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Schweiz will sich in Brüssel mehr Gehör verschaffen

Micheline Calmy-Rey, offensive Gastgeberin in Brüssel. Reuters

Die Schweiz will auf dem europäischen Parkett präsenter sein und startet eine Kommunikations-Offensive gegenüber Behörden der Europäischen Union. Dafür stellt das Aussenministerium über eine halbe Million Franken bereit.

Selten war die Schweizer Mission in Brüssel derart auf Trab wie am 15. November. Mehr als 350 geladene Gäste feierten an diesem Abend 50 Jahre Schweizer Präsenz bei den europäischen Institutionen.

Die Einladung versprach ein «Gourmet-Buffet mit einer Degustation von Raclette und Fondue, umrahmt von Schweizer Klängen».

Botschafter, Vertreter der EU-Administration und Lobbyisten drängten sich um die grosse Käseplatte. Unter den illustren Gästen waren auch Androulla Vassiliou und Gilles de Kerchove, erstere EU-Kommissarin für Bildung und Kultur, letzterer Beauftragter der EU im Kampf gegen Terror.

Bilateralismus und direkte Demokratie

Die Festansprache von Gastgeberin Micheline Calmy-Rey fiel ziemlich angriffig aus. Die Aussenministerin erwähnte einerseits die Probleme hinsichtlich der Weiterführung des bilateralen Weges.

Andererseits nannte sie auch die Risiken beim Namen, welche die Schweiz bei einer allfälligen Annahme der Initiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer einginge. Dies weil die Umsetzung des Volksbegehrens internationales Völkerrecht und Bestimmungen des Schengener Abkommens verletzen würde.

Die Aussenministerin hielt aber ein glühendes Plädoyer für die direkte Demokratie und verteidigte das Schweizer Modell. Nach der Ansprache zog sich Calmy-Rey in ein Nebenzimmer zurück, wo sie sich mit verschiedenen Gästen über aussenpolitische Themen unterhielt, wie etwa die Probleme im Nahen Osten.

Heraus aus der Deckung

Mit dem Jubiläumsanlass hat das EDA seinen ambitiösen Plan lanciert, die Präsenz der Schweiz «auf dem Radar der Europäer» zu verstärken, wie Botschafter Jacques de Watteville, Leiter der Schweizer Mission in Brüssel, ausführte.

Ein Instrument dazu sind öffentliche Debatten, wie sie auch Vertretungen anderer Länder in Brüssel veranstalten, ob als EU-Mitglieder oder Nichtmitgliedsländer.

Bei der ersten Diskussionsveranstaltung, welche die Schweizer Mission organisierte, debattierten Vertreter des schweizerischen wie des europäischen Parlaments vor vollbesetzten Reihen über direkte Demokratie.

An der nächsten Veranstaltung vom 23. November referiert Philippe Hildebrand, Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), über die Geldpolitik in Europa.

Offensive nötig

Die Veranstaltungsreihe steht für eine neue, offensivere Haltung der Schweiz, nachdem sie sich in Brüssel 50 Jahren hinter dem Siegel der Verschwiegenheit mehr oder weniger versteckt gehalten hatte. Dieser Wechsel habe sich aufgedrängt, sagte Missionsleiter Jacques de Watteville.

«Wir müssen Klischees korrigieren, die sich innerhalb der EU gebildet haben. Sie besagen etwa, dass die Schweiz auf sich selbst bezogen, wenig solidarisch und geizig sei.» Die Erweiterung der EU bringe es mit sich, dass die neuen Mitglieder die Schweiz weniger gut kennen würden, so de Watteville.

Aktive Mitgestalterin

«Tatsächlich aber tragen wir viel zu wichtigen Projekten bei.» Er erwähnt den Gotthardtunnel oder die Kohäsionszahlungen der Schweiz zum Ausgleich der wirtschaftlichen Unterschiede innerhalb der EU, die vor allem den neuen Mitgliedstaaten zu Gute kommen.

«Die Schweiz macht aktiv mit. Dies ist das Bild, das von der Schweiz wahrgenommen werden muss», sagt der Botschafter.

All dies hat seinen Preis. Das Aussenministerium in Bern will sich diese Imagekorrektur im laufenden Jahr 230’000 Franken kosten lassen, 2011 sollen es 300’000 Franken sein.

Beginn bei Null

Die Anstrengungen gehen aber über blosse Kommunikation hinaus. Bisher pflegten die Schweizer Diplomaten praktisch ausschliesslich Kontakte zur Europäischen Kommission und dem Europarat.

Mit dem neuen Vertrag von Lissabon hat aber auch das EU-Parlament mitzureden, wenn es um bilaterale Verträge mit der Schweiz geht. Folglich muss die Schweizer Mission ihre Lobbyarbeit auf die Gänge des Parlamentgebäudes ausweiten.

Dies ist die Aufgabe von William Frei. Eine immense Arbeit, weil man erst sämtliche Beziehungen zu den Abgeordneten aufbauen müsse, sagt der Diplomat, der zuvor in China stationiert war.

«Die meisten Parlamentarier haben aber oft nur ein relativ geringes Interesse für die bilaterale Belange und die Ausnahmeposition der Schweiz.»

Frei setzt dabei auch auf die Medien. Nirgends sonst auf der Welt gibt es mehr akkreditierte Journalisten als in Brüssel. Ein idealer Nährboden also für die Schweizer Image-Offensive, zumindest theoretisch.

Bescheidenes Interesse

Logisch also, dass Micheline Calmy-Rey an die Medienkonferenz zum Jubiläumsanlass rund 20 europäische Journalisten einlud. Bisher waren die Pressetermine der Schweizer Mission lediglich Schweizer Journalisten vorbehalten. Aber nur zwei Vertreter europäischer Medien fanden den Weg an den Termin mit der Schweizer Aussenministerin.

Einer der beiden war Pierre Lemoine, Chefredaktor von Europolitique, der Online-Tageszeitung der EU zu europäischen Angelegenheiten.

Lemoine begrüsst die offensivere Haltung der Schweiz ausdrücklich. «Dies bedeutet, dass die Schweiz ihre Botschaften direkt bei den europäischen Institutionen anbringen will. Das ist gut so.»

Am 15. November feiert die Mission der Schweiz ihre 50-jährige Präsenz in Brüssel.

Am Anfang stand die «Europäische Wirtschaftsgemeinschaft» (EWG).

Aus dem Bündnis mit sechs Ländern entstand mit den Jahren die EU mit 27 Mitgliedstaaten.

Die Schweizer Mission hat sich der Entwicklung angepasst.

Wie die EU hat auch die Anzahl der Mitarbeitenden in der Schweizer Mission seit den Anfangszeiten zugenommen.

Inzwischen arbeiten dort 21 Diplomaten und detachierte Expertinnen und Experten sowie eine für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Mitarbeiterin.

Ihren Anfang nahm die Geschichte der Mission im Juli 1959.

Damals beschloss der Bundesrat, offizielle Beziehungen zur EWG aufzunehmen.

1960 erfolgte die Eröffnung des Brüsseler Büros.

Nach einem ersten Umzug 1986 wurde die Schweizer Mission 2001 noch einmal verlegt.

Seither hat sie ihren Sitz in Sichtweite des EU- Parlaments, an der Place de Luxembourg.

1961: Die Schweiz und sechs weitere Staaten gründen die Efta für Freihandel in Europa.

1963: Die Schweiz tritt dem Europarat bei.

1992: Der Bundesrat reicht in Brüssel ein Beitrittsgesuch für die Europäische Union ein. Dieses ist immer noch hängig.

2006: Der Bericht der Regierung über die europäische Integration bestätigt klar die bilaterale Option.

Seit 1972 haben die Schweiz und Brüssel rund 120 Abkommen unterzeichnet.

1992: Die Schweiz lehnt den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mit 50,3% Nein-Stimmen ab.

1997: 74% der Stimmenden lehnen einen Entscheid zum Thema EU-Beitritt ab, wie dies rechtskonservative Parteien verlangt hatten.

2000: Die Bilateralen Verträge I werden an der Urne mit 67% angenommen (freier Personenverkehr, Abbau Handelshemmnisse, öffentliches Beschaffungswesen, Landwirtschaft, Verkehr, Forschungsprogramme).

2005: Ja zu den Bilateralen II mit grossem Mehr (Abkommen innere Sicherheit, Asylwesen, Umweltschutz, Kultur).

Auch die Ausdehnung des freien Personenverkehrs auf die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten wird klar angenommen.

2006: Das Volk stimmt dem Kohäsionsbeitrag von rund einer Milliarde Franken zur Förderung der neuen, ärmeren EU-Staaten mit 53,4% zu.

2009: Zustimmung zur Ausweitung des freien Personenverkehrs auf die Neumitglieder Rumänien und Bulgarien.

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

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