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Das Schweizer Aussenministerium finanziert seinen eigenen UNO-«Watchdog»

Ignazio Cassis stimmt ab über den Sicherheitsratssitz der Schweiz
Im Juni 2022 hat Aussenminister Ignazio Cassis seine Stimme für den UNO-Sicherheitsratssitz der Schweiz gestimmt. Links neben ihm sitzt die Schweizer UNO-Botschafterin Pascale Baeriswyl. © Keystone / Alessandro Della Valle

Die Schweiz will die Stimme der Zivilgesellschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen berücksichtigen. Ein kritisches Netzwerk bekommt Geld direkt vom Staat – und auf der Mitgliederliste ist das Aussendepartement auch noch.

Das Netzwerk Multilateralismus tritt engagiert auf. «Wir erwarten, dass die Schweiz eine aktive und ambitionierte Politik im Sinn der UNO-Charta beziehungsweise ausgehend von Artikel 54 der Bundesverfassung verfolgt», schreibt es diesen Monat in einer Medienmitteilung.

Im Artikel 54 der Bundesverfassung heisst es: Die Schweizer Aussenpolitik setze sich ein für «Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.» 

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Das Aussendepartement ist mit dabei

Bei diesem Netzwerk fürchtet man anscheinend, dass diese hehren Ziele bei den Behörden zu sehr ins Hintertreffen geraten. Das Netzwerk Multilateralismus werde diese «aus der Bevölkerung heraus konstruktiv, aber auch kritisch unterstützen».

Man werde das Bewusstsein für die UNO in der Öffentlichkeit fördern «und gegebenenfalls die Rolle eines Watchdogs wahrnehmen».

Interessant: Die Behörden sind mit dabei beim Netzwerk Multilateralismus. Unter den 40 öffentlich gelisteten Mitgliedern findet sich auch das Schweizer Aussendepartement EDA.

Es ist eine bemerkenswerte Kreiskonstellation: Das EDA ist selbst Teil seines eigenen Watchdogs.

Demokratische Legitimation im Sicherheitsrat

Die Schweiz ist das Land mit den weltweit meisten Volksabstimmungen. Kein Wunder, dass es bei dieser Demokratietradition viele gesellschaftliche Instanzen gibt, die mitreden wollen, wenn es darum geht, wie sich die Schweiz im UNO-Sicherheitsrat positioniert. Mitglied des Sicherheitsrats ist die Schweiz seit Anfang Jahr, erstmals in ihrer Geschichte.

Dort werden Entscheidungen schnell getroffen. Häufig geht es um Nuancen, um Positionsnahmen, die – anders als sonst meist in der Politik – nicht schwarz auf weiss in juristischer Sprache festgehalten werden. In diesen sogenannten soft politics ist es eine Herausforderung, Positionen demokratisch abzustützen.

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Das Schweizer Parlament diskutiert seit Jahren, wie zumindest die zuständige Kommission möglichst eingebunden werden kann. Und auch die sogenannte Zivilgesellschaft möchte gehört werden: Nichtregierungsorganisationen, Wirtschaftsverbände, Aktivistengruppen, Wissenschaftler:innen.

Organisationen, wie sie sich eben im Netzwerk Multilateralismus auch zusammengeschlossen haben, das findet, «insbesondere Nichtregierungsorganisationen und die Wissenschaft» sollen sich einbringen.

Dieses Netzwerk wurde 2018 ins Leben gerufen. «Das Netzwerk Multilateralismus ist auf Initiative der Gesellschaft Schweiz-UNO entstanden», sagt Maria Isabelle Wieser. Wieser ist Direktorin der Gesellschaft Schweiz-UNO und französischsprachige Kontaktperson unter der Medienmitteilung des Netzwerks in Personalunion.

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Wieser beschreibt das Netzwerk als Plattform für Austausch mit breiter Basis von «öffentlicher Verwaltung» bis zum «Privatsektor». Da das Netzwerk so breit abgestützt ist, habe es eine gute Grundlage «um auf objektive Weise die Arbeit der Schweiz im Sicherheitsrat begleiten zu können».

«Als Plattform ist das Netzwerk Multilateralismus aber neutral», so Wieser. Wieser besteht darauf, dass die Stellungnahme nicht «von der Gesellschaft Schweiz-UNO» kommt, sondern «von einigen Netzwerkmitgliedern». Die engagierte Medienmitteilung sei nur «im Namen der signierenden Organisationen lanciert». 

Im Widerspruch dazu steht unter der Medienmitteilung: «Im Namen des Netzwerks Multilateralismus».  

Das EDA finanziert das Netzwerk Multilateralismus

Das Aussendepartement EDA begrüsse «aber die konstruktive Kritik» gemäss Wieser ohnehin. Deshalb bestehe für die Gesellschaft Schweiz-UNO kein Risiko, dass das EDA den Geldhahn zudreht.

Das Schweizer Aussendepartement EDA ist nämlich nicht nur selbst Mitglied des Netzwerk, sondern auch ein wichtiger Geldgeber: Das Gesamtbudget der Gesellschaft Schweiz-UNO betrug 2022 etwa 200’000 Franken. Das Geld stamme, laut Wieser, vor allem aus Projektbeiträgen.

Das Aussendepartement teilt wiederum mit, es zahle der Gesellschaft Schweiz-UNO einen jährlichen Kernbeitrag von 50’000 Franken. Weitere Projektbeiträge seien möglich. Somit sorgte das EDA im vergangenen Jahr also für mindestens einen Viertel der Mittel der Gesellschaft Schweiz-UNO. Valentin Clivaz vom EDA erklärt: «Die Gelder fliessen in den Erhalt der Geschäftsstelle, die Kommunikation, Teilnahme an Konferenzen und die Entwicklung des Netzwerks, das bereits seit 2018 besteht und unabhängig vom UNO-Sicherheitsrat geschaffen wurde.»

«Diverse Akteure» sollen Bundesrat auf die Finger schauen

Wie denkt man in der Politik darüber, dass das Aussendepartement seine Kritiker:innen finanziert? Thomas Minder ist Ständerat, parteilos und in der SVP-Fraktion. Der Aussenpolitiker findet: «Watchdogs sind natürlich ganz grundsätzlich besser rein privat denn staatlich finanziert, was ihre Unabhängigkeit tendenziell erhöht.»

Es schade aber nicht, wenn «diverse Akteure mit unterschiedlichem Fokus» dem Bundesrat, der Sicherheitsratsdelegation und Botschafterin Pascale Baeriswyl «speziell auf die Finger» schauen. Dem Parlament fehlen, so Minder dazu die Kapazitäten: «Das können die Parlamentarier alleine gar nicht leisten. Selbst in den entsprechenden Kommissionen, in denen ich einsitze, ist das Thema Uno-Sicherheitsrat ein Traktandum unter Dutzenden.»

Thomas Minder blickt in die Kamera.
Der Schaffhauser Ständerat Thomas Minder an einer Parlamentssitzung 2022. © Keystone / Peter Klaunzer

Minder hat mehrere Motionen im Schweizer Parlament eingebracht, die mehr demokratische Mitsprache beim Verhalten der Schweiz im Sicherheitsrat verlangten. So forderte er etwa, dass das Parlament über die Position der Schweiz abstimmt, falls der Sicherheitsrat über eine «militärische Intervention» entscheidet. Doch Minders Motionen erhielten keine Mehrheit.

Dass das Netzwerk Multilateralismus das Verhalten der Schweiz im Sicherheitsrat massgeblich prägt, glaubt Minder nicht. «Es gibt dutzende Akteure und Lobbys in diesem Bereich.»

Austausch mit Zivilgesellschaft ist Teil des Mandats

Das Anhören solcher Akteure ist programmatisch für die Schweiz im Sicherheitsrat. «Der Austausch mit der Zivilgesellschaft ist Teil des Mandats der UNO-Abteilung des EDA», erklärt Clivaz vom Aussendepartement. Dieser Austausch trägt den Namen «strukturierter Dialog». Gegenwärtig seien «rund 70 Organisationen» auf der Einladungsliste des EDA. Alle haben besonderes Fachwissen, beispielsweise in der Gleichstellung der Geschlechter oder im Schutz der Zivilbevölkerung.

Bereits in der letzten Phase der Kandidatur der Schweiz für den UNO-Sicherheitsrat fanden «mehrmals pro Jahr» Sitzungen statt, wo die «Organisationen» über die «Vorbereitungsarbeiten für den Einsitz informiert wurden», führt Clivaz aus. An diesen Treffen, die nun fortgesetzt werden sollen, haben «die Teilnehmenden auch die Gelegenheit, ihre Anliegen einzubringen».

Kaspar Villiger in der UNO
Vor gut 20 Jahren beigetreten, jetzt auch im Sicherheitsrat: Erst 2002 ist die Schweiz 190. Mitglied der Vereinten Nationen geworden. Auf dem Bild hält der damalige Bundespräsident Kaspar Villiger die erste Rede in der UNO-Generalversammlung. Keystone / Stephen Chernin

Wie findet die Abgrenzung zwischen dem Aussendepartement und dem «Watchdog»-Netzwerk statt, wo das EDA selbst Mitglied ist? Clivaz führt aus: «Das EDA steht dem Netzwerk auf Anfrage für Informationen und den Austausch zur Verfügung, greift aber nicht in die Aktivitäten der Gesellschaft Schweiz UNO bzw. des Netzwerks Multilateralismus ein.» Gleichzeitig seien «die Erfahrungen und das Fachwissen der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft für die Mitgliedschaft der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat wichtig.»

Den Austausch im «strukturierten Dialog» beschränkt das Aussendepartement nicht auf einen exklusiven Club: «Interessierte Organisationen können sich bei sts.uno@eda.admin.ch melden.»

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