Schweiz vermittelt Beitritt Russlands zur WTO
Dank der Guten Dienste Berns gelangten Russland und Georgien am Donnerstag zu einer Übereinkunft, die Moskau den Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) ermöglicht. Gegenüber swissinfo.ch erläutert Kaukasus-Experte Eric Hoesli die Tragweite des Abkommens.
swissinfo.ch: Moskau hat schlussendlich die Bedingungen Georgiens akzeptiert, damit dieses auf sein Veto gegen das Beitrittsgesuchs Russlands zur WTO verzichtete. Damit wird der Beitritt im Dezember garantiert. Wie wichtig ist dieses Abkommen und welches sind seine unmittelbaren Auswirkungen?
Eric Hoesli: Aus westlicher Sicht ist dieses Abkommen äusserst wichtig; denn Russland ist die einzige Wirtschaftsmacht, die noch nicht Mitglied ist. Wegen des Potentials der russischen Wirtschaft wird sich dies auf die Handelsintegration auf Weltebene positiv auswirken.
Andererseits ist es ein anderer Weg der politischen Annäherung zwischen Russland und dem Westen und ganz konkret zwischen Russland und den USA. Von der Regierung Barack Obamas haben sich die beiden Länder distanziert.
Man muss darauf hinweisen, dass Russland und die USA 2010 einen Vertrag unterzeichnet haben, der denjenigen zum Abbau strategischer Waffen (START) ersetzte. Beide Seiten verpflichteten sich auf den Abbau des Atomarsenals um ein Drittel und fanden auf diesem Gebiet zum Dialog zurück.
Der Beitritt Russlands zur WTO fördert diese Annäherungsversuche. Ohne die Verdienste der schweizerischen Vermittlung schmälern zu wollen, ist es eine Tatsache, dass das Abkommen zum Grossteil der Druckausübung der USA auf Georgien zu verdanken ist.
swissinfo.ch: Georgien machte Russland eine Konzession, die für den Beitritt unumgänglich war. Doch Georgien benötigt für einen möglichen Beitritt zur NATO auch die Zustimmung Russlands. Ging es hier um einen Austausch von Gefälligkeiten? Werden sich die bilateralen Beziehungen mit diesem Abkommen verbessern?
E.H.: Das nehme ich nicht an, denn das Grundkonflikt besteht weiterhin.
Zusammenfassend und etwas karikaturistisch könnte man sagen, dass Russland es nicht zulassen wird, dass ein Nachbarstaat, in diesem Fall Georgien, volle Souveränität geniesst. Noch weniger wird es akzeptieren, dass sich Georgien eine Hauptrolle anmasst oder wagt, sich einem Militärbündnis wie der NATO anzuschliessen.
Umgekehrt macht es sich Georgien schwer, zu akzeptieren, dass es ein kleines Land ist, das mit einer militärischen und wirtschaftlichen Supermacht koexistieren muss. Es kann sich eine Politik der ständigen Aggression gegenüber Russland schlichtweg nicht leisten. Das ist eine Voraussetzung, die für die Schweiz in den Beziehungen zu Deutschland sehr eindeutig ist.
Der Konflikt wird sich schwerlich in Richtung einer Versöhnung entwickeln, da beide Seiten auf ihren Grundpositionen beharren. Doch Georgien hat Moskau nicht nur einen Dienst erwiesen und nachgegeben, sondern der Beitritt Russlands wird auch Tiflis zugutekommen.
Meines Erachtens bedeutet dies aber nicht, für einen Beitritt zur NATO um Gefälligkeiten zu bitten. Dies benötigte vollständig unabhängige Verhandlungen.
swissinfo.ch: Mit welchen unmittelbaren Handelsvorteilen kann Georgien rechnen?
E.H.: Seit zwei Jahren boykottiert Moskau den Export Georgiens nach Russland, z.B. von Mineralwasser und Wein. Als Bedingung für den Verzicht auf sein Veto verlangte Tiflis die Beendigung des Handelsboykotts, denn Russland ist sein wichtigster Exportmarkt.
swissinfo.ch: Der russische Chefunterhändler Maxim Medwedkov gab die Forderungen der Regierung Georgiens an Moskau bekannt. Im Wesentlichen geht es darum, dass eine unabhängige Privatfirma den Handelsaustausch zwischen den beiden Ländern überwacht, also die Rolle eines Zollvermittlers zwischen Russen und Georgiern spielt. Kann diese Lösung Erfolg haben?
E.H.: Zuerst müssen wir dem Ursprung des Konflikts im Zusammenhang mit dem Geltungsbereich der WTO auf den Grund gehen. Zwei Regionen Georgiens, nämlich Abchasien und Süd-Ossetien, erklärten ihre Unabhängigkeit, die von Russland, aber nicht von Georgien anerkannt wurde. Folglich sind für die beiden Konfliktparteien die Grenzen nicht dieselben.
Wie sollte man es in dieser Situation bewerkstelligen, dass russische und georgische Zollbeamten einen flüssigen Handelsaustausch gewährleisten könnten? Das wäre mehr als schwierig.
Ein Vermittler ist somit eine gute Lösung, da er neutral ist. Die Aufgabe einem Drittstaat zu übertragen, wäre ebenfalls heikel. Eine Privatfirma wie die Société Générale de Surveillance wäre somit eine gute Alternative.
swissinfo.ch: Was schaut nach dieser erfolgreichen Vermittlung auf politischer und diplomatischer Ebene für die Schweiz heraus?
E.H.: Ich bewundere die Fähigkeiten der Schweizer Diplomaten im vorliegenden Fall. Das Ergebnis ist bahnbrechend und wirksam und stellt das Vorstellungsvermögen und die Fähigkeiten der Schweiz bei der Vermittlung in internationalen Konflikten unter Beweis.
Kurz, wir sind auf den Markt internationaler Verhandlungen zurückgekehrt, wo wir von anderen Ländern wie Norwegen verdrängt wurden.
swissinfo.ch: Worin bestanden die Vorteile für Russland und Georgien, dass die Schweiz und nicht ein anderes Land die Vermittlerrolle übernommen hat?
E.H.: Dass die Schweiz nach wie vor neutral ist. Vor allem für Russland ist es äusserst nützlich, dass die Schweiz keinem militärischen und politischen Bündnis wie der EU angehört. Dies erleichtert den Dialog und den Interessenausgleich.
Die Zustimmung Georgiens war die letzte Hürde, die Russland überwinden musste, um von den 153 Mitgliedstaaten in die WTO aufgenommen zu werden. Die erlangte Übereinkunft garantiert, dass Russlands Beitritt an der Ministersitzung vom 15. Dezember in Genf offizialisiert wird.
In den vergangenen Jahren spielte die Schweiz eine wichtige Rolle im Konflikt zwischen den beiden Staaten. Seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Moskau und Tiflis (2008) vertritt die Schweiz deren diplomatische Interessen.
2011 übernahm die Schweiz die Vermittlung im bilateralen Konflikt. Das erfolgreiche Ende der Verhandlungen wirkt sich nicht nur positiv auf die betroffenen Staaten aus, sondern führt auch zu einer Annäherung der Positionen Russlands und des Westens.
Moskau bestätigte am 3.11. 2011, dass es dank der Guten Dienste der Schweiz die Bedingungen Georgiens angenommen habe, damit dieses sein Veto gegen das Beitrittsgesuch Russlands zur Welthandelsorganisation (WTO) zurückziehe.
Anfangs Woche liess Tiflis durchblicken, dass ein Abkommen bevorstehe. Der russische Chefunterhändler Maxim Medwedkov bestätigte gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Interfax, Moskau habe die Unterstützung seines Beitrittgesuchs durch Georgien mit Zufriedenheit zur Kenntnis genommen.
Als Vollmitglied der WTO blockierte Georgien den Beitritt Russlands.
Medwedkov bestätigte, Tiflis habe von Moskau verlangt, dass eine unabhängige Privatfirma den Handelsaustausch zwischen den beiden Ländern überwache.
Eric Hoesli wurde 1957 im Kanton Waadt geboren.
An der Universität in Lausanne studierte er Rechts-Wissenschaften und absolvierte in Genf ein Nachdiplomstudium in Entwicklung.
Er arbeitete für verschiedene Zeitungen der französisch-sprachigen Schweiz.
Gegenwärtig ist er Publikationschef der Gruppe Edipresse.
Während des Tschetschenien-Kriegs arbeitete er als Berichterstatter vor Ort.
2006 veröffentlichte er seine geoplitische Studie über den Kaukasus unter dem Titel «A la conquête du Caucase , Epopée géoplitique et guerre d´influence» (Die Eroberung des Kaukasus)
(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)
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