Eine Mehrheit der Schweizer will Verhandlungen mit der EU
"Ja, die Regierung soll": Knapp zwei Drittel der Schweizerinnen und Schweizer wünschen, dass der Bundesrat mit der EU ein Rahmenabkommen aushandelt. Das Links-Mitte-Lager steht geschlossen dahinter. Als einzige hält die rechtskonservative SVP dagegen. Erstaunlich aber ist, dass fast ein Fünftel ihrer Wähler ausscheren. Dies zeigt das neue Wahlbarometer.
Die Bestätigung bisher bekannter Positionen sowie eine grosse Verschiebung: dies das Resultat einer Erhebung, welche die Autoren des Wahlbarometers durchführten (siehe Box). Das eigentliche Wahlbarometer wird in einigen Tagen publiziert.
Die Verschiebung vorweg: Waren bisher «die fremden Richter» der Knackpunkt der Debatte um ein Rahmenabkommen, sind es nun die flankierenden Massahmen zur Abfederung des freien Personenverkehrs.
Die Massnahmen sollen dafür sorgen, dass Arbeitskräfte aus der EU das schweizerische Lohnniveau und die Arbeitsbedingungen nicht drücken resp. umgehen können.
Cassis und die «roten Linien»
Hauptakteur dieser Verschiebung war Aussenminister Ignazio Cassis. Er hatte im Sommer die bisherigen «roten Linien» öffentlich in Frage gestellt. Cassis zielte konkret auf die so genannte Acht-Tage-Regel: Aktuell müssen ausländische Arbeitskräfte ihre Einsätze in der Schweiz acht Tage vorher anmelden.
Die Gewerkschaften, welche die flankierenden Massnahmen mittragen, protestierten heftig und verabschiedeten sich aus jeglichem Dialog mit der Regierung.
59% der Befragten in der Schweiz sind dafür, dass sich die Regierung punkto Rahmenabkommen mit Brüssel an einen Tisch setzt. Sie antworteten mit «Ja» oder «eher Ja». 38% wollen das nicht («Nein» oder «eher Nein»).
Den grössten Rückhalt hat das Rahmenabkommen bei den Anhängern der Sozialdemokraten (86%), gefolgt von jenen der Grünliberalen (82%) und der Grünen (79%).
Das Wahlbarometer
Die Befragung zur Erhebung des Wahlbarometers wurde zwischen 13. und 18. September 2018 durchgeführt. Dafür wurden die Antworten von knapp 12’200 Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern berücksichtigt.
Die Erhebung führte die Forschungsstelle sotomo aus Zürich online durch. Auftraggeber des Wahlbarometers ist die SRG SSR , zu der auch swissinfo.ch gehört.
Das eigentliche Wahlbarometer wird Anfang Oktober publiziert.
Im Mitte-Lager wünschen sich 76% der Anhänger der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen), dass der Bundesrat ein solches Vertragswerk aushandelt. Bei den Christdemokraten (CVP) sind es 75%.
Umgekehrt das Bild bei der Schweizerischen Volkspartei (SVP): 81% wollen die Regierung von einem solchen Plan abhalten. Das Überraschende dabei aber: 17%, also fast ein Fünftel der SVP-Wählenden, wünschen, dass der Bundesrat dieses Abkommen anstrebt.
Der Rückhalt ist generell bei den Frauen mit 62% Ja leicht grösser als bei den Männern (58%). Erstaunlich, dass die Unterstützung quer durch alle Altersgruppen praktisch genau gleich hoch ist: Die 18-25-Jährigen sagen mit 60% Ja, jene zwischen 36 und 55 sowie die Über-55-Jährigen mit 59%.
Tessin mauert
Nach Landesteilen aufgeschlüsselt, kommt die grösste Unterstützung mit 66% Ja aus der Westschweiz, während 59% der Deutschschweizer den Plan befürworten. Die italienischsprachige Schweiz dagegen sagt mit 55% Nein zur Aufnahme von Verhandlungen über einen Rahmenvertrag.
Bestätigt wird die bisherige Erkenntnis, dass die Zustimmung steigt, je höher das Bildungsniveau ist. So erteilen 75% der Absolventen einer Fachhochschule, Universität oder Technischen Hochschule dem Bundesrat grünes Licht für Verhandlungen.
Auf Stufe obligatorische Schule und Berufslehre sind es mit 54% deutlich weniger, aber immer noch die Mehrheit.
Das Rahmenabkommen
Die EU drängt seit Jahren auf den Abschluss eines Rahmenabkommens mit der Schweiz. In letzter Zeit hat Brüssel den Druck auf Bern markant erhöht.
Die Schweiz versucht, den bisher eingeschlagenen Weg der bilateralen Abkommen weiter zu gehen.
Das Rahmenabkommen ist ein entscheidendes Thema der Schweizerischen Innen- wie Aussenpolitik. Dies auch im Hinblick auf die schweizerischen Parlamentswahlen im Oktober 2019.
Der institutionelle Rahmenvertrag soll den Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt regeln.
Konkret geht es darum, dass die Schweiz Neuerungen im EU-Recht in vier Bereichen automatisch übernehmen müsste. Bisher machten neue EU-Gesetze stets Neuverhandlungen notwendig.
Die vier Bereiche sind: Rechtsentwicklung, Überwachung, Auslegung und Streitbeilegung. Im letzten Punkt beharrt die EU auf einem EU-Gericht.
Die SVP bekämpft den Plan zu einem Rahmenabkommen mit dem Hauptargument, dass «fremde Richter» die Souveränität der Schweiz aushöhlen und die direkte Demokratie abschaffen würden.
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