E-Voting auf Eis: Was bleibt von den Bemühungen?
Schlag für das E-Voting in der Schweiz: Die Bundesrat will es nicht mehr in einen gewöhnlichen Abstimmungskanal überführen. Expertin Ardita Driza Maurer ist aber zuversichtlich, dass die Schweiz aus den bisherigen Bemühungen und Erfahrungen viel mitnehmen kann.
Der Entscheid des Bundesrats sei eine «weise und logische Reaktion, welche die Ergebnisse der Transparenzübung vom Februar bis März 2019 berücksichtigt». Das sagt Ardita Driza Maurer, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich. Sie forscht am Zentrum für Demokratie in Aarau (ZDA) über politische Rechte und neue Technologien.
In der Vernehmlassung über das E-Voting erhielt der Bundesrat nicht die notwendige politische Unterstützung. «Die Mehrheit der Parteien hielt diesen Schritt für verfrüht», gab die Bundeskanzlei heute in einer Mitteilung bekannt. Mit anderen Worten: E-Voting ist zwar nicht ganz beerdigt. Aber die flächendeckende Einführung, so der Plan der Regierung, rückt in weite Ferne.
Die Lücken im E-Voting-System der Post, die während einer öffentlichen Sicherheitsprüfung zutage traten, lieferten den Ambitionen der Schweiz in Sachen E-Voting kaum Rückenwind: Beim künftigen elektronischen Abstimmungssystem der zweiten Generation wurden im März zwei sicherheitsrelevante Mängel festgestellt. Ein weiterer tauchte im bis dahin verwendeten System auf, das in der Folge ausser Betrieb genommen wurde.
Kein E-Voting mehr für die Parlamentswahl 2019?
In naher Zukunft dürfte E-Voting den Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern in Zukunft kaum noch zur Verfügung stehen. Der Kanton Genf, der sein E-Voting-System zunächst auf Februar 2020 aufgeben wollte, hat es bereits mit sofortiger Wirkung ausser Betrieb genommen.
Das bedeutet, dass bei den Parlamentswahlen im Oktober die in Genf eingetragenen Stimmbürger nicht online abstimmen können. Davon betroffen sind auch die Stimmbürgerinnen und -bürger der Kantone Aargau, Bern und Luzern, da diese mit dem Genfer System operiert hatten.
Weltweites Misstrauen
Deutschland, Irland, Niederlande, Kanada, Norwegen…: Die Schweiz ist nicht das erste Land, das bei der elektronischen Abstimmung zurückbuchstabieren muss. In den meisten Fällen wurden die Tests an Wahlautomaten durchgeführt, die das Zählen der Karten erleichtern sollten. Es wurde jedoch festgestellt, dass diese Systeme undurchsichtig und nicht nachprüfbar waren, so dass den Wählenden jede Kontrolle entzogen wurde. Ausserdem waren sie oft teurer als traditionelle, analoge Wahlen mit Stimmzetteln.
Noch viel anfälliger für Hackerangriffe sind Online-Abstimmungen. Nach Tests, die negativ verliefen, haben mehrere Länder von der elektronischen Stimmabgabe Abstand genommen. So 2015 Norwegen, nachdem ausgekommen war, dass einige Bürgerinnen und Bürger zweimal abstimmen konnten. Eine Ausnahme von der Regel: 2005 war Estland das erste und einzige Land, das landesweit Internet-Abstimmungen einführte. Es hegte den Traum, zum internationalen Modell in Sachen digitale Demokratie zu avancieren. Heute werden im kleinen Land mit 1,3 Millionen Einwohnern mehr als ein Drittel der Stimmen online abgegeben.
Seit 2012 können die Esten auch via Smartphone abstimmen. Das baltische Land hat einen grossen Vorteil gegenüber anderen Ländern, die mit dem elektronischen Wählen experimentiert haben: eine E-Identität, die als allgemeiner digitaler Personalausweis gilt. Ausgestattet mit elektronischen Signaturen und verschlüsselt, stellt dieser sicher, dass Wählende ihre Stimme nur einmal abgeben können.
Im Wahlkampf um die Präsidentschaft in Frankreich versprach Emmanuel Macron 2017 die Einführung der elektronischen Stimmabgabe bis 2022. Damit verband er das Ziel, «das Image der Politik zu modernisieren».
Samuel Jaberg, swissinfo.ch
Ein zweites E-Voting-System bietet die Post an. Diese arbeitet derzeit an der Lösung eines Problems, es geht um die End-to-end-Überprüfbarkeit. Man sei auf Kurs, heisst es.
Die Staatskanzleien aller vier Kantone, die das Post-System verwenden – Basel-Stadt, Freiburg, Neuenburg und Thurgau – versichern gegenüber swissinfo.ch, dass sie die Nutzung für die Wahlen im Herbst beantragen werden. Die entsprechende Frist endet am kommenden Mittwoch.
Die Entscheidung werde voraussichtlich am 14. August, bei der ersten Bundesratssitzung nach der Sommerpause, getroffen, sagte René Lenzin, stellvertretender Leiter der Kommunikation in der Bundeskanzlei.
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Im besten Fall wird E-Voting bei den Wahlen im Herbst also nur in vier Kantonen verfügbar sein. Ein Fiasko für den Bundesrat? Immerhin hatte sich dieser einst zum Ziel gesetzt, auf diesen Termin hin die elektronische Stimmabgabe «flächendeckend», d. h. in mindestens zwei Dritteln der 26 Kantone einzuführen.
Die umfassendste Regulierung der Welt
Ardita Driza Maurer sieht das anders. «Das Hauptziel des Bundesrates war schon immer, dass die Sicherheit über allem steht und dass E-Voting die Grundsätze der Wahlfreiheit respektiert», sagt die Spezialistin für politische Rechte und neue Technologien. Der gesamte Ansatz des E-Votings in der Schweiz entspräche dieser Priorität des Bundesrats, fügt sie hinzu.
Die Juristin erinnert daran, dass es seit Anfang 2014 «eine sehr anspruchsvolle Regelung gibt: Sie ist die weltweit umfassendste in Bezug auf durchgängig überprüfbare Systeme». Und diese strenge Vorschrift werde auch ständig aktualisiert. «Im Juli 2018 trat eine neue wichtige Sicherheitsanforderung in Kraft: die Veröffentlichung des Quellcodes.»
Zusätzlich zu den regelmässigen Penetrationstests haben Bund und Kantone Anfang Jahr einen öffentlichen Sicherheitstest ins Leben gerufen. Diese Transparenzübung, insbesondere die Veröffentlichung des Quellcodes, habe ergeben, dass die Zertifizierung Fehler im System der Post hinterlassen habe, fasst Ardita Driza Maurer zusammen. Dies ermögliche nun nicht nur die Korrektur des Quellcodes, sondern auch die Überprüfung der Verfahren.
Eine globale Sichtweise gefragt
Die Öffentlichkeit ist jedoch kaum beruhigt, wenn Lecks auftauchen – im Gegenteil. «Es ist legitim, danach zu fragen, ob ein elektronisches Wahlsystem Angriffen standhalten kann», sagt die Expertin. Auch hätten Umfragen gezeigt, dass alles, was im Bereich der Informationstechnologie und des Internets passiere – etwa Piraterie oder Spionage – Angst gegenüber dem E-Voting hervorrufe, auch wenn es nichts miteinander zu tun habe.
Für die Expertin waren die bisherigen Bemühungen der Schweiz jedenfalls nicht vergeblich. «Die Schweiz ist ein Land mit viel Erfahrungen bei End-to-End-Überprüfbarkeit, Gesetzgebung und Online-Abstimmungen. Es ist ein Land, in dem es eine Zusammenarbeit mit der Forschung gibt, es verfügt über Kompetenzzentren auf technischer, sozialer und rechtlicher Ebene», betont die Forscherin.
Ihrer Meinung nach sollte die Erfahrung mit E-Voting nun in den Dienst eines größeren Projekts gestellt werden: «Es braucht eine globale Vision der Entwicklung politischer Rechte im digitalen Zeitalter.»
Alarmruf der Auslandschweizer-Organisation
Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) ist konsterniert über den Entscheid des Bundesrats, das E-Voting auf Eis zu legen. Ihrer Meinung nach werden der Fünften Schweiz damit ihre demokratischen Rechte verweigert.
In einer Mitteilung ist von einer «faktischen Diskriminierung» die Rede. Benachteiligt würden aber nicht nur Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, sondern auch andere Bevölkerungsgruppen, etwa Menschen mit einer Sehbehinderung. Laut ASO ist die elektronische Stimmabgabe für die Betroffenen die einzige Möglichkeit, an Abstimmungen und Wahlen teilzunehmen.
Zwar misst auch sie der Systemsicherheit grosse Bedeutung bei. Sie befürchtet nun aber, «dass die betroffenen Akteure demobilisiert werden, was dem E-Voting ein endgültiges Ende setzen würde», wie es in der ASO-Mitteilung heisst.
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Marschhalt beim E-Voting: Was bedeutet das für die Fünfte Schweiz?
(Übertragung aus dem Italienischen: Balz Rigendinger)
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