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Die erste Reise führt – theoretisch – ins Nachbarland

Bundespräsidentin Leuthard begrüsst mit dem österreichischen Amtskollegen Alexander Van der Bellen die Delegation aus dem Nachbarland. Keystone

Sie sind topografisch ähnliche Kleinstaaten, Leichtgewichte auf der Weltbühne, und sie berufen sich beide – mehr oder weniger – auf ihre Neutralität: Die Schweiz und Österreich, Nachbarstaaten mit einer grundsätzlich freundschaftlichen Beziehung. Und einer vielbetonten Tradition, mit der es die beiden jedoch nicht immer so genau nehmen.

Bundespräsidentin Doris Leuthard hat ihren neuen österreichischen Amtskollegen Alexander Van der Bellen mit militärischen Ehren in Bern empfangen. Begleitet wird Van der Bellen während seines offiziellen Besuchs in der Schweiz von Österreichs Aussenminister Sebastian Kurz.

Lobende Worte

Leuthard und Van der Bellen haben die engen, «vertrauensvollen» Beziehungen zwischen der Schweiz und Österreich gelobt. In einer Welt geprägt von Konflikten und Unsicherheit sei der Austausch zwischen zwei «stabilen, neutralen Staaten» umso wichtiger, sagte Leuthard vor den Medien. «Die bilateralen Beziehungen sind bestens.» Er wünsche sich ein Verhältnis wie mit der Schweiz auch für andere Nachbarstaaten, fügte Van der Bellen an.

Der neue österreichische Präsident und die Bundespräsidentin sprachen denn auch mehr über die politische Grosswetterlage als über die bilateralen Beziehungen. Thema war etwa das Ausscheiden Grossbritanniens aus der EU, die Migrationssituation in Europa und die aktuelle Präsidentschaft Österreichs der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Auch die aktuelle Ski-Weltmeisterschaft in St. Moritz kam zur Sprache: «Wir gönnen den Schweizern jede Medaille», sagte Van der Bellen. Die Schweizer haben bisher mehr Medaillen geholt als die Österreicher. «Doch die WM ist noch nicht vorbei, wir sind hoffnungsvoll», fügte der Österreicher mit einem Schmunzeln an.

(sda)

Der Besuch in Bern sei das erste bilaterale Treffen des neuen österreichischen Bundespräsidenten, betont das Aussendepartement (EDA) in Bern. So will es die sogenannte «Erstbesuchstradition», die «Ausdruck der traditionell ausgezeichneten Beziehungen zwischen den beiden Ländern» sei.

Diesen Brauch pflegt die Schweiz nur mit ihrem Nachbarn Österreich. Ihren Ursprung hat die Tradition im Jahr 1946: Der damalige österreichische Bundeskanzler Leopold Figl wählte Bern als Ziel seiner ersten Auslandsreise – als Zeichen des Dankes für die grosszügige Schweizer Nachkriegshilfe.

Nützliche Beziehungen nach 1945

Gerade mit Blick auf die Nachkriegszeit waren die Beziehungen der beiden Länder besonders «eng und freundlich», wie Sacha Zala, Direktor des Instituts der Akademien der Wissenschaften Diplomatische Dokumente der SchweizExterner Link, und Geschichtsdozent an der Uni Bern, sagt. Im Kontext des Kalten Krieges seien diese Beziehungen für beide Staaten politisch bedenkenlos gewesen, da sie unter dem Zeichen «neutralisierter Kleinstaatlichkeit» zwischen den Blöcken standen.

Der Mythos, dass Österreich das erste Opfer der nationalsozialistischen Aggressionspolitik gewesen sei, habe es erleichtert, die Kriegsfrage zu überwinden, so Zala. Auf der anderen Seite sah sich die neutrale Schweiz nach Kriegsende mit massiver Kritik konfrontiert und stand international isoliert da. «So entdeckten beide Nachbarn den gegenseitigen Nutzen.»

Nach 1946 führten die Schweiz und Österreich die Tradition der gegenseitigen Erstbesuche weiter, wenn auch nicht lückenlos. Auch wurde sie auf Bundespräsidentenebene kaum gepflegt, wie Florian Keller, Leiter des Europazentrums an der ZHAWExterner Link, relativiert. Ihre Bedeutung ist eher symbolisch freundschaftlicher Natur. Sie bezieht sich ausserdem nur auf die bilateralen und nicht auf die multilateralen Beziehungen der Länder.

EU-Beitritt ändert Ausgangslage

Tatsächlich reiste Van der Bellen anfangs Woche zuerst nach Brüssel und traf dort mehrere EU-Vertreter zu Gesprächen. Österreich trat der EU 1994 bei. Ab da gingen die Nachbarländer in Europa getrennte Wege. Die Politik der Neutralität, der sich Österreich 1955 verschrieben hatte, verlor an Bedeutung. Auch sie hatte eine gemeinsame Grundlage für die gegenseitigen Beziehungen geliefert. Die beiden Länder standen deswegen aber auch in Konkurrenz, wie Historiker Zala sagt. Insbesondere bei der Frage des Sitzes von internationalen Organisationen, wo Wien – zum Missfallen der Schweiz – in Konkurrenz zu Genf trat.

Schweiz als Vorbild

Der ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen hat erst Ende Januar seinen Amtseid zum Bundespräsidenten abgelegt. In einem monatelangen Wahlkampf gegen Norbert Hofer von der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei (FPÖ) hatte sich Van der Bellen als Fan der Schweiz gezeigt. Er stelle sich das Europa der Zukunft als «Europäische EidgenossenschaftExterner Link» nach Schweizer Vorbild vor, sagte er.

Links:

Dipl. Dokumente der Schweiz 1848-1975: polit. Beziehungen Schweiz-ÖsterreichExterner Link

Aussendepartement EDA zu den bilateralen Beziehungen Schweiz-ÖsterreichExterner Link

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