Schweiz spielt in neuer russischer Revolution mit
Schweizer Hilfe für Russlands Wirtschaft: Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann hat mit seiner russischen Amtskollegin Elvira Nabiullina eine Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit bei der wirtschaftlichen Modernisierung unterzeichnet.
Die Erklärung konkretisiert einen bereits existierenden Aktionsplan, der im vergangenen Jahr auf das Jahr 2013 ausgedehnt worden war. Der Plan bietet der Schweiz an, mit ihrem industriellen und Forschungs-Fachwissen den Prozess der Verbesserung der russischen Infrastruktur und Wirtschaft zu unterstützen.
Nach der Unterzeichnungs-Zeremonie, der am Mittwoch auch Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey und der russische Präsident Dimitri Medwedew beiwohnten, sagte Schneider-Ammann, es liege nun an Schweizer Unternehmen, Partner zu finden, um in den russischen Markt zu gelangen. Der Schweizer Wirtschaftsminister betonte, eine solche Kooperation würde zur Erhaltung von Arbeitsplätzen in der Schweiz beitragen.
«Ich bin sicher, dass die Schweiz mit ihrer modernen Wirtschaftsstruktur, ihrem Know-how in innovativen Hochtechnologie-Produkten ein interessanter Partner sein kann für Russland in dessen ambitiösem Modernisierungsprozess», hatte Schneider-Ammann am Montag vor der russischen Industrie- und Handelskammer in Moskau erklärt.
Die Ziele der Schweiz
Die Schweiz will sich in Russland auf die Zusammenarbeit bei Wirtschaftsreformen konzentrieren, ohne sich dabei politisch einzumischen. Konkret geht es um Dinge wie Besuche von Handelsdelegationen oder die Teilnahme des Zürcher Technoparks sowie der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) am Bau des Skolkovo High-Tech-Industrieparks nahe bei Moskau.
Die Schweiz möchte Russland auch behilflich sein für einen Beitritt in die Welthandels-Organisation (WTO). Moskau und die WTO verhandeln schon seit 20 Jahren über den Beitritt, ohne dass ein baldiger Abschluss in Sicht wäre.
Schneider-Ammann erklärte in Moskau, die Aussenwirtschaftsstrategie der Schweiz sei multilateral ausgerichtet und fördere deshalb international anerkannte Handelsregeln und «die Integration einer grösstmöglichen Anzahl Länder in die globale Wirtschaft».
Die Verhandlungen über einen WTO-Beitritt Russlands verlaufen teilweise wegen der protektionistischen Massnahmen Moskaus zugunsten der einheimischen Industrie derart zähflüssig. Wenn es hier zu Reformen käme, würde das Schweizer Unternehmen den Eintritt in den russischen Markt erleichtern.
Ein solcher Schritt würde auch den Abschluss eines Freihandelsabkommens erleichtern, das derzeit verhandelt wird zwischen der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta), welcher die Schweiz angehört, und der Zollunion Russland-Weissrussland-Kasachstan.
Das Freihandelsabkommen und ein WTO-Beitritt Russlands sind deshalb eng verbunden, obwohl das eine nicht vom anderen abhängt.
Russische Unterstützung
Der Schweizer Wirtschaftsminister will in Moskau aber auch die Interessen der Schweiz auf internationalem Parkett verteidigen. «Wir denken, dass die Schweiz ein Mitglied der G20 werden oder zumindest an den Vorbereitungsgesprächen teilnehmen sollte», sagte er. Auf Einladung des G20-Vorsitzenden Frankreich sei dies ja schon einmal möglich gewesen. Russland übernimmt im Jahr 2013 den G20-Vorsitz.
Die Schweiz hofft zudem, in Moskau auf offene Ohren für ihr Anliegen, den Erhalt ihres Sitzes im Internationalen Währungsfonds (IWF), zu stossen. In den Augen Schneider-Ammanns vertritt die Schweiz «eine wichtige Gruppe für Russland». Es sei wichtig, dass die Schweiz nun klar mache, dass sie ihren Sitz unbedingt behalten wolle.
Diese Fragen sind für die Schweiz so wichtig, dass Bundespräsidentin und Aussenministerin Calmy-Rey ihren Bundesratskollegen Schneider-Ammann auf seinem Russland-Besuch begleitet und auch mit Präsident Medwedew Gespräche führt.
Reformprogramm
Unter Medwedews Präsidentschaft hat Russland ein gewichtiges Reformprogramm zur Verbesserung seiner Energieinfrastruktur begonnen, die weniger von Öl und Gas abhängig werden soll. Zudem sollen auch politische Reformen zur Stärkung der Demokratie eingeführt werden. Dabei soll der staatliche Einfluss auf die Wirtschaft eingeschränkt werden.
Das geplante Reformprogramm wird aber sowohl in Russland selber wie auch im Ausland mit Skepsis betrachtet, weil es von der verwurzelten politischen Elite einen Verlust an Macht und des damit generierten Reichtums erfordert.
«Der Einfluss der Regierung auf die Wirtschaft ist in den letzten zehn Jahren dramatisch gewachsen», sagt Wladimir Kuznetsow, Schlüsselfigur in der russisch kontrollierten Renova-Gruppe und Vorstandsmitglied bei Sulzer, gegenüber swissinfo.ch.
«Erst jetzt begreift man an der Spitze des russischen Politestablishments, dass diese Entwicklung kontraproduktiv ist für Effizienz, Öffnung der Wirtschaft und Bekämpfung der Korruption. Tatsache ist, dass eine Einschränkung des Einflusses der Regierung auf die Wirtschaft nicht über Nacht geschehen kann, weil es sich hier um eine grosse Maschinerie mit eniem Eigenleben handelt.»
Nach Gesprächen mit russischen Regierungsmitgliedern in Moskau sagte auch Wirtschaftsminister Schneider-Ammann, Reformen in dem Land seien keine einfache Angelegenheit. «Die Minister, die ich getroffen habe, sind sich des Problems bewusst», sagte er während seines Besuches, der am Mittwoch zu Ende ging. «Aber die Lösungen dieser Probleme werden in einem langen Prozess erfolgen.»
10.-13. Juli: Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann besuchte Russland an der Spitze einer 20-köpfigen Schweizer Wirtschaftsdelegation.
Am Montag sprach er mit dem stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten Alexander Zkukow sowie Industrie- und Handelsminister Viktor Khristenko.
Gesprächsthemen: Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen, Russlands Bemühungen um einen WTO-Beitritt und eine mögliche Schweizer Vertretung oder Mitgliedschaft in der G20.
Am Dienstag unterhielt sich Schneider-Ammann mit dem russischen Minister für Sport, Tourismus und Jugend, Vitaly Mutko, über Schweizer Geschäftsinteressen an den Olympischen Winterspielen 2014 und der Fussball-Weltmeisterschaft 2018, die beide in Russland stattfinden.
Ebenfalls am Dienstag bat der Schweizer Wirtschaftsminister seine russische Amtskollegin Elvira Nabiullina um Unterstützung für den Erhalt des Schweizer Sitzes im Internationalen Währungsfonds (IWF).
Am Mittwoch schloss sich Bundespräsidentin und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ihrem Bundesratskollegen an für die Einweihung einer neuen Holcim-Fabrik in Kolomna. Begleitet wurden sie von Russlands Präsident Dmitri Medwedew.
Schneider-Ammann und Nabiullina unterzeichneten eine Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit bei der wirtschaftlichen Modernisierung Russlands.
Nach der jüngsten Finanzkrise von 2008, die Russland hart getroffen hat, nahm der Handel zwischen der Schweiz und Russland zu.
Die Exporte aus der Schweiz nach Russland erhöhten sich 2010 um 26% auf 2,6 Mrd. Franken. Die Importe aus Russland in die Schweiz beliefen sich im selben Zeitraum auf 1 Mrd. Franken (+41%).
Die Schweizer Direktinvestitionen in Russland lagen Ende 2009 bei 6,2 Mrd. Franken; im selben Zeitraum beschäftigten Schweizer Firmen in Russland 75’000 Angestellte.
Als Mitglied der Europäischen Freihandels-Assoziation ist die Schweiz an den Verhandlungen für ein Freihandels-Abkommen mit der Zollunion Russland, Weissrussland, Kasachstan beteiligt.
Ein dreijähriger Aktionsplan zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Russland war 2010 um drei Jahre bis Ende 2013 verlängert und ausgeweitet worden.
(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud
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