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Schweiz ist erste Station des «hochrangigen Austauschs» zwischen China und Europa

Chinesische Flagge an einem Auto
Der chinesische Premierminister Li Qiang hat in der Schweiz seine Europa-Reise begonnen. Keystone / Alessandro Della Valle

Der chinesische Premierminister Li Qiang besucht diese Woche im Rahmen seines WEF-Besuchs die Schweiz. Der offizielle Staatsbesuch des zweithöchsten chinesischen Beamten signalisiert eine Erneuerung der chinesisch-schweizerischen Beziehungen und ist der Auftakt zu einem "Austausch auf hoher Ebene" mit Europa. Was Sie über die offiziellen Beziehungen zwischen der Schweiz und China wissen sollten.

Warum interessiert sich China zunehmend für Europa?

Li Qiang, dessen Aufgabe es ist, Chinas angeschlagene Wirtschaft wieder anzukurbeln, besucht die Schweiz, gefolgt von Irland, «weil Peking seine Offenheit inmitten der Besorgnis über seine langsame wirtschaftliche Erholung betonen will», schrieb die South China Morning PostExterner Link letzte Woche.

Chinas wirtschaftliche Erholung von der Covid-19-Pandemie verlief nicht gleichmässig. Offiziellen Handelsdaten zufolgeExterner Link gingen die Gesamtimporte und -exporte in einem schwächer werdenden Welthandelsumfeld zurück. Die Exporte in die Europäische Union und die Vereinigten Staaten gingen um 10,2% respektive 13,1% zurück.

Seitdem die Banken in den USA, Europa und Asien im vergangenen Jahr die Zinsen angehoben haben, um die Inflation zu dämpfen, ist die Nachfrage nach chinesischen Exporten schwach.

Der 63-jährige Li Qiang, der im März 2023 zum chinesischen Premierminister ernannt wurde, führte am 15. Januar Gespräche mit Bundespräsidentin Viola Amherd und zwei weiteren Bundesräten.

Anschliessend nimmt Li am Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos teil und sprach am 16. Januar vor führenden Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft und Politik.

Ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums erklärte, Lis Besuch markiere «den Beginn eines hochrangigen Austauschs zwischen China und Europa».

Man erwarte, dass beide Seiten das «enorme Potenzial» für eine Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Finanzen, Innovation und Kultur weiter ausloten würden.

Das öffentlich-rechtliche Schweizer Fernsehen SRF erklärteExterner Link, die Reise verfolge das klare Ziel, «die Beziehungen zu Europa wieder zu verbessern und zu stärken, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht. Auch diesbezüglich ist die Schweiz ein spezieller Zugang zu Europa respektive zu europäischem Kapital für China».

Dank spezieller Vereinbarungen können chinesische Unternehmen an der Schweizer Börse kotiert werden und so in Europa Kapital aufnehmen.

Warum ist die Schweiz Vorreiterin bei den Abkommen mit China?

Die Schweiz unterhält enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu China. Als eines der ersten westlichen Länder anerkannte sie 1950 die Volksrepublik China.

Seit 2010 ist China der wichtigste Handelspartner der Schweiz in Asien und nach der EU und den USA der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz.

Schweizer Unternehmen profitieren in China von einem privilegierten Marktzugang für Waren und Dienstleistungen. Dies im Rahmen des Freihandelsabkommens zwischen der Schweiz und ChinaExterner Link, seit zehn Jahren in Kraft und das erste seiner Art, das Peking mit einer kontinentaleuropäischen Volkswirtschaft abgeschlossen hat.

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China und die Schweiz haben am 15. Januar in Bern eine gemeinsame Erklärung zur Vertiefung ihrer Partnerschaft unterzeichnet. Die Erklärung beinhaltet die Fertigstellung einer gemeinsamen Studie zur Weiterentwicklung des bestehenden Freihandelsabkommens zwischen den beiden Ländern. «Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu möglichen Verhandlungen», erklärte die Schweizer Regierung.

Nach Ansicht der Schweizer Behörden ist das Freihandelsabkommen ein wirksames Instrument zur Förderung des bilateralen Handels und der Investitionen. Seit 2016 haben beide Seiten vereinbart, Möglichkeiten zur weiteren Verbesserung des Abkommens zu prüfen.

Presseberichten zufolgeExterner Link möchte die Schweiz das Abkommen reformieren oder aktualisieren und dabei Menschenrechts- und Umweltaspekte berücksichtigen. Einige Schweizer Branchen, namentlich die Chemie- und Maschinenindustrie, sind laut Tages-AnzeigerExterner Link an einer Erweiterung des Abkommens interessiert.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Vor 70 Jahren war die Schweiz eines der ersten Länder, welche die neue Volksrepublik China anerkannten.

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Der Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin sagte letzte Woche gegenüber SRFExterner Link, er sei «moderat optimistisch», dass beide Seiten nun ein Verhandlungsmandat für die Aktualisierung des Abkommens ausarbeiten könnten.

In einigen politischen Kreisen der Schweiz regt sich jedoch Widerstand. Ein erweitertes Abkommen ohne Menschenrechtsklausel könnte in der Schweiz zu einem Referendum linker Parteien und Organisationen führen.

Wie sieht die Gesamtstrategie der Schweiz gegenüber China aus?

Im März 2021 hat die Schweizer Regierung ihre erste aussenpolitische China-Strategie für den Zeitraum 2021-2024 verabschiedet, mit der sie ihre Beziehungen zu Peking «kohärenter» gestalten will.

Die Strategie anerkennt China als wichtigen Partner der Schweizer Aussenpolitik und bietet einen Rahmen für die vielfältigen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.

Sie anerkennt aber auch die klaren Wertunterschiede zwischen den beiden Ländern. Die Strategie definiert Ziele und Massnahmen in den Bereichen Frieden und Menschenrechte, Wohlstand, Nachhaltigkeit und Digitalisierung.

Die aktuelle Strategie läuft Ende dieses Jahres aus und soll durch eine neue Vierjahrespolitik ersetzt werden, an der das Schweizer Aussendepartement derzeit arbeitet. Ob es dabei zu grösseren Änderungen oder gar zu einer neuen Doktrin kommen wird, ist noch offen.

Wie wägt die Schweiz Menschenrechte und Wirtschaftsinteressen gegeneinander ab?

Seit 1991 führt die Schweiz regelmässig bilaterale Menschenrechtsgespräche mit Peking.

Die schweizerisch-chinesischen Beziehungen seien ein «Balanceakt», räumte Aussenminister Ignazio Cassis 2021 gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) ein.

«Einerseits haben wir mit China schwierige Diskussionen über die Menschenrechte, andererseits ist das Land ein wichtiger Partner in wirtschaftlichen und anderen Fragen», sagte er.

Der Menschenrechtsdialog war ins Stocken geraten, nachdem die Schweiz 2018 eine UNO-Forderung nach Schliessung umstrittener Lager für Uigurinnen und Uiguren in der chinesischen Region Xinjiang unterstützt hatte. Die Gespräche wurden erst im Juli 2023 wieder aufgenommen.

Grafik: Schweizerisch-chinesische Beziehungen in der letzten Dekade
Kai Reusser / swissinfo.ch

Bei der Präsentation der China-Strategie 2021 sagte Cassis, die Schweiz werde sich kritischer zu den Menschenrechten äussern und damit einen Politikwechsel vollziehen.

Der chinesische Botschafter in der Schweiz, Wang Shihting, wies daraufhin jegliche Kritik der Schweiz an der Menschenrechtslage in dem asiatischen Land entschieden zurück.

Im Jahr 2022 weigerte sich die Schweiz, der Europäischen Union (EU) bei der Verhängung von Sanktionen gegen einzelne chinesische Personen und Unternehmen wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen gegenüber der uigurischen Bevölkerung zu folgen.

Die Schweiz hält auch an ihrer «Ein-China-Politik» fest, die diplomatische Beziehungen zu einem einzigen souveränen Staat vorsieht, der unter dem Namen China anerkannt wird.

Laut der Westschweizer Zeitung Le TempsExterner Link markiert der Besuch Lis in der Schweiz eine «Rückkehr zur Diplomatie auf höchster Ebene» zwischen den beiden Ländern nach einer vierjährigen Periode, die durch die Covid-19-Krise und ein gewisses «Unbehagen gegenüber der chinesischen Politik in Hongkong, Xinjiang oder gegenüber Taiwan» beeinträchtigt war.

Der letzte offizielle Besuch eines chinesischen Premierministers in der Schweiz fand im Mai 2013 statt, als Li Keqiang, der im Oktober 2023 verstarb, als erste europäische Destination einer Mehrländerreise zwei Tage in der Schweiz verbrachte.

Präsident Xi Jinping besuchte im Januar 2017 Bern, Genf und Davos (anlässlich des World Economic Forum).

Im April 2019 wurde Bundespräsident Ueli Maurer zum Abschluss eines einwöchigen Besuchs von Xi in China empfangen.

Die nächsten schweizerisch-chinesischen Gespräche werden diesen Sommer erwartet, wenn Ignazio Cassis und Guy Parmelin nach China reisen, berichtet Le TempsExterner Link.

Editiert von Mark Livingston, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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