisierung», weil die Branchenleader des Streamings allesamt in den USA beheimatet sind.

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Stimmbeteiligung sackt in den Keller

Die Stimmbeteiligung fiel mit 39% tief aus. Das ist ein Absturz von fast 20%: Noch im letzten Jahr beteiligten sich im Schnitt aller vier nationalen Urnengänge 57% der Stimmberechtigten an den Abstimmungen.

Eine kleine Rechnung aus Anlass der tiefen Partizipation: Wenn von allen 5,5 Millionen Stimmberechtigten im Land nur knapp 40% teilnehmen, bedeutet eine Ja-Mehrheit von 58%, dass effektiv 23% aller Stimmberechtigten dem neuen Filmgesetz zum Durchbruch verhalfen – also weniger als ein Viertel. Fairerweise kann man umgekehrt sagen, dass nur 17% der Stimmberechtigten gegen die Einführung das neue Filmförderungsgesetz votierten.

Der Schub aus dem vergangenen Jahr habe klar mit der Pandemie zu tun gehabt, sagte Politikanalyst Lukas Golder. Im letzten Jahr hätten viele Menschen mit der Faust im Sack abgestimmt und fast immer teilgenommen. Dies nach dem Motto: «Wenn der Staat mir befiehlt, eine Maske zu tragen, wehre ich mich an der Urne.» Diese seien jetzt wieder weg, so Golder.

Der Abschwung punkto Interesse hatte sich schon im Vorfeld abgezeichnet. Die Medien thematisierten die drei Vorlagen markant schwächer als etwa die Medienfinanzierung, die im Februar zur Debatte stand. Dies lässt sich an der Anzahl der publizierten Artikel zeigen: Im Vorfeld der jetzigen Abstimmung wurden nur rund ein Drittel so viele Artikel publiziert wie zur erwähnten Vorlage von Anfang Jahr. 

Als Grund für den Taucher in Sachen Partizipation machte Golder aber auch den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Er sei das Über-Thema, das die Menschen voll beschäftige und ihnen Angst mache, so Golder.

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«Schub für  die Schweizer Filmbranche»

Die Freude über den Ausgang war im Siegerlager gross. «Das Verdikt verleiht der Schweizer Filmbranche einen grossen Schub», sagte Ständerätin Andrea Gmür von der Mitte-Partei, die im Parlament für die neue Filmförderung eintrat. «Es ist auch eine Riesenchance, denn jetzt können Schweizer Filme in über 150 Ländern gesehen werden», sagte sie. Mit dem neuen Filmgesetz hätten die Streamingdienste nun auch die Möglichkeit, direkt zu investieren. «Und sie können damit einen Gewinn erwirtschaften», so Gmür.

Der Berner Nationalrat Matthias Aebischer doppelte nach: «Es ist eine Investition in einen Film, den Netflix sonst in Amerika machen würde. Es geht um die Kultur, es geht um Swissness. Es geht um Werbung für den Schweizer Tourismus», so der Sozialdemokrat.

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Freude herrschte aber auch bei den Verlierer:innen. «Es ist ein Achtungserfolg für uns Jungparteien, denn wir konnten Bewegung in die Diskussion bringen», sagte Matthias Müller, Präsident des Referendumskomitees. «Mit grosser Freude erfüllt mich insbesondere, dass wir 42% der Bevölkerung hinter uns scharen konnten.» Im Parlament sei die Zustimmung  gross gewesen. «Aber wir merkten, dass in der Schweizer Bevölkerung mehr Kritik da ist», so Müller.

Neu hätten die Konsument:innen eine Quote von 30% europäischen Filmen im Katalog, die ihnen aufgezwungen würden. «Ich nehme die Schweizer Filmlobby beim Wort, dass wir mit der Abgabe mehr und bessere Schweizer Filme zu sehen bekommen. Ich drücke den Filmschaffenden die Daumen, dass ihnen dies gelingt.»

Antworten auf Globalisierung

Kino? Netflix! Die Revolution im Filmbusiness durch die globalen Streamingdienste führte zur Abstimmung vom Sonntag: Die Frage lautete, ob die digitalen Plattformen Netflix, Amazon, HBO oder Disney, die das heimische Filmgeschäft immer mehr bedrängen, einen Beitrag an Schweizerische Film- und Fernsehproduktionen abliefern müssen.

Das neue Filmgesetz des schweizerischen Parlaments, das nach der weltweiten Nummer 1 des Unterhaltungs-Streamings benannt ist, verpflichtet die Global Player neu dazu, das Schaffen von Schweizer Filmen und Serien mit vier Prozent ihres in der Schweiz erzielten Umsatzes zu finanzieren.

Ähnliche Massnahmen sind in den Nachbarländern bereits in Kraft. Besonders weit gehen Frankreich mit einer Pflichtabgabe von 26% und Italien mit 20%.

Spiesse längst nicht mehr gleich lang

Die globalen Streaming-Riesen bedienen gegen Abo-Gebühren Abermillionen von Userinnen und Zuschauern auf der ganzen Welt. Sie erzielen also «globale Einnahmen». Das heisst nichts anderes, als dass Gelder aus den einzelnen Ländern abziehen. Geld, das dann für die dortige Filmförderung fehlt.

Deshalb sollen sie einen Obolus entrichten, um der hiesigen Film- und Fernsehproduktion unter die Arme zu greifen. Denn die Spiesse werden immer ungleicher: Die Förderbeiträge der öffentlichen Hand, von der SRG sowie Privaten – es sind dies vor allem Stiftungen – bewegen sich in einem mehr oder weniger begrenzten Rahmen.

Weiter verpflichtet das neue Gesetz die Streaming-Plattformen, dass ihre Angebote mindestens 30% europäische Filme beinhalten müssen.

Auch «Werbefenster» im Fokus

Doch entgegen seines Namens «Lex Netflix» umfasst das neue Filmförderungsgesetz auch analoge Medien – die Privatfernsehsender aus den umliegenden Ländern. Mit ihren Werbefenstern ziehen diese dem Schweizer Markt seit rund 30 Jahren grosse Summen ab – sehr zum Nachteil der hiesigen Medienunternehmen.

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