«Für die Schweiz gibt es in Westafrika viele interessante Chancen»
Einige Monate nach seinem Amtsantritt hat swissinfo.ch den neuen Schweizer Botschafter im Senegal, Andrea Semadeni, in Dakar zu einem Interview getroffen. Bildung, Wirtschaft, Umwelt, Klima... es gebe zahlreiche gemeinsame Interessen, unterstreicht der Kenner der Region.
Das Jahr 2021 war geprägt von Appellen der Schweiz an den afrikanischen Kontinent. Mitglieder der Regierung besuchten verschiedene Länder der Region. Vor allem aber wurde im Januar eine spezifische Strategie für Subsahara-AfrikaExterner Link präsentiert: Ein Dokument, das die «Bedeutung Afrikas» unterstreicht und neun «wirtschaftlich starke Löwinnen» identifiziert, das heisst, Länder mit grossem Potenzial, die Bern als prioritär einstuft.
Zu diesen Ländern gehört auch Senegal, ein Staat, mit dem die Eidgenossenschaft sehr gute Beziehungen unterhält und in dem sich laut Andrea Semadeni zahlreiche Chancen bieten. Der Bündner trat im Juli die Nachfolge von Botschafterin Marion Weichelt Krupskile an der Spitze der Schweizer Botschaft im Senegal an, die auch für Mali, Mauretanien, Gambia, Guinea-Bissau und die Kapverden zuständig ist.
SWI swissinfo.ch: Andrea Semadeni, wie gefällt Ihnen Ihre neue Stelle in Dakar?
Andrea Semadeni: Senegal ist ein Land, das ich noch nicht sehr gut kenne, in das ich aber kommen wollte. Es hat eine demokratische Tradition – und ist neben Kap Verde eines der zwei einzigen Länder Afrikas, in denen es seit der Unabhängigkeit keinen gewaltsamen Putsch gegeben hat.
Das Mandat der Botschaft ist weit gesteckt, denn es umfasst sechs Länder (Senegal, Kap Verde, Gambia, Guinea-Bissau, Mali und Mauretanien) und eine Vielzahl von Themen, für deren Bearbeitung die Botschaft auf 25 Personen zählen kann. Ein besonderes Augenmerk gilt Mali, einem Land, das sich in einem Konflikt befindet und vor vielfältigen Herausforderungen steht. Die Schweiz ist über ein Kooperationsbüro vor Ort präsent, die politischen Fragen fallen aber in meinen Zuständigkeitsbereich.
Wie würden Sie die Beziehungen zwischen Senegal und der Schweiz bezeichnen?
Ich würde sagen, sie sind ausgezeichnet. Obwohl das Schweizer Entwicklungshilfeprogramm für Senegal 2010 eingestellt wurde, sind wir weiterhin präsent und in verschiedenen Bereichen aktiv. Ich treffe noch mehrere Minister, vor allem jene für Wirtschaft, Berufsbildung und Wasser und stelle fest, dass die Dynamik sehr positiv ist und wir verschiedene Themen gleichzeitig vorantreiben können.
Die Schweiz und Senegal führten in letzter Zeit einen politischen Austausch auf hoher Ebene. Im Februar besuchte Bundesrat Ignazio Cassis das LandExterner Link, im Juli dann Bundesrätin Simonetta Sommaruga, um ein Abkommen zur Umsetzung von Projekten zur Eindämmung des KlimawandelsExterner Link zu unterzeichnen, in Einklang mit dem Pariser Abkommen. Im September traf Bundespräsident Guy Parmelin den Präsidenten Senegals, Macky Sall, im Rahmen des UNO-Gipfels für nachhaltige ErnährungExterner Link in New York. Und Ignazio Cassis wird – dann in seiner Funktion als neuer Bundespräsident – im März 2022 für das WeltwasserforumExterner Link nach Dakar zurückkehren; ein Bereich, in dem wir sehr aktiv sind.
Andrea Semadeni trat 1994 in das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ein und begann seine Laufbahn mit einem Praktikum in Bern und Abidjan (Elfenbeinküste).
1996 war der Bündner diplomatischer Mitarbeiter in Bern bei der Abteilung Frieden und Menschenrechte (AFM). 1998 wurde er nach Kenia versetzt, wo er für Friedensfragen im Südsudan, in Somalia und in der Region der Grossen Seen zuständig war.
Ab 2002 bei der Ständigen Mission der Schweiz bei den Vereinten Nationen in New York deckte Andrea Semadeni die Afrika-Agenda des Sicherheitsrats ab.
Zwischen 2006 und 2009 leitete der Diplomat das Schweizer Vertretungsbüro bei der Palästinensischen Behörde in Ramallah.
2009 wurde Semadeni zum Botschafter und Sonderbeauftragten für den Sudan und das Horn von Afrika ernannt, wobei er erneut in die Abteilung Frieden und Menschenrechte in Bern integriert wurde.
Von 2010 bis 2013 war er Botschafter in Ghana, wo er auch für Togo und Benin zuständig war.
Von 2013 bis 2017 leitete er die Schweizer Botschaft in Äthiopien, die sich auch mit Dschibuti, dem Südsudan und der Afrikanischen Union befasst.
Von Oktober 2017 bis Juli 2021 stand Semadeni an der Spitze der Schweizer Botschaft in Brasilien.
Gibt es einen bestimmten Bereich, in dem die Schweiz Senegal helfen kann?
Die Schweiz stellt Senegal ihr Fachwissen zur Verfügung und unterstützt das Land im Rahmen ihrer Strategie der internationalen Zusammenarbeit bei der Einführung der dualen BerufsbildungExterner Link. Die Regierung Senegals hat grosses Interesse am Schweizer Modell des Lehrlingsausbildungssystems, das eine schnelle Anpassung der Ausbildung an die Bedürfnisse der Wirtschaft ermöglicht. In den frankophonen Ländern Westafrikas wird die akademische Ausbildung generell höher geschätzt als die berufliche Lehrausbildung. Dieses System ist jedoch nicht an die Bedürfnisse des Marktes angepasst, da es etliche Personen mit akademischen Titeln hervorbringt, die keine Arbeit finden.
2015 wurde in Dakar ein Pilotprojekt in Partnerschaft mit zwei Hotels gestartet. Wir unterstützten sie bei zwei Berufsausbildungen – Service-Fachkraft und Koch/Köchin – und es funktionierte: Alle Absolvent:innen fanden einen Job. Nächstes Jahr soll das Projekt auf weitere Berufe ausgeweitet werden, indem wir uns in das Arbeitsförderungsprogramm Senegals eingliedern.
Rencontre entre l’Ambassadeur de Suisse et S.E. @DameDIO31674044Externer Link, Ministre de l’emploi et de la formation professionnelle. Nos deux pays travaillent à l’instauration d’un modèle de formation dual au Sénégal avec la @giz_gmbhExterner Link et #LuxDevExterner Link pic.twitter.com/ZM3C9ZBhhRExterner Link
— Ambassade de Suisse au Sénégal (@SuisseSenegal) November 22, 2021Externer Link
Ist die Strategie für Subsahara-Afrika Ausdruck für den Willen Berns, die Beziehungen zu diesem Kontinent zu stärken?
Es handelt sich um einen wichtigen Schritt, es ist die erste Afrika-Strategie der Regierung. Sie gibt einen roten Faden für die Prioritäten der Schweiz in Subsahara-Afrika vor und reflektiert den Willen von Bundesrat Cassis, die Tätigkeit des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) besser zu strukturieren: Eine auf eine Weltregion fokussierte Strategie erlaubt ein kohärenteres Vorgehen in dieser Region.
In der Strategie werden vier westafrikanische Länder – Senegal, Elfenbeinküste, Ghana und Nigeria – als «wirtschaftliche Löwinnen» bezeichnet. Welche Chancen bietet die Region für die Schweiz?
Unser Handelsaustausch ist bisher begrenzt und wenig diversifiziert. Ich sehe hier ein gewisses Potenzial für unsere Exportindustrie. Die Schweiz importiert bisher viel Gold aus dieser Region. Zudem haben wir einen Austausch in den Bereichen Pharma, Chemie und mit Unternehmen der Maschinenindustrie. Wir könnten aber noch mehr tun. So könnten wir zum Beispiel bei grossen Infrastrukturprojekten noch aktiver werden.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hat unter anderem eine Zelle eingerichtet, um den Zugang von Schweizer Unternehmen zu grossen Infrastrukturprojekten im Ausland zu verbessern. Inwiefern die westafrikanischen Löwinnenstaaten in einer ersten Phase dieses Projekts Priorität haben werden, ist noch offen, die Diskussionen laufen noch. Chancen für die Schweizer Wirtschaft gibt es aber auch in vielen anderen Bereichen, wie Innovation und Wissenschaft oder auf akademischer Ebene.
Kann die Schweiz sich gegen ein Schwergewicht wie China durchsetzen?
China ist seit Jahren auf dem afrikanischen Kontinent präsent, aber es ist interessant zu beobachten, dass neue Akteure auftauchen. Im Senegal ist jetzt etwa die Türkei besonders stark vertreten, aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien. Alle diese Länder investieren, entsenden Delegationen, bauen Infrastrukturen….
Die Schweizer Industriepolitik stützt sich auf die Initiativen des Privatsektors, während sich der Staat auf die Rahmenbedingungen konzentriert, um Chancengleichheit zu gewährleisten. Wir achten auch sehr auf die Menschenrechte, den Umweltschutz etc.
Was China angeht, positionieren wir uns meiner Ansicht nach nicht unbedingt in denselben Bereichen. China ist eher interessiert an grossen Infrastrukturprojekten, während wir sehr stark auf Innovation setzen.
Ist es der Schweiz ein Anliegen, dass der in Afrika geschaffene Wohlstand auch auf dem Kontinent selbst zum Tragen kommt?
Schweizer Unternehmen tragen zur Schaffung von Wohlstand, Innovation und Arbeitsplätzen bei und eröffnen jungen Menschen damit neue Perspektiven. Die Aktivitäten der Schweizer Firmen vor Ort generieren auch Steuereinnahmen für das jeweilige Land. Das Thema, das Sie hier ansprechen, ist auch eine multilaterale Angelegenheit. Die Diskussion ist seit langem im Gang und die Schweiz trägt konstruktiv dazu bei.
Wie sieht die Zusammenarbeit in Migrationsfragen mit den Ländern aus, die zu Ihrem Aufgabenbereich gehören?
In der Botschaft ist ein Immigration Liaison Officer des Staatssekretariats für Migration (SEM) stationiert. Diese Verbindungsperson kümmert sich um die bilateralen Migrationsbeziehungen, vor allem um die Umsetzung von Migrationsabkommen. Mit Gambia ist ein solches Abkommen bereits in Kraft. Mit Kap Verde sind die Verhandlungen abgeschlossen, mit Guinea-Bissau sind sie weit fortgeschritten, und im Senegal haben wir mit den Gesprächen begonnen.
Es sind also vier Abkommen zu betreuen, die auch Projekte nach sich ziehen. Denn es geht nicht nur darum, die Rückübernahme von Staatsangehörigen zu strukturieren, sondern auch darum, die Kapazitäten der Länder zu stärken, z.B. bei der Abwicklung des Grenzübertritts oder der Ausstellung von Staatsbürgerschafts-Dokumenten für ihre Bürger und Bürgerinnen. Und generell sollen sie dazu beitragen, Chancen in den Herkunftsländern zu schaffen.
Die Schweiz hat im Juli ein Abkommen zum Klimaschutz mit Dakar unterzeichnet. Wie wird das Abkommen, das in der Schweiz teilweise als «Greenwashing» bezeichnet wird, im Senegal wahrgenommen?
Diese Abkommen, welche die Schweiz mit einem halben Dutzend Ländern, darunter Senegal, unterzeichnet hat, zielen genau darauf ab, jegliches Greenwashing zu verhindern, indem sie strenge Transparenzregeln etablieren und die doppelte Erfassung von Emissionen vermeiden. Bei einem ersten Projekt im Senegal soll der Einsatz von Biogasanlagen zur Versorgung ländlicher Gemeinden mit sauberer Kochenergie beschleunigt werden; das Projekt fusst auf der Grundlage eines Programms, das bereits seit zehn Jahren besteht.
Die Finanzierung erfolgt nicht durch die Schweizer Regierung, sondern durch unsere Treibstoffimporteure, die einen Teil der in der Schweiz durch den Verkehr verursachten Emissionen kompensieren müssen. Diese Akteure haben ebenfalls ein Interesse daran, dass ihre Projekte erfolgreich sind. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, den Rahmen für die Zusammenarbeit zu schaffen und den Kontakt zu den Behörden herzustellen.
Rita Emch
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