Schweiz ist besorgt über Lage in Kolumbien
Die Ankündigung einer Gruppe der ehemaligen Farc-Guerilla, wieder zu den Waffen zu greifen, hat über Kolumbien hinaus auch Auswirkungen auf die internationale Gemeinschaft. Die Schweiz, die den Friedensprozess von Beginn an begleitet hat, zeigt sich besorgt. Kenner wundern sich aber kaum über den Verlauf des Post-Konflikts.
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) nahm die Ankündigung von Iván Márquez «mit Besorgnis» auf. Der ehemalige Farc-Chef hatte am 29. August gesagt, er werde den bewaffneten Kampf gegen den kolumbianischen Staat wieder aufnehmen. Dies wäre «offensichtlich ein Rückschritt» so das EDA auf Anfrage.
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Kolumbien: Krieg trotz Frieden
In einem Kontext, in dem die Stärkung des Friedensabkommens und des Dialogs «notwendiger denn je» sei, fordere die Schweiz die Parteien dazu auf, «auf jegliche Gewalt zu verzichten», so das EDA. Man anerkenne die bisher getane Arbeit zur Umsetzung des Abkommens, die blosse Umsetzung reiche aber nicht aus, «um einen dauerhaften Frieden zu gewährleisten».
Rund 13’000 Farc-Mitglieder waren insgesamt entwaffnet und demobilisiert worden. Die meisten blieben dabei: Nach Angaben des EDA sind rund 12’000 Ex-Guerillas auf dem Weg zurück ins zivile Leben.
«Zwei Züge in die gleiche Richtung»
Márquez kündigte die Rückkehr zu den Waffen in einem Video an. Eine solch öffentliche Stellungnahme sei neu, sagt der Genfer Professor Jean-Pierre Gontard, der als Mediator einst zwischen Regierung und Rebellen vermittelte. Doch die dem Video zugrundeliegende Lage der Dinge sei bereits spürbar gewesen.
Bei den Farc-Dissidenten handle es sich um «eine der verbleibenden Guerilla-Gruppen, die weiterhin in Kolumbien operieren und in diesem Land kein neues Phänomen sind».
Gontard kennt die Geschichte und Dynamik des Krieg-Frieden-Prozesses in dem südamerikanischen Land. Er kritisiert die Ankündigung von Márquez, Jesús Santrich und etwa zwanzig wiederbewaffneten Kadern. Doch auch das Lager um den ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe wolle das Friedensabkommen beenden.
«Sie sind wie zwei Züge, die in die gleiche Richtung fahren. Beide haben die gleiche Anzahl von Wagen wie zuvor, aber jetzt hupen sie laut. Die Erklärung vom 29. August gibt ihnen eine enorme Sichtbarkeit, aber ihre Bedeutung ist gering.»
Vielleicht ermögliche es diese neue Situation dem Land noch besser zu verstehen, dass es aufrichtige Menschen gebe und solche, die darauf wetten, dass der Krieg weitergehen wird, sagt Gontard.
«Keine Überraschung»
Für die in Kolumbien lebenden Menschen sei die Ankündigung der Dissidentengruppe keine Überraschung, sagt auch Beat Wehrle. Der Schweizer ist Koordinator für Lateinamerika bei Terre des Hommes Deutschland und lebt in Bogotá. «Es gab bereits Anzeichen dafür, dass etwas passieren wird.»
Obwohl alle von einem Post-Konflikt sprechen, handle es sich in Wirklichkeit um eine ungenügende Vereinbarung zwischen zwei bewaffneten Parteien, so Wehrle. Das Abkommen habe andere wichtige Akteure der kolumbianischen Gesellschaft wie Opfer, Frauen und Kinder nicht miteinbezogen.
Und viele der unbewaffneten Akteure, die nicht miteinbezogen wurden, litten heute am stärksten unter der Fortsetzung des Konflikts, sagt Wehrle. Betroffen seien insbesondere Anführer sozialer Bewegungen, die keiner Konfliktpartei angehörten.
Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht der lokalen Organisation IndepazExterner Link wurden zwischen Januar 2016 und Mai dieses Jahres 732 Anführer sozialer Bewegungen sowie 135 ehemalige Farc-Kämpfer ermordet.
«Die Farc-Dissidenten senden ein sehr schlechtes Signal für den bereits fragilen Friedensprozess aus.»
Beat Wehrle, Terre des Hommes, Bogotá
Zwar habe man nach der Unterzeichnung des Abkommens auch Zeichen der Friedensförderung beobachten können, sagt Wehrle. Aber in erster Linie sei habe sich der Konflikt neu aufgestellt – gekennzeichnet durch die Einhaltung des Abkommens durch die Farc und die auffallende Nichteinhaltung durch die amtende Regierung. Abgezeichnet habe sich dieser Verlauf schon während der letzten Monate unter dem vorangehenden Präsidenten.
Erschwerend kam hinzu, dass die von der Farc verlassenen Territorien nicht leer blieben, sondern in Abwesenheit des Staates und der öffentlichen Ordnung von anderen Akteuren besetzt wurden: von paramilitärischen kriminellen Banden, von Drogenhändlern oder von anderen bewaffneten Akteuren.
Frustration der Bürgerinnen und Bürger
Wie sehen die zukünftigen politischen Perspektiven aus? «Die Farc-Dissidenten senden ein sehr schlechtes Signal für den bereits fragilen Friedensprozess aus», sagt Wehrle. Und das zu einem ganz besonderen politischen Zeitpunkt; vor dem 27. Oktober.
An jendem Tag finden in Kolumbien Regionalwahlen statt. Gewählt werden Gouverneure in 32 Provinzen, Abgeordnete der Regionalparlamente, Bürgermeister in mehr als 1000 Gemeinden, Stadträte und Vertreter anderer lokaler Ämter.
Die Entscheidung der Dissidenten sei «ein schwerer Schlag» für die politische Partei, welche die ehemalige Guerilla gebildet hat. Sie stärke das kriegslüsterne Lager und dessen politischen Vorschläge. Und sie sei Ausdruck der Frustration, welche die kolumbianische Gesellschaft kennzeichne: Nicht nur, weil der Eindruck entstehe, dass man nie daraus lernt, sondern auch, weil die extreme Linke mit ihren Spielen die extreme Rechte stärke.
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«Die Schweiz wird ihren Beitrag in Kolumbien weiter leisten»
Schweiz hält an Friedensengagement fest
Im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit Kolumbien unterstützt die Schweiz Präventivmassnahmen, die darauf abzielen, die Risiken und die Verletzlichkeit der Bevölkerung «in Bezug auf das Fortbestehen oder die Gefahr eines Wiederauflebens bewaffneter Gewalt» zu mindern, wie das EDA sagt.
Das Engagement für den Frieden umfasst die Unterstützung der politischen Partizipation, die Achtung der Menschenrechte, die Vergangenheitsarbeit und die Beseitigung von Antipersonen-Minen.
Darüber hinaus fördere die Humanitäre Hilfe des Bundes die Registrierung schutzbedürftiger Menschen, damit diese ihre Rechte wahrnehmen können und ihr Zugang zur Grundversorgung vorangetrieben werden kann. Sie trägt auch zur Umsetzung der Beschlüsse über die Rückgabe von Land bei.
Die Schweiz ist in ständigem Kontakt zu Nichtregierungsorganisationen und internationalen Organisationen, sowohl in Bern und in Genf als auch in Kolumbien.
Mit Blick auf die 732 in den letzten drei Jahren ermordeten Anführer sozialer Bewegungen sagt das EDA, die Schweizer Behörden seien sich dieser Zahlen «voll bewusst und nehmen dieses Problem sehr ernst».
(Übertragung aus dem Spanischen: Kathrin Ammann)
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