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Herr Juncker, wo drückt der Schuh?

Bundespräsidentin Leuthard in rotem Kleid und Juncker winken der Presse zu.
Die bilateralen Beziehungen stehen unter einem besseren Stern als auch schon: Im April reiste Bundespräsidentin Doris Leuthard zu Juncker nach Brüssel. Keystone/EPA/Olivier Hoslet

Nach Spekulationen über eine mögliche Absage nun also doch: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker reist nach Bern. Dort wird sein Besuch auch als Anerkennung der Rolle der Schweiz als wichtige Partnerin der EU gedeutet.

Juncker komme nur, wenn der Bundesrat im Vorfeld die Zahlung neuer Kohäsionsbeiträge zusage, lautete in den vergangenen Wochen in Schweizer Medien der Tenor. Nun haben beide Seiten bestätigt, dass der EU-Kommissionspräsident am 23. November zu einem offiziellen Besuch nach Bern komme – auch ohne vorherige Kohäsionsbeiträge-Zusage.

Die positive Dynamik hält somit an. Ausgelöst wurde sie im Dezember des vergangenen Jahres mit der EU-konformen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative durch das Parlament. Anlässlich des Besuchs von Bundespräsidentin Doris Leuthard im April in Brüssel nährte die Deblockierung strittiger Dossiers die Zeichen der Entspannung.

Zur Erinnerung: Seit dem 9. Februar 2014 herrschte zwischen Brüssel und Bern diplomatische Eiszeit. Damals hatte das Schweizer Stimmvolk Ja gesagt zur Forderung der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die Schweiz solle die Zuwanderung wieder selber kontrollieren – und verletzte somit das Personenfreizügigkeitsabkommen, das die Schweiz mit der EU, ihrer wichtigsten Handelspartnerin, abgeschlossen hat.

Junckers Besuch in knapp zwei Wochen ist für Bern vor allem von symbolischer Bedeutung: Er sei eine Anerkennung der guten Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU, heisst es in der Bundesverwaltung.

Das Tauwetter darf aber nicht über die grössten Baustellen hinwegtäuschen, welche die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz weiter belasten:

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  • Rahmenabkommen: Das Abkommen beschäftigt die Politik seit 15 Jahren, offiziell verhandelt wird seit 2014. Eigentlich eine Schweizer Erfindung, ist es heute die EU, die von der Schweiz ein solches Abkommen verlangt, um institutionelle Fragen wie die Übernahme von EU-Recht oder ein Verfahren zur Streitschlichtung zu lösen. Brüssel sieht das Abkommen als Bedingung für weitere Marktzugänge – so etwa im Strombereich – und übt so Druck auf die Schweiz aus. Innenpolitisch hat die Idee aber einen schweren Stand, die SVP schiesst seit Jahren gegen den «schleichenden EU-Beitritt» und gegen «fremde Richter».


  • Kohäsionsmilliarde: Die Schweiz zahlt seit 2004 sogenannte Kohäsionsbeiträge zum Abbau der wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede innerhalb der EU. Nun steht eine neue Tranche von rund einer Milliarde Franken an. Im Juni hatte der Bundesrat erklärt, man werde den Beitrag «zu gegebener Zeit anlässlich der Betrachtung aller europäischen Dossiers überprüfen» – und machte ihn somit explizit zum Pfand im Verhältnis mit der EU. Brüssel seinerseits sieht Bern in der Pflicht und deutete die Erwartung an, bei einem Treffen von Juncker und Leuthard in Bern müsse der Entscheid zugunsten der Zahlungen verkündet werden können.


  • Offene Dossiers: Nach der Abstimmung vom 9. Februar 2014 stellte Brüssel sämtliche Gespräche über neue bilaterale Verträge ein und blockierte später auch die Aktualisierung bestehender Abkommen. Inzwischen wird über eine Reihe von Abkommen wieder verhandelt. Aktuell hofft die Schweiz auf eine baldige Anerkennung der Äquivalenz der Schweizerischen Finanzmarktregulierung durch die EU, damit die Schweizer Börse ab 2018 im Vergleich zur europäischen Konkurrenz nicht benachteiligt ist.


Was ist von dem Besuch Junckers zu erwarten? Bestimmt werden das Rahmenabkommen und die Zahlung der Kohäsionsbeiträge Gegenstand der Diskussionen sein. Mehr als mündliche Statements sind aber insbesondere mit Blick auf das Rahmenabkommen kaum zu erwarten. Ob Leuthard der EU im Namen des Bundesrates anlässlich des Besuchs eine weitere Kohäsionsmilliarde zusagt, wird sich zeigen.

Unterzeichnet werden könnte das Abkommen, das den Einbezug des Schweizer Emissionshandelssystems ins europäische vorsieht. Nach der für die Schweizer Exportindustrie wichtigen Anpassung des Abkommens über die technischen Handelshemmnisse im Sommer wäre das ein weiteres Signal für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Bern und Brüssel.

Porträtbild des neuen Aussenministers Ignazio Cassis auf einem Ledersessel sitzend.
Wie tickt der neue Schweizer «EU-Minister» Ignazio Cassis? Eines ist sicher: Das Verhältnis zwischen Bern und Brüssel wird seinen beruflichen Alltag prägen. Keystone/Gaetan Bally

Nicht zuletzt werden Juncker und der neue Aussenminister Ignazio Cassis den Besuch wohl nutzen, um sich gegenseitig zu beschnuppern. Cassis hatte noch vor seiner Wahl zum Bundesrat angekündigt, bei den Verhandlungen mit der EU über institutionelle Fragen den «Reset-Knopf» drücken zu wollen – und sich damit weit aus dem Fenster gelehnt. Den Beweis, dass er in der Europapolitik mehr erreicht als sein Amtsvorgänger, wird er noch erbringen müssen.

Sicher ist: Das Verhältnis der Schweiz zur EU wird den politischen Alltag des seit Anfang Monats amtierenden Aussenministers weitgehend prägen. Kommissionspräsident Juncker und seine EU dürften sich ihm gegenüber erst einmal abwartend verhalten und auf konkrete Äusserungen warten.

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SRF, Tagesschau vom 07.11.2017

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